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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

No. 23.   1869.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Reichsgräfin Gisela.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)


„Herr von Oliveira hat ganz Recht, wenn er kein Eis annimmt,“ sagte der Minister hinzutretend, „er kam sehr echauffirt vom Brandplatze. … Du aber solltest Deine Pflichten als Dame des Hauses nicht so exaltirt auffassen, mein Kind!“ – Er nahm ihr mit einem finstern Blick den Präsentirteller aus den Händen und übergab ihn dem herbeieilenden Lakai. – „Uebrigens, wie ich bereits im Dorfe hörte, gefällst Du Dir ja heute in der Rolle der heiligen Landgräfin Elisabeth. … Schloß Greinsfeld ist avancirt zur Herberge der Obdachlosen und Bettler!“ –

„O, lassen Sie doch der Jugend ihre Ideale!“ rief der Fürst herüber, indem er sich erhob. „Mein lieber Baron Fleury, wir wissen ja am besten, daß man sie selten mit in das höhere Alter hinübernimmt! … Sorgen Sie getrost für Ihre Schützlinge, meine liebe, kleine Gräfin – auch ich werde nicht ermangeln, mein Scherflein beizutragen. … Und nun, ehe ich gehe, eine herzliche Bitte! … Ich kehre übermorgen nach A. zurück, werde mir aber morgen erst noch die Freude machen, ein kleines Amüsement im Walde zu veranstalten – wollen Sie als mein Gast kommen?“

„Ja, Durchlaucht, von Herzen gern,“ entgegnete sie ohne Zögern.

„Das ist’s aber nicht allein, was ich wünsche,“ fuhr der Fürst lächelnd fort. „Ich sehe ein, daß ich Ihrem allzu ängstlichen und zärtlichen Papa zu Hülfe kommen muß – er läßt Sie möglicherweise noch Jahre lang in der Einsamkeit schmachten, aus unbegründeter Angst vor der Wiederkehr Ihres Leidens. … Ich setze deshalb Ihre Vorstellung bei Hofe für die nächste Woche fest und freue mich kindisch auf das Erstaunen der Fürstin, wenn sie urplötzlich die wiedererstandene Gräfin Völdern vor sich steht.“

Der Minister verhielt sich vollkommen ruhig und schweigend bei dieser Eröffnung. Die Lider lagen tief über den Augen, und kein Muskel des eisernen Gesichts bewegte sich; aber die Farbe der Wangen spielte in’s Grünliche.

Dagegen fuhr der Medicinalrath empor, als habe ihn eine elektrische Batterie getroffen.

„Halten Euer Durchlaucht zu Gnaden, aber diese allergnädigsten Maßregeln erschrecken mich ganz außerordentlich!“ stammelte er. „Meine heilige Pflicht als Arzt –“

„Ah bah, Herr Medicinalrath,“ unterbrach ihn Serenissimus, und die kleinen grauen Augen blickten ziemlich ungnädig. „Mir scheint, Sie überschätzen den Umfang Ihrer Pflichten. … Ich möchte Ihnen fast zürnen, daß Sie Seine Excellenz so ganz und gar nicht zu ermuthigen verstehen!“

Der Medicinalrath brach zusammen und zog sich in tiefster Zerknirschung zurück. … Fürstliche Ungnade! O Donnerwort! …

Frau von Herbeck stand erstarrt vor dieser Niederlage. Sie hatte anfänglich nach einem Blick auf das verfärbte Gesicht Seiner Excellenz sehr resolut und kampffertig ausgesehen – das war vorbei. Dennoch fand sie den Muth zu einer schüchternen Einwendung.

„Ich habe nur ein Bedenken, Durchlaucht,“ wagte sie einzuwerfen. „Die Gräfin besitzt nicht eine einzige Toilette –“

„Lassen Sie das!“ unterbrach sie der Minister finster. „Seine Durchlaucht haben befohlen, und das genügt, sofort jedes Bedenken fallen zu lassen. … Für die Toilette wird die Baronin Sorge tragen.“

Gisela fuhr bei dieser Versicherung zurück.

„Nein, Papa – ich danke!“ rief sie erregt. „Durchlaucht,“ wandte sie sich mit einem lieblichen Lächeln an den Fürsten, „darf ich nicht im weißen Muslinkleid kommen?“

„Versteht sich – kommen Sie, wie Sie da vor mir stehen! Wir sind ja nicht am Hofe zu A. … Und nun à revoir!

Die Wagen hielten bereits am Thor. Man hatte auch das Pferd des Portugiesen gebracht.

Nach wenigen Minuten lag der Greinsfelder Schloßgarten wieder im tiefsten Schweigen. Gisela aber stand noch lange unter der Linde und verfolgte die Staubwolken, welche die Wagen aufwirbelten. … Durch ihre Seele zogen Wonnen und Schmerzen. … Bis in alle Ewigkeit konnte sie den Blick nicht vergessen, mit dem er sie an seine Brust gezogen hatte. … Und doch, und doch wollte er die Waffen gegen sie erheben! …

Mittlerweile lief Frau von Herbeck wie wahnwitzig im Schlosse umher – ihre sämmtlichen Roben waren zum Verzweifeln unmodern. Dazu hing ein furchtbares Gewitter in den Lüften, das sich unausbleiblich auch über ihrem Haupte entladen mußte. … Auch bei den heftigsten Affekten hatte sie ja das Gesicht Seiner Excellenz noch nie „grünlich“ gesehen. …


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 353. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_353.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2021)