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verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

einer Flucht stürzt derselbe von achttausendachthunderteinundsiebenzig Fuß bis sechstausendachthunderteinundsiebenzig Fuß hinab und endet unten in bröckelnden, morschen Schieferlagen und traurigen Schuttfeldern. Kein Baum, kein Strauch, höchstens eine verwegene Saxifraga oder Silene schlingt ihre Wurzeln um das kalte Gestein, Schutz und Nahrung in den wenigen Verwitterungsproducten suchend. Im Süden ragen sporadisch Waldbestände bis zu den obersten grünen Terrassen und Grasbändern, die endlich wieder dem zackigen, zerrissenen und verwitterten Schiefergrate weichen.

Passage über den Schwarzensteingletscher.
Nach der Natur aufgenommen von J. v. T.

Doch trotz dieses interessanten Naturschauspiels ist das Auge nicht zufriedengestellt; es ahnt hinter den ungeheuren Bauten und Vorwerken noch etwas Großartigeres, eine neue Welt, eine Welt voll erhabenen Ernstes, still, klar und schimmernd, eine Welt überreich an den seltensten Naturscenen. Wir täuschten uns nicht; bereits leuchtete im fernen Hintergrunde ein blendender Firngrat entgegen – noch einige Schritte, und die majestätische Kuppe des Löfflers stieg empor, wie der helle Vollmond am nächtlichen Himmel. Ein lauter Jauchzer drang zu seinen Höhen, und lustig ging es nun theils neben dem Bache, theils über Wiesen und kleine Schuttfelder, an den Hechenbergsalphütten vorbei, der Alpe Pokach zu. Die Scenerie hat sich wenig geändert; nur die Wälder sind zurückgeblieben und alte, vom Blitz getroffene oder abgestorbene Riesenstämme erinnern an den einstigen Bestand herrlicher Forste. Allein Wind und Wetter, Schnee und Eis, Lawinen und Schlammströme haben arg gehaust in diesen einst blühenden Revieren, wo früher das Reh und die Gemse nachbarlich weideten, wo der Fuchs auf seinen nächtlichen Streifzügen ein Hasel- oder Steinhühnchen erhaschte, wo Amsel, Drossel und andere Sänger die stille Waldeinsamkeit unterbrachen und in tausendstimmigem Jubel das Morgen- und Abendroth begrüßten. Jetzt ist es anders geworden; ein düsteres Schweigen lagert auf Thal und Berg, nur der Bach tobt und braust wie ehedem durch die einst grünenden Fluren. Seine Ufer sind klafterhoch mit Schutt und Trümmerhaufen bedeckt, und blos den angestrengtesten Bemühungen der Aelpler gelingt es, die alljährlich neu mit Steinen und Felstrümmern sich füllenden Alpgründe zu reinigen und theilweise für das Vieh wieder nutzbar zu machen.

Uebergang über die Löfflerkluft.
Nach der Natur aufgenommen von J. v. T.

In kurzer Zeit erreichten wir die Alpe Baumgarten, viertausendachthundertsechsundzwanzig Fuß über dem Meeresspiegel, eine traurig ironische Benennung für diese Steinwüste. Bescheiden lehnt sich die kleine schmutzige Alphütte an eine hohe Felswand,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1869, Seite 268. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_268.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)