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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


„Pietro Sommariva aus Naxos, ein Tributpflichtiger.“

Und mit weithin sichtbarer Fracturschrift stand darunter geschrieben: „Galbazan“ d. h. Fälscher. Ich schauderte bei dem Gedanken, daß eines Tages auch mein Ebenbild in der Person des Haiman Prinz aus Chio da oben am Pranger stehen könnte. –

Abenteuerlich wie die Geschichte vielleicht erscheinen mag, ist sie doch buchstäblich erlebt; ich habe sie erzählt ohne jedwede Zuthat erfindender Phantasie und stehe in jedem einzelnen Punkte für die Wahrheit des Mitgeteilten ein.




Ein vergessenes Rococoschloß.

Die gewaltigen Ereignisse des Jahres 1866 haben schwerlich in irgend einem Lande eine tiefer greifende Wirkung geäußert, als in dem Kurfürstenthum Hessen, wo mit der veränderten politischen Lage ein neuer Geist lebendig wurde, oder es wäre wohl richtiger zu sagen, wo der Geist, der in vieler Beziehung wie ein Alp auf dem intellectuellen Leben des kleinen Landes lastete, mit einem Male verschwand und viele bisher niedergehaltene oder sonst ganz unterdrückte Keime der Entwickelung mit einem Male wieder lustig emporschossen.

Der unleidliche Befehl z. B., der wider alles Recht und allen Sinn die Museen und Kunstsammlungen der Hauptstadt seit vielen Jahren verschlossen, war nun wirkungslos, und die Pforten öffneten sich willig der fröhlich hereindrängenden Menge. Mit Staunen entdeckten die fremden Besucher in der Casseler Bildergalerie eine unvergleichlich herrliche Sammlung von niederländischen Gemälden und verkündeten aller Welt, daß man Meister wie Rembrandt, Rubens und Vandyk eigentlich ganz erst in der Casseler Galerie kennen lernen müßte.

Aber neben den Schätzen der Kunst behauptete auch die landschaftliche Schönheit der Natur ihr altes Recht und zog Schaaren von Wanderern in die neue Provinz. Unter den herrlichen Besitzthümern des ehemaligen Landesherrn, welche durch ihre wundervolle Lage und kostbare Einrichtung bekannt waren, giebt es eins, das weit abseit von der großen Heerstraße, fast eingeschlossen vom dichten grünen Wald liegt und von der Welt wenig oder gar nicht gekannt ist. Auch von ihm ist der Bann genommen, der es Jahre lang verschlossen hielt; nicht länger wehren die fest geschlossenen Läden den freundlichen Strahlen der Frühlingssonne hier einzudringen, und das Echo des Waldes bringt wieder vielfach das muntere Lärmen fröhlicher Menschenstimmen zurück.

Etwa zwei Stunden südöstlich von Cassel steht – nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen bei Eisenach gelegenen Weimarischen Schlosse das Lustschloß Wilhelmsthal, welches Landgraf Wilhelm der Achte im Jahre 1753 erbaute. Seine herrliche Lage, seine überaus originelle, im üppigsten Rococostyl gehaltene innere Ausschmückung und mancherlei interessante historische Erinnerungen machen einen Ausflug dahin in hohem Grade lohnend. Wilhelmsthal ist, wie viele ähnliche fürstliche Lustschlösser in Deutschland, entstanden in jener Zeit des crassesten Absolutismus und der kläglichsten Kleinstaaterei, in jener Zeit, wo die kleinen großen Herren ihr Vorbild für alle Aeußerlichkeiten in Frankreich suchten und den Schnitt ihrer Perrücken und den Spitzenbesatz ihrer Halstücher dem des großen vierzehnten Ludwig möglichst nahe zu bringen strebten. In den Glanzzeiten des Schlosses von Wilhelmsthal, als die vergoldeten Balustraden an den Balcons und Platformen in der Sonne funkelten, war auch der Park noch angefüllt mit jenen verschnörkelten und grotesken Grotten, Tempeln und Colonnaden, wie man sie, freilich großartiger, noch heute in den königlichen Gärten von Versailles und St. Cloud sieht.

Heutzutage sind nur noch die Ruinen dieser Gartenanlagen vorhanden, und selbst der Teich vor dem Schlosse, dessen Karpfen einst, wie es heißt, auf den Klang eines Hornes zum Füttern herangeschwommen kamen, liegt vernachlässigt und überwuchert von Wasserpflanzen. Desto besser ist das Innere des Gebäudes erhalten, und wenn wir, nachdem wir die prachtvolle Haupttreppe mit dem von den anmuthigsten Arabesken in Bronze geschmückten Geländer erstiegen haben, das spiegelglatte Parquet der Zimmer betreten, so befinden wir uns vollständig in die Zeit versetzt, wo Reifrock, Puder und Perrücke herrschten. In den reich vergoldeten Schnörkeln an den Decken und Wänden, die fast völlig erhaben hervortreten und am häufigsten Blumen, Früchte und Vögel darstellen, hat sich die ganze übermüthige Phantasie jenes wunderlichen Geschmackes geoffenbart, der in seiner Ausgelassenheit die Zeit vor der ersten französischen Revolution so trefflich charakterisirt und hier bis in die kleinsten Einzelnheiten der inneren Einrichtung studirt werden kann, von den mächtigen Porcellanvasen und prachtvollen Standuhren, von Genien und Engeln umgeben, bis zu den kleinsten zierlichen Nippesfiguren auf den marmornen Kaminsimsen. Für die malerische Ausschmückung fand sich in dem berühmten Maler Johann Heinrich Tischbein ein Talent, wie es geeigneter nicht gedacht werden konnte. Die mythologischen Scenen, mit welchen er die Räume schmückte und welche durchgängig über den Thüren angebracht sind, spiegeln in ihren koketten Figuren in reizender Farbenwirkung getreu jene lustige, aber durch und durch unwahre Welt wieder, auf die sie herabschauten.

Prachtvoll muß der Anblick gewesen sein, wenn das Licht von Hunderten von Kerzen sich in den kristallenen Lüstres brach und aus den hohen Spiegeln widerstrahlte, und zu keiner Zeit prächtiger, als während das Königreich Westphalen seinen ephemeren Glanz entwickelte und Fest an Fest sich reihte. In den Parterreräumen des Schlosses sieht man zwei Zimmer, deren Wände ausschließlich von lebensgroßen weiblichen Bildnissen bedeckt sind. Es ist die sogenannte „Galerie der Schönheiten“, eine ganze Reihe von vornehmen Damen, welche König Jerome’s Hof schmückten und die er, ihren Costümen nach zu urtheilen, jedenfalls von Tischbein malen ließ, um die Erinnerung an ein heiteres Maskenfest festzuhalten[WS 1]. Es sind durchweg reizende Gesichter, deren rosiges Colorit der Puder auf ihren Locken hervorhebt, aber einen Allen gemeinsamen Zug hat ihnen der Maler aufgeprägt, den der Frivolität und der ausgesuchtesten Koketterie. Eines der anziehendsten stellt ein junges Mädchen im Salonschäfercostüm dar, dessen feurig schwarze Augen den Beschauer gar verführerisch anlächeln. Das Bild mochte wohl ein halbes Jahrhundert hier gehängt haben, als eines Tages eine kleine Gesellschaft das Schloß zu besuchen kam. Eine alte Dame in schneeweißem Haar ließ sich vor das Bild führen; sie schaute es lange und tiefbewegt an und barg dann das runzelvolle Gesicht in ihren Händen. Es war das Original der jugendlichen Schäferin!

Ein mächtiges Stück Geschichte ist über das kleine Schloß dahingerauscht. Noch hatte es kein Decennium gesehen, als der siebenjährige Krieg den Lärm der Waffen bis unter seine Fenster brachte. Herzog Ferdinand von Braunschweig, welcher die verbündeten Hessen, Hannoveraner und Braunschweiger befehligte, griff am frühen Morgen des 24. Juni 1762 das französisch-sächsische Heer an, dessen Hauptquartier in Grebenstein, eine Stunde von Wilhelmsthal, sich befand. Nur langsam und kämpfend wich der überraschte Feind, bis es im Walde zwischen Meimbressen und Wilhelmsthal zu einem blutigen Infanteriegefecht kam, welches mit der vollständigen Niederlage der Franzosen endigte.

Am anderen Morgen bewirthete der siegreiche Herzog die gefangenen Officiere, welche fast Alles verloren hatten, in dem prächtigen Jagdsaal des Schlosses. Als die Tafel aufgehoben war, fragte er seine Gäste, ob ihnen nichts mehr gefällig sei, und wies, als Alle dankten, auf eine verdeckte Schüssel, die, wie er sagte, ein Dessert enthalte. Niemand wagte den Deckel abzunehmen, da griff der Herzog selbst zu und es fand sich das ganze Gefäß mit goldenen Uhren, Dosen und Brillantringen gefüllt, von denen auf die freundliche Aufforderung des tapferen Wirthes sich nun ein Jeder nach Belieben nehmen mußte.

Die heitersten Tage sah Wilhelmsthal jedenfalls als königlich westphälisches Lustschloß unter dem prachtliebenden Jérome, der abwechselnd hier und in dem benachbarten Wilhelmshöhe seinen schwelgerischen Hof hielt und seiner bekannten Devise: „Morgen wieder lustik“, auf’s Eifrigste nachlebte. Und lustige Zeiten waren es in der That für Alle, welche zur Unterhaltung des genußliebenden Herrn beitragen konnten. Sparsamkeit war

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 254. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_254.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)