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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


auf die Magengegend gelegter Briefe schon producirt worden. Darum ist es sehr zu verwundern, daß jener Preis von zehntausend Franken, welchen vor mehr als vierzig Jahren die Pariser Akademie der Wissenschaften ausgesetzt hat, noch bis heute nicht verdient worden ist. Jene Summe ist nämlich derjenigen Somnambule versprochen worden, die vor einer Kommission der Akademie ein von dieser mitgebrachtes, versiegeltes, auf die Magengrube der Somnambule gelegtes Schriftstück zu lesen vermag. Wie gesagt, der Preis ist noch heute zu verdienen, und wenn ich recht unterrichtet bin, so hat sich in dieser langen Zeit, ungeachtet der erlassenen öffentlichen Bekanntmachungen, noch nicht einmal eine einzige Somnambule dazu gemeldet, jene Prüfung zu bestehen. Ich denke, die Somnambulen werden selbst am besten wissen, daß gewisse Vorbereitungen dazu gehören, um einen verschlossenen Brief mit dem Magen zu lesen; vor allem Andern, daß man vorher wissen muß, was darin steht. Wie vortrefflich gleichwohl diese mysteriöse Lectüre bisweilen ausgeführt wird, davon finden wir eine hübsche Probe in Schleiden’s Studien. Es sei mir gestattet, sie hier mitzutheilen.

Es waren, so erzählte dem Verfasser der Studien der bekannte Arzt Himly, es waren alle meine sorgfältigsten Bemühungen, mich von der Wahrheit der magnetischen Erscheinungen zu überzeugen, vergebens gewesen; immer hatte meine Gegenwart den Eintritt der Ekstasen verhindert, oder ich war auf so grobe Täuschungen gestoßen, die keiner weiteren Beobachtung würdig waren. Da beschloß ich endlich, eine Reise nach Halle zu unternehmen, wo unter der Aufsicht eines der berühmtesten Professoren und Gelehrten eine, wie behanptet wurde, ganz unzweifelhaft hellsehende Somnambule die wissenschaftliche Welt in Erstaunen setzte. ich wurde von jenem Manne freundlich aufgenommen, wohnte allen Erscheinungen bei, und selbst bei der allerkritischesten Prüfung war es mir unmöglich, auch nur eine Spur eines gespielten Betruges zu entdecken. Eines Morgens, als die Somnambule im Schlaf lag und soeben vorhergesagt hatte, daß sie sich diesmal, wie auch sonst zuweilen geschehen, recht wohl aller Begebenheiten, die während ihres Schlafes vorgefallen, erinnern werde, wurde ein Billet von einer Freundin gebracht. Ich nahm es dem Ueberbringer ab, und im Einverständniß mit dem Arzte erbrach und las ich es (in Gegenwart der Schlafenden) laut vor. Es enthielt die Bitte um eine Stickerei. Der Brief wurde der Somnambule auf die Magengrube gelegt und von ihr ohne Schwierigkeit wörtlich abgelesen. Wir warteten mit Interesse das Ende des Schlafes ab, welches nach einer Stunde erfolgte. Nach einigen Reden über ihr Befinden fragte die Dame, ob nicht ein Billet an sie gekommen sei. Wir erstaunten und wünschten den Inhalt desselben von ihr zu erfahren, den sie auch sogleich ganz wörtlich mittheilte. Da entfaltete ich das in meiner Hand gebliebene Papier; es enthielt nichts, als das von mir selbst geschriebene Wort: Attrapée! (ertappt!) ich reiste natürlich sogleich völlig aufgeklärt ab. Die Somnambule fuhr aber nichtsdestoweniger fort, noch lange unter der Leitung jenes berühmten Mannes ihre Rolle zu spielen, den ich seitdem nicht für einen Betrüger, aber für einen sehr einfältigen Betrogenen halte. So weit Himly, und gleichen Erfolg haben, setzt Schleiden hinzu, ohne eine einzige Ausnahme, alle mit gleichem Scharfsinn angestellte Proben gehabt.

Obgleich man von Denen, die sich für eine Somnambule interessiren, gewöhnlich behaupten hört, es liege für die Kranke gar kein denkbarer Grund vor, jenen Zustand zu simuliren, so trage ich doch nicht das geringste Bedenken, alle Fälle der höheren Schlafkunst in zwei Kategorien zu bringen; in der einen herrscht das Motiv der Gewinnsucht, und man muß leider gestehen, daß der gewerbmäßige Somnambulismus meist ein sehr lucratives Geschäft ist; zu der zweiten Kategorie zähle ich die Fälle, wo der Wunsch, sich interessant zu machen, das Motiv zum Hellsehen bildet. Und man wird mir gewiß zugeben, daß es für ein bleichsüchtiges Mädchen, dem das Loos bisher zugetheilt war, ziemlich unbeachtet zu bleiben, etwas ungemein Reizendes hat, plötzlich der Gegenstand andachtsvoller Aufmerksamkeit und Bewunderung zu werden. Hat doch dasselbe Motiv ein junges Mädchen im Krankenhause zu Kopenhagen vermocht, sich jahrelang fast täglich Glasscherben, Nadeln, abgebrochene Messerklingen etc. mit den größten Schmerzen unter die Haut zu bohren, wo sie dann Entzündungen und Geschwüre erzeugten. Sie dachte, man würde nicht begreifen können, wie jene Gegenstände unter die Haut kämen, und hoffte sich dadurch den Aerzten und dem Publicum interessant zu machen, wie sie selbst gestand, als man sie endlich bei ihren Manövern ertappte.

Noch Vieles wäre über diesen Gegenstand zu sagen, auch über Anderes noch, was in dieses Thema einschlägt, wie Psychographie, Sympathie, moderne Gespenster etc. Allein es ist Zeit, mich der Regel zu erinnern, daß, wenn an einem Aufsatz nichts zu loben ist, es doch immer bereitwillige Anerkennung findet, wenn er zur rechten Zeit schließt.

Ich wünsche nicht den Eindruck gemacht zu haben, als sei ich ein Feind der Phantasie. Nur da möchte ich die Phantasie mit Erfolg bekämpfen, wo sie nun einmal nicht hingehört; wo es gilt, Naturerscheinungen zu beobachten und zu erklären, leitet sie unser Urtheil irre und ist daher von diesem Gebiete streng fern zu halten. Die Phantasie ist etwas Schönes, aber die Wahrheit ist so schön, daß, wenn beide sich im olympischen Saal begegnen, Goethe’s Lieblingsgöttin vor der Wahrheit sich demüthig neigt und den schönsten ihrer Blumenkränze ihr auf das strahlende Haupt drückt. Und ständen der Phantasie auch nicht die unergründlichen Tiefen des Menschenherzens zu Gebote, stände ihr nicht das Reich der Farben und der Töne offen, sie würde immer noch genug Stoff in der ästhetischen Naturbetrachtung finden; denn nicht davon, nur von der Beobachtung und Forschung möchte ich sie ausgeschlossen wissen. – Die Welt als Ganzes wie im Einzelnen betrachtet, der gewaltige Lichtball, unsere Sonne, wie das Vergißmeinnicht am Bache, die unzähligen Weltkörper, welche uns vom nächtigen Himmel herab ihre Strahlengrüße aus unermeßlicher Ferne zusenden, wie die unscheinbare Muschel am einsamen Meeresstrand – das Alles sind so große Wunder, daß es wahrlich der Phantasie bei der Naturbetrachtung nie an Nahrung fehlen kann; sie wird immer dem bunten Schmetterling gleichen, der über tausend duftigen Blüthen einhergaukelt und vor Uebermuth und in der Luft vor all’ dem lockenden Ueberfluß nicht weiß, auf welche Blüthe er sich zuerst niederlassen soll.




Bock’s Briefkasten.

Warum heiße Sandbäder in vielen Fällen den warmen Wasserbädern vorzuziehen sind? Da, wo man durch anhaltend angewendete große Wärme krankhaftes im menschlichen (und thierischen) Körper erweicht, aufgelöst und aufgesogen zu sehen wünscht, ganz besonders bei chronischen Gelenkleiden und sogenannten Rheumatismen, da sind heiße Sandbäder deshalb von größerer Wirksamkeit als warme Wasserbäder, weil erstere bei einem weit höheren Temperaturgrade viel längere Zeit angewendet werden können, als letztere. Während ein warmes Wasserbad von einigen dreißig Grad Wärme kaum zu ertragen ist und man nur kurze Zeit darin zubringen kann, läßt sich in einem heißen Sandbade von vierzig bis fünfzig Grad Wärme stundenlang (zumal in einem örtlichen Bade) verweilen. Wenn Manche den Salzen, die sich in den warmen Wasserbädern aufgelöst vorfinden, eine besondere heilsame Wirkung zutrauen, so mögen sie sich sagen lassen, daß unsere Körperoberfläche mit einem ziemlich undurchdringlichen Hornpanzer (mit hornartiger Oberhaut, Epidermis) überzogen ist und daß das im Badewasser Aufgelöste während der Zeit des Badens nicht in das Innere des Körpers eindringen und drinnen curiren kann. Die warmen Wasser- und Moorbäder, welche zur Cur empfohlen werden, nützen nur durch ihre Wärme und stehen jedenfalls den heißen Sandbädern nach. Daß diese von den Heilkünstlern zur Zeit noch nicht so empfohlen werden, wie sie es verdienen, hat seinen Grund darin, daß solcher Bäder nur noch wenige und erst seit kurzer Zeit existiren, daß ihre Einrichtung ziemlich schwierig ist und daß noch wenig über deren ausgezeichnete Wirksamkeit bekannt gemacht wurde. Verfasser, der seit einigen Jahren die großartige Wirkung dieser Bäder in Köstritz zu beobachten Gelegenheit hatte, ist fest überzeugt, daß das heiße Sandbad eine große Zukunft hat, und er möchte den Badedirectionen anrathen, sich baldigst zur Anlegung heißer Sandbäder zu entschließen. Es könnte ja dann auch nach jedem Sandbade noch ein Mineralbad genommen werden, um diesem seinen alten guten Ruf nicht zu verderben. – Die dem Verfasser zur Zeit bekannten Orte, wo künstliche Sandbäder existiren (natürliche werden von der Sonne an sandigen Plätzen und Flußufern hergestellt), sind: Köstritz, an der Eisenbahn zwischen Zeitz und Gera, mit lieblicher waldiger Umgebung, reizenden Parkanlagen und berühmten Blumengärten; – Dresden, beim Herrn Dr. Flemming; – Leipzig, in der pneumatischen Heilanstalt; – Berka bei Weimar; – Travemünde, mit Bädern aus erwärmtem Seesande. Sollten noch irgendwo solche Bäder bestehen, so bittet Verfasser um Benachrichtigung. Bock.     




Inhalt: Maimorgengang. Gedicht. Von Victor Scheffel. – Reichsgräfin Gisela. Von E. Marlitt. (Fortsetzung.) – Der Bürger zweier Welten. Von Ludwig Bamberger. Mit Portrait. – Noch ein parlamentarischer Abend bei Bismarck. – Bilder aus dem Schwarzwalde. V. Von St. Georgen bis zum Wald hinaus. Mit Abbildungen. – Aus der Rumpelkammer des modernen Aberglaubens. Von Dr. J. Schwabe. (Schluß.) – Bock’s Briefkasten.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 352. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_352.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)