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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

noch mehr als eine Million fehlt. Es giebt in der Pariser deutschen Colonie sehr viel Nothdürftige, deren Zahl durch ununterbrochene Einwanderungen sich vermehrt. Die Mittel, über welche der Pariser deutsche Hülfsverein gebietet, sind verhältnißmäßig gering und kaum zulänglich, der allerdringendsten Noth abzuhelfen, so daß die individuelle Mildtätigkeit nur allzu oft Gelegenheit hat, die Hand zu öffnen.

Merkwürdig ist es, daß die so zahlreiche deutsche Colonie in Paris, in der, wie wir gesehen, alle Elemente menschlicher Thätigkeit vertreten sind, bisher noch kein deutschs Organ in der Presse besitzt. Alle Versuche, die in den letzten drei Decennien gemacht worden, eine deutsche Zeitung in Paris zu gründen, sind an der kalten Gleichgültigkeit unserer Landsleute gescheitert.

Vor einigen Jahren taten sich mehrere Männer zur Gründung eines großen geselligen Vereins zusammen. Derselbe sollte ein Mittelpunkt für die in Paris lebenden und zugleich für die zum Besuch nach Frankreich kommenden Deutschen bilden. Deutsche Gelehrte, Künstler, Kaufleute und Gewerbtreibende aller Art würden hier beim Besuche der Weltstadt jede mögliche Anleitung und Förderung gefunden haben, und ihr Aufenthalt wäre ihnen in jeder Beziehung angenehm und ersprießlich geworden. Eine bedeutende Summe war bereits unterzeichnet und ein Local für Restauration, Lese- und Concertsaal gefunden. Plötzlich zerfiel das Unternehmen, dem man aus Zersplitterungssucht allerlei Parteizwecke unterschob.

Freilich wird in keiner andern Stadt des Auslandes die Zersplitterungssucht des Deutschen so sehr befördert wie in Paris. Der Franzose mit seinem lebhaften Geselligkeitstrieb schließt sich vor dem Fremden nicht ab, sondern öffnet ihm gern sein Haus. Er hat eine nicht genug zu lobende Nachsicht gegen fremde Sitte und läßt jedem Ausländer seine Eigenart. Nirgendwo fühlt sich dieser leichter heimisch als in Paris. Er wird Pariser, ohne es zu merken. Keine Stadt der Welt hat eine solche Assimilationskraft wie die Hauptstadt Frankreichs. Was nun die Deutschen im Besondern anlangt, so werden sie in allen Kreisen gern gesehen. Tausende unserer Landsleute haben in Paris einen Hausstand gegründet und sind mit Französinnen verheirathet, und wenn sie nun auch ihr deutsches Wesen nicht aufgeben, so erwidern sie doch die Sympathieen, die sie in Frankreich gefunden und hegen keinen heißern Wunsch, als Deutschland und Frankreich, diese zwei großen Culturstaaten des Continents, in Frieden und Eintracht zu sehen. Diesen Wunsch theilt auch mit ihnen das französische Volk. Ein blutiger Conflict zwischen den zwei Nationen wäre der Ruin Europa's. Niemand fühlt dies lebhafter, als der in Frankreich lebende Deutsche. Wenn je eine Allianz vernünftig und naturgemäß war, so ist es die Allianz zwischen Frankreich und Deutschland. Beide Länder sind wie geschaffen, sich gegenseitig zu ergänzen, durch ein inniges Bündniß zu erstarken und die Freiheit und den Fortschritt in unserm Welttheil zu verbreiten und zu sichern. Der gesunde Menschenverstand sieht dies leicht ein und möchte lieber die Spinngewebe in den Arsenalen als in den Werkstätten sehen. Leider werden aber die Lenker der Nationen nicht immer von diesen Anschauungen geleitet. Daher die beständige Furcht, es könnten die Hinterlader und die gezogenen Kanonen am Ende doch die Stimme der Vernunft übertäuben. In welche Lage würden die in Frankreich lebenden Deutschen durch den Ausbruch eines deutsch-französischen Krieges gerathen! Nur wenige unserer Landsleute würden Frankreich verlassen können, und die Zurückbleibenden würden sich, wie auch die Kriegswürfel fallen mögen, in einem beklagenswerthen Zustande befinden. Die Siege Frankreichs würden ihren Patriotismus verwunden, die Siege Deutschlands ihren Aufenthalt in Frankreich verbittern. Wer eine unabhängige Feder führt, sollte daher Alles aufbieten, was zur Versöhnung, zur Verständigung der zwei großen Nationen beizutragen vermag.




Der Welfenschatz.

Im Dezember des Jahres 1650 kamen in die welfischen Lande über den dritten Sohn des Herzogs Georg, des Odysseus im dreißigjährigen Kriege, seltsame Gerüchte: der Fürst war nach Italien gereist; hier sei er stets von Jesuiten umlagert, das Disputiren über Religion nehme kein Ende und es sei wohl gar ein Confessionswechsel zu befürchten. Die Sache war richtig. Herzog Johann Friedrich nahm auf die dringenden Vorstellungen seiner Mutter und seiner Brüder, die ihn „von dem für einen norddeutschen Prinzen nicht anständigen Schritte abzumahnen“ strebten, gar keine Rücksicht, sondern trat wirklich zu Assisi förmlich und feierlich zur katholischen Religion über.

Diese Nachrichten erregten in den welfischen Stammlanden ein gewaltiges Aufsehen. Nach dem Testamente des Herzogs Georg († 1641), des Vaters des Convertiten war es Grundsatz, daß wichtige Aemter nur von Anhängern des Augsburgischen Glaubensbekenntnisses verwaltet werden sollten. Nach einem Statute der Altstadt Hannover vom Jahre 1588 sollten nur Lutheraner in der Stadt geduldet werden und kein Andersgläubiger auch nur eine Nacht in Hannover zubringen. Selbst noch im Jahre 1798 mußte der zum Auditor bei der Justiz-Kanzlei in Hannover ernannte Graf Ferdinand von der Lippe-Biesterfeld vor Zulassung zu den gewöhnlichen Prüfungen das reformirte Glaubensbekenntniß verlassen und das lutherische annehmen! Hiernach ermesse man den Eindruck, den in den Stammlanden die Nachricht von des Herzogs Uebertritt zum Katholicismus machen mußte. Als Johann Friedrich unmittelbar darauf nach Hause schrieb und für den Fall, daß man ihm freie Ausübung seiner Religion und die früheren Deputatgelder bewilligen würde, seine Heimkehr in Aussicht stellte, kam die Sache zunächst vor die Consistorien, die Helmstädter Theologen und den Ausschuß der Stände. Nach langem Debattiren erfolgte der Bescheid, daß in Folge der frühern Recesse einem Mitgliede der fürstlichen Familie die Ausübung der katholischen Religion im eigenen Lande nicht zugestanden werden könne.

Im Jahre 1665 gelangte Herzog Johann Friedrich in Hannover zur Regierung. Man war mittlerweile im Punkte der Religion milder geworden, und das Privat-Exercitium der katholischen Confession von Seiten des Fürsten ward in keiner Beziehung mehr beanstandet. In das eifrig protestantische Land kam der zum apostolischen Vicar und Bischof von Marocco ernannte Valerio Maccioni, die Schloßkirche wurde für den Hof zur Messe geweiht, italienische Sänger zur Capelle verschrieben, den Capuzinern im Schlosse ein Hospitium eingeräumt - und das Land erlebte nun das Schauspiel des katholischen Gottesdienstes, wovon man anderthalb Jahrhunderte lang keine Spur mehr gesehen, das aber auch den Tod des Herzogs († 1679), also vierzehn Jahre, nicht überdauern sollte.

Dem Herzog Johann Friedrich nun verdankt Hannover die weitberühmte Sammlung von kirchlichen Gefäßen und Reliquien, die gegenwärtig in dem Museum für Kunst und Industrie zu Wien der allgemeinen Bewunderung als Theil des Welfenschatzes zur Schau gestellt ist.

Die Geschichte dieses wirklichen Schatzes von Kunstwerken und Alterthümern ist nicht ohne Interesse. Sie knüpft sich zunächst an Heinrich den Löwen und seine sagenreiche Wallfahrt nach dem gelobten Lande. Heinrich unternahm dieselbe im Anfange des Jahres 1172, gelangte am Charfreitage nach Constantinopel und wurde mit seinem Gefolge von dem griechischen Kaiser Manuel Comnenus auf die ehrenvollste Weise glänzend aufgenommen, der ihm, als Heinrich, von Jerusalem zurückgekehrt, wieder in Byzanz einsprach, viele und köstliche Reliquien der Heiligen und dazu eine Fülle kostbarster Edelsteine zum Geschenk machte.

Nach seiner Rückkehr in Braunschweig begann Heinrich den Bau

der neuen Stiftskirche St. Blasius. Die innere Ausstattung war eine glänzende. Heinrich schmückte die Kirche, die er für sich und seine Gemahlin Mathilde zur letzten Ruhestatt erkoren, mit herrlichen (jetzt wieder hergestellten) Wandgemälden und Fensterzierrathen, mit einem prächtigen Fußboden, setzte auf den Altar ein kostbares, von Gold und Edelsteinen strahlendes Kreuz, stellte in das Schiff der Kirche den jetzt auf dem Chor befindlichen siebenarmigen Candelaber, ließ aus den mitgebrachten morgenländischen Stoffen köstliche Meßgewänder anfertigen und vor Allem: er begabte sein Stift mit den unschätzbaren Reliquien, den Geschenken des Kaisers Manuel, die er, soweit dies noch nicht geschehen, in Gold und Silber, Perlen und Edelsteine fassen ließ. Dazu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 282. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_282.jpg&oldid=- (Version vom 6.5.2022)