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verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

im Sommer aufzieht, wird niemals etwas Bedeutendes. Die Nachtigall erlangt so nun und nimmer den vollendeten Schlag, der sie in der Freiheit so sehr auszeichnet. Der junge Schwarzkopf bringt es gewöhnlich weiter, weil der Originaltheil seines Gesanges nur in dem Ueberschlag besteht und er sich die Weise der ihn umgebenden Vögel theilweise anzueignen vermag. Die junge graue Grasmücke aber ist und bleibt in der Gefangenschaft bei Weitem der stümperhafteste Sänger von allen dreien.

Da trotz aller Verbote und der in manchen Ländern eingeführten Steuer diese drei Sänger von vielen Vogelfreunden gehalten werden, so dürfte eine Erinnerung an die richtige Behandlung derselben in der Gefangenschaft an ihrem Orte sein. Wie viele Nachtigallen verlieren im Besitz unverständiger und unmenschlicher Vogelsteller alsbald nach dem Verluste ihrer Freiheit auch ihr Leben! Hier ist’s der Mangel an frischen Ameisenpuppen und Mehlwürmern, mit denen allein sich die Nachtigall im Frühjahre mit Sicherheit eingewöhnen und erhalten läßt, dort verderben die dünnen und harten Sitzstangen die zarten Füße; hier ist der Käfig zu eng, dort die Decke desselben, anstatt von Leinwand, aus Holz gefertigt, so daß der stürmische Vogel sich den Kopf zerstößt.

Ein recht geräumiger Käfig von mindestens drei bis vier Fuß Länge und ihr entsprechender Höhe und Tiefe mit einer Leinwanddecke, Sitzstangen von doppelter Fingerdicke, welche mit Tuch überzogen sind, und Futter-, Trink- und Badenäpfchen aus Steingut oder Blech, die in angebauten Gehäusen zur Rechten und Linken vertheilt sind – ein solcher Bewegung gewährender, rein gehaltener und jegliche Verletzung verhütender Behälter ist unerläßliche Bedingung zur Erhaltung der Gesundheit des Vogels. Mit gebundenen Schwingen läßt man die Nachtigall sich erst mehrere Tage an Käfig und Futter gewöhnen. Während der Singzeit deckt das nach dem Lichte des Tags gekehrte Gitter ein grünes Linnentuch, und der Stand des Käfigs erfordert ein ruhiges Plätzchen.

Weniger, ja fast gar keine Schwierigkeit verursacht die Eingewöhnung des Schwarzkopfs, wiewohl auch ihm Nachtigallenfutter, Reinheit und Weite des Behälters gar wohl thun. Für ihn sind geriebene Möhren, mit Semmel vermischt, die gesündeste Nahrung, so lange die frischen Ameisenpuppen nicht vollständig zu haben sind. Die graue Grasmücke aber wird selten mit anderer Wartung erhalten, als mit dieser. Keinem Vogel entspricht das einfache Rübenfutter mehr, als ihm. Darum hinweg mit allen anderen Zuthaten und Leckerbissen, es seien denn im Herbste Hollunderbeeren, Zwetschen und anderes Obst, wovon man dem Vogel täglich ein wenig reichen soll.

Wer sich zum Vergnügen oder auch aus wissenschaftlichem Antrieb Vögel halten will, der muß die unleugbare Thatsache bedenken, daß sie alle Empfindung und Seele besitzen, der öffne das Herz den Freuden und Leiden der Gefangenen und stelle sich zu ihnen in lebendige, warme Beziehung.

Karl Müller.     




Kein Trost.[1]
Gruß an Robert Prutz.

Seid Ihr vereint zur guten Stunde,
Wo man am Blick den Bruder kennt,
Gedenket in dem heil’gen Bunde
Auch Derer, die von Euch getrennt.

5
Ertönt der alte Schwur auf’s Neue,

Der, nie gelöst, der Lösung nah,
Da wißt, es blüht die deutsche Treue
Auch herrlich in Amerika.

Es flammen uns dieselben Triebe;

10
Es spricht zu uns dieselbe Pflicht.

Es glüht in uns dieselbe Liebe;
Doch kennen wir die Trauer nicht.
Kein Trost! Wie Nebelduft zerrissen,
Verschwindet uns die Welt des Scheins.

15
Es ward das Glauben uns zum Wissen;

Wir wissen alles Deutsche Eins.

Uns hemmen nicht des Weltmeers Wogen;
Ihr fühlet unsern Bruderkuß.
Und eine Grenze wär’ gezogen

20
Dem deutschen Volk im deutschen Fluß?

O mögen Sturm und Wogen grollen!
Wie unser Auge heimwärts blickt,
Da schau’n wir nur ein starkes Wollen,
Das alle Ströme überbrückt.

25
Was wir gelebt, was wir gesehen,

Was wir gewirkt im fremden Land,
Ist für des Vaterland’s Erstehen
Uns ein geweihtes Unterpfand.
Nicht täuschet uns die flücht’ge Wolke.

30
So harren wir in stolzer Ruh’,

Und führen dem erhabnen Volke
Den freien Bundsgenossen zu.

New-York, Februar 1869. Friedrich Lexow.     

  1. Eine aus Amerika eingetroffene Antwort auf das schöne Gedicht von Robert Prutz in Nr. 3 unsers Blattes. D. Red.     




Blätter und Blüthen.

Heilmittel bei ausgebrochener Wuthkranktieit oder Wasserscheu des Menschen. Dr. Ernst Guisan (De la rage, sa nature et son traitement. Lausanne. Bridel. 1868) will im arsensauren Kali ein rettendes Mittel bei wirklich ausgebrochener Wasserscheu, die bis jetzt stets zum Tode führte, gefunden haben. Er giebt es in Pillenform drei, vier bis fünf Mal täglich und, je nach der Intensität der Erscheinungen, ein Zwanzigstel bis ein Fünfzehntel eines Granes. – Auch als vorbeugendes Mittel, wenn der Arzt bald nach erfolgtem Bisse zum Kranken gerufen wird, verordnet Guisan äußerlich: Verbinden der Wunde mit verdünnter Fowler’scher Lösung, und innerlich: Morgens und Abends, während sechs bis sieben Wochen, jedesmal eine Pille von einem Zwanzigstel Gran (für Kinder ein Vierzigstel) arsensaures Kali. – Da noch durch kein Arzneimittel die ausgebrochene Wasserscheu gehoben worden ist, so verdient obiges Mittel jedenfalls Beachtung und Anwendung.


Kleiner Briefkasten.

K. in Gotha. Ueber die bei Senff erschienene Gesammtausgabe der Schubert’schen Lieder können wir Sie einfach auf das Urtheil des bekannten Musikkritikers Otto Gumprecht verweisen. Sie ist, sagt er in der Nationalzeitung, von Julius Rietz genau revidirt, und zwar handelte es sich dabei nicht um ein inhaltloses Ehrenamt und einen klangvollen Namen mehr auf dem Titel, sondern um eine ernste und schwierige Arbeit, welche die Werke des größten deutschen Liedercomponisten gegenüber vielfältigem, durch die Eitelkeit der Sänger und die Willkür der Herausgeber ihnen zugefügten Unglimpf in ihr ursprüngliches Recht wieder einzusetzen hatte. In elf handlichen Octavbänden werden uns hier zweihundertfünfundzwanzig Gesänge geboten. Der Preis für die ganze Sammlung beträgt sechs Thaler, also vielleicht den fünften Theil der Summe, deren es ehedem zur Anschaffung bedurfte. Daß Schubert’s Lieder in dem musikalischen Hausschatz jeder deutschen Familie eine Stelle gebührt, daß sie selbst denen die reichste künstlerische Ausbeute gewähren, welche sie nur durch das Clavier sich vermitteln können, darüber brauchen wir kein Wort mehr zu verlieren. In der gesammten weiten Tonwelt giebt es nächst der Beethoven’schen Sonate nichts Anderes, was so traulich sich zum Einzelnen hinabneigt und so liebevoll Theil genommen an seiner Lust und an seinem Weh, wie diese Lyrik, welche in einer Fluth von Wohllaut Alles geoffenbart, was das menschliche Herz an Freude und Leid, an Liebe, Hoffnung und Sehnsucht zu fassen vermag.


Inhalt: Reichsgräfin Gisela. Von E. Marlitt. (Fortsetzung.) – Der Knoten im Taschentuch. Mit Abbildung. – Aus den Werkstätten deutschen Gelehrtenfleißes. – Nachtseiten von London. Sociale Skizze von J. H. 1. – Hebel’s Vreneli. Mit Portraits. – Von den Geheimnissen der Vogelstellerei. Von Karl und Adolph Müller. 3. Nachtigall und Grasmücke und das Schlaggarn. Von Karl Müller. – Kein Trost. Gruß an Robert Prutz. Gedicht von Friedrich Lexow. – Blätter und Blüthen: Heilmittel bei ausgebrochener Wuthkrankheit oder Wasserscheu des Menschen. – Kleiner Briefkasten.


Nicht zu übersehen!

Mit dieser Nummer schließt das erste Quartal Zeitschrift. Wir ersuchen die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das zweite Quartal schleunigst aufgeben zu wollen. Die Verlagshandlung.     


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1869, Seite 208. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_208.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)