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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Pariser Bilder und Geschichten.

Die Fremden in Paris.
Von S. Kalisch.

Die Pariser behaupten, daß in ihrer Vaterstadt die fremden Nationalitäten viel zahlreicher vertreten seien, als ihre eigene. Das ist freilich eine gewaltige Uebertreibung, die indessen gerade durch die große Menge der in Paris wohnenden Ausländer veranlaßt worden. Der zehnte Theil der Pariser Bevölkerung – das ist statistisch nachgewiesen – besteht aus Ausländern. Es giebt in der That kaum ein Volk auf Erden, von dem in der Hauptstadt Frankreichs nicht ein Exemplar zu finden wäre. Doch will ich nur von den Ausländern reden, welche sich in Paris angesiedelt haben und hier mehr oder weniger Colonien bilden. Die deutsche Colonie ist bei weitem die größte. Dann kommen die Engländer, Belgier, Italiener, Polen, Russen, Schweizer und Amerikaner. Nichts ist interessanter als das Wesen dieser Nationalitäten zu beobachten. Wir werden von unseren Landsleuten zuletzt und am ausführlichsten, und hier zuerst von den Engländern sprechen.

Unter allen civilisirten Völkern der Erde hat der Engländer das geringste Assimilationstalent. Der Engländer bleibt Engländer, in welchem Lande er auch sein möge. Er opfert keinen Gebrauch, keine Gewohnheit seines Vaterlandes; er nimmt keine Gewohnheit, keinen Gebrauch des Auslandes an. Wie er sich in seiner Heimath individuell in seinem Hause abschließt, so schließt er sich in der Fremde mit seinen Landsleuten streng ab. Man sieht dies so recht in Paris. Die Engländer bewohnen hier einen besondern Stadttheil, das Faubourg St. Honoré, und sie haben dafür gesorgt, daß man ihnen in diesem Viertel die irdische und himmlische Speise auf englisch verabreicht. In dem genannten Stadttheil sind nicht nur englische Kirchen, sondern englische Hôtels, Speisewirthschaften und Eßwaarenhandlungen in Menge vorhanden. Der Engländer hat einen orthodoxen Magen und hält es für eine Sünde, fremde Elemente in seine alleinseligmachende Küche zuzulassen. Yorker Schinken ist ihm der vorzüglichste auf Erden, und er versteht sich nur im äußersten Nothfalle dazu, denselben mit einem Senf zu genießen, der nicht in England das Licht der Welt erblickt hat. Der Engländer ißt stark, trinkt aber noch viel stärker, als er ißt. Er trinkt nicht nur viel, sondern auch vielerlei; er trinkt aber am liebsten die Getränke seiner Heimath. Niemals ändert er den Schnitt seiner Kleidung, und er hat selbst in Paris seine englischen Schneider. Er vertraut sich auch nicht leicht einem Pariser Arzt an. Es haben sich daher im Quartier St. Honoré viele englische Aerzte und Apotheker angesiedelt. Ja, Herr Haußmann hat den Söhnen des „perfiden Albion“ zu Gefallen dicht am Palais Elysées sogar eine lange Reihe Häuser in englischem Stil, d. h. mit Eisengittern und tiefen Gruben versehen, aufführen lassen. Indessen lassen sich doch seit einigen Jahren wenige Engländer hier bleibend nieder. Paris ist ein sehr theurer Platz geworden. Die kleinen englischen Rentiers, die hier früher auf einem großen Fuß leben konnten, müssen sich jetzt zusammennehmen, wenn ihre Jahresrente nicht vor Ende December versiechen soll. Sie suchen daher Deutschland, die Schweiz und Italien auf. Ein großer Theil der in Paris lebenden Engländer besteht übrigens aus Arbeitern, aus Kutschern und Jockeys, kurz aus Leuten, die hier mehr erwerben als verzehren.

Hingegen gehört die russische Colonie, die etwa zweitausend Köpfe zählt, ausschließlich der höhern Gesellschaft an. Die Russen leben in der Nähe der Elysäischen Felder, wo sie vor einigen Jahren eine prachtvolle Kirche unweit des großen Triumphbogens errichten ließen. Der Russe kommt nicht nach Paris, um zu sparen sondern um zu genießen, und zwar mehr sinnlich als geistig. Die Cultur hat ihn beleckt, aber nicht durchdrungen. Er schließt sich leicht an und besitzt einen äußern Schliff, der ihn zum angenehmen Gesellschafter macht. Auch läßt er gern daraufgehen, besonders wenn es mit einer gewissen Ostentation geschehen kann. Die Russen sind daher in Paris, das von Fremden lebt, beliebte Gäste. Früher hat die Halbwelt für die Russen sehr geschwärmt; diese Schwärmerei hat indeß stark nachgelassen, seit die Leibeigenschaft in Rußland abgeschafft und die Einkünfte des russischen Adels beträchtlich zusammengeschmolzen. Sie lassen nicht mehr die Rubel so leicht springen, und das hat die Achtung vor ihnen in der Welt, die jedes Feuer eher als das Feuer der Vesta nährt, bedeutend vermindert. –

Kommen wir jetzt zu den Polen, die eine Colonie von fast fünftausend Individuen bilden. Sie wohnen großenteils in der Vorstadt Batignolles, wo sich auch die von der französischen Regierung unterstützte polnische Schule befindet. In derselben wird neben den verschiedenen Zweigen des Wissens vorzüglich die polnische Sprache gelehrt, so daß die Jugend, in dieser Beziehung wenigstens, mit ihrem unglücklichen Vaterland im Zusammenhang bleibt. Der Enthusiasmus für die Polen, der in den dreißiger Jahren in allen Ländern unsers Welttheils so stark loderte, ist längst erkaltet. Seit jener Zeit sind auf unserm Continente so viele Revolutionen ausgebrochen und in Folge derselben so viele Tausende in die Verbannung getrieben worden, daß das Mitgefühl für polnische Flüchtlinge sich abgestumpft hat. Freilich haben sich viele derselben durch lockeres Betragen gerechten Tadel zugezogen; indessen giebt es in der polnischen Emigration nicht mehr verwerfliche Naturen als in jeder andern. Ich kann dies um so bestimmter behaupten, als ich Gelegenheit hatte, politische Flüchtlinge aus allen Ländern kennen zu lernen. Jede Emigration ist reich an faulen Elementen. Der Mensch wurzelt viel tiefer in seinem Vaterland, als er selbst glaubt. Plötzlich in die Fremde geworfen, wird er dort wie ein Wrack von sturmbewegten Wellen hin- und hergeschleudert. Er hat Noth und Drangsale auszustehen, Demüthigungen aller Art zu ertragen, bevor er sich eine geachtete Stellung erringt. Wer nicht mit einem eisernen Willen, mit einem unerschütterlichen sittlichen Charakter ausgerüstet ist, verkommt sehr schnell. Wie viele Deutsche sind seit 1848 im Exil untergegangen! Ein sehr beträchtlicher Theil der polnischen Colonie ist in Paris geboren, aber auch dieser Nachwuchs hegt die Hoffnung, einst für die Wiederherstellung Polens kämpfen zu können.

Die italienische Colonie war vor dem italienischen Befreiungskriege sehr zahlreich und großenteils aus politischen Flüchtlingen zusammensetzt. Unter diesen befanden sich ausgezeichnete Männer, die sich kümmerlich ernährten. Manin, der Präsident der Republik Venedig, z. B. gab Unterricht in der italienischen Sprache. Seit 1860 hat die Zahl der Italiener hier bedeutend abgenommen, doch leben in Paris noch an achttausend Individuen. Der Gesangunterricht ist fast ausschließlich in den Händen der Italiener. Ein Charakterzug derselben ist ihre bis zum Aeußersten getriebene Sparsamkeit. Man sieht eher zwei weiße Raben als einen verschwenderischen Italiener. Die Anekdoten, die man sich von der Knickerigkeit Rossini’s erzählt, sind durchaus nicht übertrieben. Der Italiener hat den Grundsatz: Nehmen ist seliger, denn Geben. Durch Rossini’s Tod haben die höheren Schichten der italienischen Colonie einen unersetzlichen Verlust erlitten. Der Salon Rossini’s bildete einen Vereinigungspunkt für seine Landsleute, welcher politischen Meinung sie auch angehören mochten. Sie sonnten sich im Glanze seines Ruhmes, und der alte Maestro freute sich ihrer Huldigungen. Gegenwärtig haben sie zur Befriedigung ihres Nationalstolzes blos die italienische Oper, in welcher aber vielleicht kaum die Hälfte der Künstler aus Italienern besteht; ein großer Theil des singenden Personals ist aus Deutschen, Franzosen und anderen Ausländern mit italienisch zugespitzten Namen zusammengesetzt. Wenn ich nicht irre, so ist der jetzige Capellmeister der italienischen Oper ein echter Germane.

Eine sehr zahlreiche und nach der deutschen die bedeutendste Colonie ist die belgische. Es leben in Paris fünfunddreißigtausend Belgier, die in allen Zweigen des Handels und der Gewerbe äußerst thätig und rührig sind. Auch in den Künsten sind sie verhältnißmäßig sehr stark vertreten. Die Compositeurs Grisar und Gevaert sind Belgier, und Adolph Sax, der berühmte Fabrikant und Erfinder musikalischer Instrumente, ist ebenfalls ein Belgier. Die im Paris lebenden belgischen Maler bilden eine ansehnliche Gruppe, deren Werke sich besonders durch vortreffliches Colorit auszeichnen. Gustav Wappers, der Schöpfer der belgischen Malerschule und ehemaliger Director der Antwerpener Akademie der

Schönen Künste, lebt seit einer Reihe von Jahren in Paris. Neben

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 280. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_280.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)