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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


Craubner eigenhändig in eine Art von Haushaltungsbuch tagebuchartig in säuberlichster Weise eingetragen. Seine Ankunft in Oranienbaum und an der Stelle, wo jetzt die Colonie sich befindet, meldet er mit den Worten: „Am 30. December 1799 sind wir allhier angekommen im fremden Lande. Es ist überall eine große Wildniß. Alles ist voll Bäume, Birken und Tannen, und voll arger, böser Steine, und darunter liegt der große See. Schnee und Eis ist aber überall, auch auf dem See. Der Herre Gott, allgütiger Vater, wolle meinem Arm Stärke geben und Kraft, auf daß mir Frau und Kindlein nicht verkommen in dem fremden, wüsten Lande.“

Uebel genug muß es damals ausgesehen haben. Denn wo jetzt fruchtbares Ackerland und Wiesen, war damals Alles Sumpf oder Waldwildniß, deren Urbarmachung durch ungeheure, in reicher Anzahl hier und da verstreute erratische Blöcke noch besonders erschwert wurde. Aber Christian Ulrich Craubner und die Seinen verzagten doch nicht. Eifrig schwangen sie die Axt; dröhnend fiel der Hammer auf den Granit; was ihm widerstand, wich der sprengenden Gewalt des Pulvers. Bald lichtete sich der Wald; die Felsblöcke verschwanden. Tiefe Gräben leiteten aus den Morästen und Sümpfen das faulige Wasser zur Ostsee hinab, und bald lagen jene ausgetrocknet da. Jetzt furchte zum ersten Male der Pflug den urbar gemachten Boden; das erste Saatkorn vertraute der ehemalige Schullehrer mit frommem Gebet der fruchtbaren Erde an. Mit heißem Dank gegen Gott registrirte er dann in der Familienchronik die erste Ernte; sie war über alles Erwarten reich und gut ausgefallen. Mit rastlosem, echt deutschem Fleiße wird von den Ansiedlern unverdrossen weiter gearbeitet. Die provisorischen kleinen Hütten, die man zum ersten Obdach hergerichtet hatte, verwandeln sich bald in behagliche Blockhäuser. Feld reiht sich an Feld, Wiese an Wiese. Nach Oranienbaum hin bauen die Colonisten mit Hülfe der russischen Regierung einen Weg. Die Großfürstin Helene Páwlowna besuchte die Colonie zum ersten Male. Ihre Anerkennung für das, was bereits geleistet ist, ihre Rathschläge, ihre thätige Hülfe fachen zu neuem Eifer an.

Den Christian Ulrich Craubner aber traf im Jahre 1807 ein harter Schlag. Sein liebes Eheweib, Anna Charlotte geb. Roth aus Tuttlingen, starb am Fieber und bald nach ihr zwei ihrer Kinder. Er senkte sie „als eine Aussaat für die Auferstehung köstlicher denn Gerst und Waitzen“ in die fremde Erde hinab, die ihm, wie er schreibt, erst dadurch ganz heimisch wurde. Der Alte sah noch manchen Enkel geboren werden; er erlebte es noch, daß von Kronschtádtskaja aus neue Colonien gegründet wurden; daß in die Villen des eigenen Dörfchens die ersten Sommergäste zogen. Unter dem 3. Februar 1833 hat sein ältester Sohn, der Vater des jetzigen Schulzen, in die Familienchronik eingetragen: „In dieser Nacht ist mein Herr Vater Christian Ulrich Craubner, 81 Jahre alt, sanft verstorben. Er hat zuletzt noch zu uns gesagt: ‚Halt euch von den Russen, so werdet ihr bestehen‘. Sit ei terra levis!“ Es war offenbar ein tüchtiger, achtungswerther Mann. Seine Söhne und Enkel haben in seinem Sinne weiter gewirkt. Mit Neid blickt der Russe, mit Freude jeder Deutsche, mit gerechtfertigtem Stolze der Colonist selbst auf die blühende Colonie, auf ihre behäbigen Gehöfte, ihre fruchtbaren Aecker, ihre saftigen Wiesen. Ein vornehmer Russe, dessen talentvollen Söhnen ich in Petersburg Privatstunden gegeben hatte, besuchte mich mit meinen Schülern während meiner Villeggiatur in Kronschtádtskaja Kolónia. Wir trafen bei einem Spaziergang den Schulzen Conrad Daniel Craubner mit seinen Söhnen und Knechten beim Roggenmähen. Unter ihren Sensenhieben sanken die goldgelben Halme mit ihren schweren Aehren in dichten Lagen nieder. Graf Sch. bewunderte den Reichthum der Ernte, wie überhaupt die vorzügliche Cultur aller Felder und fragte (er wußte, wie es früher hier ausgesehen hatte und wie es in den benachbarten russischen Dörfern noch aussah):

„Wie haben Sie das Alles nur so weit gebracht? Da haben Sie gewiß erst viel Geld hineinstecken müssen, guter Freund?“

„Geld, Herr? Nein! Wo hätte mein Großvater das her haben sollen? Aber Schweiß, Herr, viel Schweiß!“ antwortete der Schulz, die mächtige Gestalt hochaufrichtend und mit der schwieligen Hand über die gefurchte, braungebrannte Stirn streichend, auf der von der emsigen Arbeit die hellen Schweißtropfen standen.

Als ich im September nach Petersburg zurückkehren mußte, wurde es mir recht schwer, mich von der Colonie zu trennen, und ich versprach meinem Hauswirth, seiner dicken Mutter, der ganzen Familie, im folgenden Sommer wieder zu ihnen zu kommen. Verhältnisse zwangen mich im Frühjahr 1866 eilig nach Deutschland heimzukehren. Ich hatte nicht einmal Zeit, meinen Bekannten in Kronschtádtskaja Kolónia Lebewohl zu sagen. Seitdem habe ich von ihnen und der Colonie nichts mehr gehört. Möge es ihnen auch ferner gut gehen! Möge es ihnen vor Allem gelingen, ihr deutsches Wesen zu bewahren! Daß es ihnen in dieser Hinsicht bei der jetzt in Rußland und zwar auch in den Regierungskreisen herrschenden hyperslavistischen Richtung an mancherlei Anfechtungen nicht fehlen wird, ist leider nicht zu bezweifeln.

M. Sturmhaupt.     




Kleiner Briefkasten.

G. B. in W…r. Gewiß wird die Gartenlaube auch Illustrationen aus dem großartigen Berliner Aquarium bringen, doch nicht vor Vollendung desselben, weil selbstverständlich erst nach dieser ein anschauliches Bild des Ganzen gewonnen werden kann.

B. in M. Sie kommen unserer Berichtigung zuvor; allerdings war es nur ein Druckfehler, wenn in unserem kleinen Artikel über das Wilhelmsthaler Schloss in Hessen (Nr. 16) gesagt wurde, die daselbst befindliche Schönheitsgalerie habe die Portraits der Damen von König Jerome’s Hof enthalten; es sollte vielmehr heißen: Damen am Hof und aus der Zeit des Landgrafen Wilhelm, des Erbauers des hübschen Rococoschlosses.

R. in S. Eine Einschaltung der Redaction, welcher die localen Verhältnisse so genau nicht bekannt sind, hat die Meinung erweckt, das in dem Artikel: „Aus der Welt jugendlicher Verbrecher“ (Nr. 10) angeführte Rettungshaus befinde sich in Rummelsburg. Das ist nicht der Fall. Der Verfasser fungirte früher an einem Berliner Rettungshause, ist aber gegenwärtig am großen Friedrichs-Waisenhause der Stadt Berlin zu Rummelsburg angestellt.


Inhalt: Reichsgräfin Gisela. Von E. Marlitt. (Fortsetzung.) – Pfingstparadies im Herzen Deutschlands. Mit Abbildungen. – Literarische Briefe. An eine deutsche Frai in Paris. Von Karl Gutzkow. IV. – Ein parlamentarischer Abend bei Bismarck. – Ein würtembergisches Dorf an der Ostsee. – Kleiner Briefkasten.




Im Verlage von Ernst Keil in Leipzig ist soeben erschienen:

Ludwig Steub,
Altbairische Culturbilder.
Elegant brosch. 0 Preis 1 Thlr.

Das Buch hat bekanntlich großes Aufsehen erregt und ist von der Presse allgemein mit Enthusiasmus aufgenommen worden. Der Titel läßt nur Localschilderungen vermuthen, aber der Inhalt greift sehr weit und tief über den Boden hinaus, mit dem seine Darstellungen sich beschäftigen. Es ist unstreitig ein interessantes und gewichtvolles Buch. An dem Beispiele des fröhlichen und von der Natur so reich gesegneten Altbaiern, wo sich aber Pfaffenthum und finsterer Ultramontanismus noch einer möglichst unerschütterten und ungestörten Herrschaft über das schöne und kraftvolle, doch roh und rauh, wüst und unwissend gebliebene Landvolk erfreuen, an diesem bemerkenswerthen Producte kirchlicher Volkserziehung zeigt uns der Verfasser die Nothwendigkeit zu energischem Ankämpfen gegen jenes culturwidrige Element in einer Weise, daß sie mit Händen zu greifen ist. Es geschieht dies nicht auf dem Wege des Raisonnements und der tendenziösen Betrachtung, sondern mit Hülfe der scharfen Beweise, die sich Ludwig Steub als gründlicher Specialforscher aus der älteren und neueren Geschichte zu holen und für das Verständniß unserer Zeitbewegung und ihrer Fragen nutzbar zu machen weiß.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 320. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_320.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)