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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

zu haben an dem erborgten und erstohlenen Glanze des Thrones, seines Volkes zu gedenken und der Idee der Wiedergeburt Spaniens immer und immer zu leben, des alten Orense, der das Symbol der spanischen Republik genannt werden kann.




Robinson’s Insel – eine deutsche Ansiedelung. Kaum drei Tagereisen von Valparaiso in Chili entfernt und fast auf gleicher Breite mit diesem Haupthafen der Westküste von Südamerika liegt die Insel Juan Fernandez, wo einst Alexander Selkirk in vierjähriger Verbannung die Materialien zu Defoe’s „Robinson Crusoe“ sammelte. Dieses Eiland, welchem von den handelseifrigen Bewohnern des chilenischen Küstenlandes nur wenig Beachtung gezollt wird, obschon es sowohl durch seine Geschichte, wie durch seine Bedeutung, große Beachtung verdient, hat in neuerer Zeit, für uns Deutsche namentlich, dadurch wieder ein allgemeineres Interesse gewonnen, daß es im December des vorletzten Jahres in den pachtweisen Besitz des bekannten sächsischen Ingenieurs Robert Wehrhan übergegangen ist.

Dieser, welcher vor elf Jahren Deutschland verließ, lebte zunächst mehrere Jahre in England, war später im großen amerikanischen Secessionskriege Hauptmann im Unionsheere und nach Beendigung des Kampfes Ingenieur der Cerro-Pasco-Eisenbahn in Südamerika. Er selbst erzählt der Gartenlaube seine Besitznahme der merkwürdigen Insel, wie folgt:

Meiner Erwerbung der Insel durch Regierungsdecret vom 6. December 1867 war die Bildung einer Compagnie gefolgt, welche sich die Ausbeutung der Insel zur Aufgabe stellte. Dieselbe rüstete ohne Zeitverlust den Juan Fernandez aus, ein Fahrzeug von etwa sechszig Tonnen Last, und bereits vor Weihnachten brach der erste Colonistenschwarm, bestehend aus ungefähr sechszig Seelen, mit den nöthigen Geräthschaften und Lebensmitteln nach der Insel auf. Zum Fischfang und zur Seehundsjagd an den steilen Küsten hatten wir uns mit drei Walfischfängerbooten versehen, deren Bauart sie besonders geschickt macht, dem Meere zu trotzen; mehrere unserer Familien hatten Juan Fernandez schon früher periodisch bewohnt, und um die Uebergabe in aller Form des Gesetzes auszuführen, ließ uns die chilenische Regierung von einem Commissär begleiten, welcher eine kleine bewaffnete Abtheilung befehligte.

Die Insel, welche schroff aus den Wellen aufsteigt, wurde schon auf große Entfernung gesichtet, doch verstrichen zwei lange Tage, ehe es uns gelang, das Ziel unserer Reise zu erreichen. Daß während dessen manch’ neugieriger Blick nach dem Gestade sich richtete, wird mir der Leser gern glauben, denn es lag ein eigener Reiz, eine besondere Poesie in dem Gedanken, daß wir im Begriff stünden, dasselbe Ufer zu betreten, welches wir fast alle so oft im jugendlichen Traume durchwandert hatten. Was uns so lange als recht fern erschienen, lag vor Augen; was die männliche Vernunft schon vor Jahren als eine leere Dichtung bei Seite gelegt, war wieder Wirklichkeit geworden! – Der Anblick des Eilandes ist schon von Weitem ein imposanter. Seine grauen Wände, welche meist bis zu siebenhundert Fuß senkrecht emporstreben, werden überragt von einem weithin sichtbaren Tafelberg, welchen die Spanier höchst treffend den Junque (Ambos) genannt haben. Derselbe erreicht eine[WS 1] Höhe von mehr als dreitausend Fuß und ist rings von dichtbewaldeten Bergspitzen umgeben. Unten zieht sich die weiß aufkochende Brandung wie ein schneeiger Saum um das Gestade, und ein theilweiser Einblick in’s Thal von Juan Bautista läßt die Ueppigkeit ahnen, welche das Innere kennzeichnet.

Es war später Abend geworden, ehe unser Schooner, von den Booten bugsirt, im Hafen anlangte, aber mit dem Grauen des nächsten Tages schon war Alles auf den Beinen und die Geschäfte der Landung waren kaum beendigt, als wir uns dem Gebirge zuwandten, von seinem Rücken aus einen Ueberblick über unser Königreich zu gewinnen. Den schäumenden Bach zum Führer nehmend, stiegen wir ein anfangs sanft sich hebendes grasreiches Thal hinauf, vorüber an zahlreichen Gruppen europäischer Fruchtbäume und Blumen, und betraten sodann schattige kühle Waldungen von Myrthen und anderen immergrünen Bäumen, unter deren Gipfeln großblätterige tropische Pflanzen und baumartige Farnkräuter wucherten. Neugierig umschwirrte uns der funkelnde Kolibri, die Waldtaube hielt überrascht in ihrem Girren inne und die moosigen Bärte der uralten Waldbäume schienen uns ein Willkommen zuzuwinken. Eine Stunde rüstigen Steigens, während welcher uns das kalte, krystallhelle Wasser des Baches mehr als ein Mal erquickt hatte, brachte uns auf den Rücken des Höhenzuges, welcher die Insel in ihrer ganzen, drei Meilen langen Ausdehnung von Ost nach West durchstreicht, und von hier genossen wir eines umfassenden Ueberblicks über beide Seiten des Eilandes. Die Nordosthälfte ist von dichten Wäldern bedeckt, aus denen die schlanke Chontapalme ihren Gipfel mit königlicher Würde hebt; im Südwesten liegt kahles, zerklüftetes Gestein zu Tage, um dessen Klippen Tausende von Seevögeln kreischend ihr Spiel treiben, während sich nach Süden hin grüne Halden zum Meer herabsenken. Uns ganz nahe saß, als ob er sich nichts Böses bewußt wäre, ein einsamer Habicht, während weit unten im tiefsten Frieden eine Ziegenheerde weidete. Längs der Südküste liegen mächtige Felsblöcke wie Inselchen im Meere zerstreut, von denen der größte, auch von Ziegen bewohnt, als „Isla de Santa Clara“ bekannt ist.

Juan Fernandez hat so zu sagen seine eigene Schöpfung. Mehrere seiner Bäume (z. B. die schon erwähnte Chonta), Vögel und Seehundsarten finden sich in keinem andern Theile der Welt vor. Einheimische vierfüßige Thiere scheint es nie gegeben zu haben. Ziege, Hund und Katze sind augenscheinlich nur verwildert, und die Ratte, die größte Plage der Insel, ist wahrscheinlich durch Schiffe eingeschleppt worden. Zur Zeit meiner Besitznahme fand ich etwa dreißig halbwilde Pferde und die doppelte Anzahl von Eseln vor, welche letztere sich als höchst scheu erwiesen. Von einem rührigen Squatter, den meine Ankunft zum Abzug bewog, kaufte ich zwei Kühe, einen Bullen, etwa dreißig Schweine und zahlreiches Geflügel, so daß mein Viehstand gleich von Anfang an nicht ganz schlecht war. –

Von europäischen Fruchtbäumen haben wir die Sauerkirsche, die Pfirsiche, die Pflaume, die Weinrebe und die Quitte vorgefunden, von Gemüsen Kohl, Kartoffeln, Mais, Zwiebeln, Salat und mehrere Arten Rüben. Die wenigen noch stehenden Häuser waren in höchst baufälligem Zustande, sind aber bereits mehr oder weniger wohnlich gemacht worden. Robinson’s Höhle besuchten wir natürlich auch. Dieselbe ist im Puerto del Ingles gelegen (wie das Thal zur Erinnerung an Selkirk noch immer genannt wird), hoch und gewölbt, aber nicht eben tief und etwa sechszig Schritte vom Meeresufer entfernt. Wird mir der Leser verzeihen, wenn ich hinzufüge, daß ich sie meinem chilenischen Schweinehirten, dem Juan Figueroa, zur Wohnung angewiesen? – Das Borstenvieh that in der Nähe der Niederlassung von Juan Bautista so viel Schaden, daß ich mich genöthigt sah, es nach diesem abgelegenen Thale zu verbannen, wo große Felder wilder Wasserrüben ihm reichliche Nahrung bieten.

Zur Zeit, da ich dies schreibe, sind wir bereits in voller Arbeit. Im Forst dröhnen Axt und Säge, der fette Kabeljau und der weiße Hummer hängen wohlgetrocknet im Speicher, und zahlreiche Felle, dem Seehunde und der Ziege abgejagt, legen Zeugniß ab, daß unter uns die waidmännische Kunst nicht betteln geht. Auch Besuch haben wir gehabt, denn die Walfischfänger mögen Juan Fernandez gern leiden, wo sie sowohl Wasser als Holz im Ueberfluß finden, und sprechen auf ihrer Fahrt nach Norden in der Regel vor. Die bärtigen, tabakkauenden Gesellen sind ein gutmüthig Volk und erzählen manch schnurrige Geschichte von fernen unbesuchten Inseln oder „the old place at home“ (der alten Stelle in der Heimath), lassen wohl auch ein Andenken in Gestalt eines Fäßchens Rum zurück. –

Und so hat denn die fruchtbare Germania abermals ein Samenkorn für die Zukunft gestreut! Klein zwar und weit entlegen, aber nicht bar einer tiefen Bedeutung und kein unwürdiger Vertreter ihres Fleißes. – Möge Gott es groß werden lassen! – R. Wehrhan.     




Aus dem Musikantenleben. (Mit Abbildung, S. 221.) Wer wäre einem solchen Trüppchen, wie es unser heutiges Bild darstellt, noch nicht begegnet? Die unentbehrlichsten und bereitwilligsten Diener der Freude und des Leids, die mit denselben Instrumenten zum Tanz und zum Grabgang aufspielen wer hätte sie, auch abseits von den Leipziger Meßstraßen, den Radien ihres einst magnetischesten Centrums, nicht einmal als ein fast immer erheiterndes Reisebild vor Augen gehabt? Sie gehören zu den rastlosesten Zugvögeln unter den Menschen, die vor jenen jedoch den Vorzug haben, daß ihnen hinsichtlich des Wachens und Schlafens Tag und Nacht völlig gleich und eine Jahreszeit wie die andere ist: denn getanzt, gefreit und gestorben wird immer.

Leider verdüstert sich das Bild nur zu oft, wenn der Schimmer vom Glanze des Reichthums und des Luxus auf die schäbigen Röcklein und mageren Faltengesichter der Leute hinter den Notenpulten auf dem Orchester droben fällt. Unten an langen, lecker duftenden Tafeln das Knallen der Champagnerpfropfe – und droben das Knurren hungriger Mägen, deren Inhaber die fröhlichsten Töne zu den Lebehochs da drunten liefern! Aber wie freudig die rauschenden Klänge begrüßt werden, zwischen den Menschen, die unten schreien, und denen, die oben blasen und spielen, ist das Tafeltuch entzwei geschnitten, führt kein Band von Seele zu Seele. Wenn all’ das harmonische Geräusch eine Drehorgel besorgte, wär’s für die vornehme Gesellschaft ziemlich dasselbe.

Viel wohler fühlt sich der Musikant auf dem Dorfe und in dorfähnlichen Landstädten. Da ist das ehrliche Volk für die Freude noch dankbar. Ohne tiefer darüber nachzudenken, ahnt es doch, wohin es längst mit dem Bischen Poesie in seinem Leben gekommen wäre, wenn es keine Musikanten gäbe. Darum verherrlicht es sie auch dafür schon in seinen ältesten Sagen. Wie langweilig wär’s auf die Dauer dem Rübezahl in seinem Riesengebirg geworden, wenn ihm nicht die böhmischen Musikanten so viel Gelegenheit zu höherem Uz gehoten hätten, und der Barbarossa wäre im Kyffhäuser längst für ewig eingeschlafen, hätten nicht die Hörner und Schalmeien Thüringens ihn immer wieder an das Leben gelockt.

Von einer so romantischen Partie kommen unsere Musikanten wohl nicht, sie haben nur gewöhnlichen Menschenkindern gestern zum Tanz aufgespielt. Deshalb ist etwas Uebernächtiges hie und da nicht zu verkennen. Namentlich muß der grimmig vermummte Waldhornist gestern einen schweren Trunk gethan haben, an welchem er jetzt an diesem düsteren Schneemorgen noch leidet. Und dafür wird er von seinen beiden Nachbarn noch belächelt; doch meint’s der zu seiner Linken, der wahrscheinlich ein Klappenhorn im Lederfutteral unterm Arm trägt, gut mit ihm, denn er bietet ihm einen erwärmenden Schluck an. Auch der Clarinettist dahinter macht ein bedenkliches Gesicht. Dagegen schreiten der alte Bassist und der Lehrbursche mit dem zweiten Waldhorn in lebhafter Unterhaltung fürbaß. Nur der Posaunist zeigt sich in all’ der ruhigen Würde, die sein alttestamentliches Instrument von Rechtswegen beansprucht.

Fahrt wohl, ihr treuen Handwerker der Tonkunst, und möge es euch beschieden sein, auf eurem musikalischen Wandel mehr Freude als Leid durch das Leben zu begleiten!




Berichtigung. Nach einer uns soeben zugehenden authentischen Zahlenzusammenstellung ist die in Nr. 11 unsres Blattes genannte Lebensversicherungsbank Teutonia in Leipzig nicht die zweitgrößte in Deutschland nach der bekannten Gothaer, sondern stand wenigstens 1868 erst in elfter Linie. Diese Berichtigung eines Irrthumes unseres Mitarbeiters geschieht übrigens mit aller Anerkennung des rüstigen Vorwärtsstrebens der genannten Leipziger Versicherungsbank.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: ein
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_224.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)