Seite:Die Gartenlaube (1869) 386.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

nüchtern und unscheinbar aussehen; wenn aber erst alle diese Sternenkränze und farbenschimmernden Ballons in die Sommernacht hineinglühten, dann durfte der alte Wald schon meinen, die Gnomen hätten ein Stück unterirdischer Feenwelt emporgehoben, um seine scheuen Dryaden zu blenden.

Der Wink des Fürsten hatte viel Glanz, Reichthum und Schönheit auf dem kleinen Wiesenplan versammelt. Freilich die allerschönsten und jüngsten Damen waren noch nicht sichtbar – sie sollten als Elfen, Zigeunerinnen, Räuberbräute und was sonst der Wald an poetischen und phantastischen Gestalten besitzt, im lebenden Bild erscheinen. Ein Purpurvorhang spannte sich vor mehrere der prächtigen Eichenstämme, um im geeigneten Moment droben unter dem Laubdach zu verschwinden und das festgezauberte Bild der Jugend und Schönheit inmitten lebender, naturwüchsiger Dekorationen zu zeigen – ein pikanter Gedanke, den künstlerische Hände bis in die feinsten Details auszuführen gesucht hatten.

Alle diese Anstalten zu einem glänzenden Fest ließen nichts zu wünschen übrig, dagegen war man nicht sicher, ob es auch ungestört verlaufen werde. Man litt schwer unter einer entsetzlichen Hitze; Fächer und wehende Taschentücher waren unausgesetzt in Bewegung; selbst unter den Eichen und Buchen herrschte die ungemilderte Gewitterschwüle – kein Blatt regte sich; der sonst so bewegliche Spiegel des Sees lag glatt und träge wie geschmolzenes Blei in seinem Uferring, und der letzte Sonnenduft flog als okergelber Schein über den Himmel hin.

Langsam, mit nachdenklich gesenktem Kopf und die Hände auf dem Rücken verschränkt, kam der Portugiese vom Waldhause her. Er war auch einer der Geladenen, aber er gehörte nicht zu ihnen, die sich Alle ohne Ausnahme amüsiren wollten – dieses finster dräuende Gesicht warf einen Schatten vor sich her, wie die leise aufsteigenden Gewitterwolken am Horizont.

Dann und wann schwoll das Stimmengeräusch auf der Waldwiese empor wie das Brausen einer fernen Brandung und drang herüber auf den einsamen Waldweg – der Portugiese blieb jedesmal wie festgewurzelt stehen, und sein feuriges Auge drang durch das Dickicht mit dem Ausdruck der entschiedensten Abneigung; dennoch schritt er entschlossen weiter, wie Einer, der das ihm feindselige Element aussucht, um sich mit ihm zu messen.

Plötzlich rauschte es neben ihm im Gebüsch – eine reizende Zigeunerin stand vor ihm und vertrat ihm mit einer sehr energischen Haltung den Weg.

„Halt!“ rief sie und hielt ihm ein allerliebstes kleines Terzerol entgegen, das seine Abstammung von Pappe und Goldpapier nicht verleugnen konnte.

Sie trug eine schwarze Halbmaske vor dem Gesicht; allein die Stimme, die bei aller entwickelten Energie und Kühnheit doch ein wenig gezittert hatte, das runde Kinn mit dem Grübchen und der ganze lieblich geformte untere Theil der Wangen, der wie weißer, duftiger Sammet unter dem schwarzen Spitzenbart hervorschimmerte, ließen den Portugiesen nicht einen Augenblick im Zweifel, daß die schöne Hofdame vor ihm stehe.

„Mein Herr, es gilt weder Ihren Amethysten und Topasen, noch der Börse!“ sagte sie, indem sie sich bemühte, ihrer Stimme sonore Festigkeit zu geben. „Ich ersuche Sie, mich in Ihrer Hand lesen zu lassen!“

Schade, daß die blasse, ätherische Blondine den Triumph der Freundin nicht sehen konnte – der düstere Mann konnte allerdings lächeln, und wie interessant wurde sein schöner Kopf unter dem Sonnenschein, der die Züge flüchtig erhellte!

Er streifte den Handschuh ab und hielt die innere Fläche seiner Rechten hin.

Sie wandte blitzschnell den Kopf nach allen Seiten, und die Augen, die wie schwarze Diamanten aus der Maske funkelten, tauchten mißtrauisch in das Gebüsch. … Ihre feinen Finger bebten bedenklich, als sie die Hand des Portugiesen berührten.

„Ich sehe hier einen Stern,“ erklärte sie in scherzendem Ton, während sie scheinbar mit großer Aufmerksamkeit die Lineamente prüfte. „Er sagt mir, daß Ihnen sehr viel Macht über die Herzen der Menschen verliehen sei – selbst über fürstliche. … Aber ich darf Ihnen auch nicht verheimlichen, daß Sie dieser Macht allzu sehr vertrauen.“

Ein köstliches Gemisch von Ironie und Belustigung lag in dem feinen Lächeln, das abermals durch die Züge die Mannes zuckte. Er stand so überlegen vor der reizenden Wahrsagerin, daß sie sichtlich mit sich rang, um nicht aus ihrer Rolle zu fallen.

„Sie lachen mich aus, Herr von Oliveira,“ sagte sie, indem sie, seine Hand sinken lassend, verlegen das Terzerol wieder in den Gürtel steckte; „aber ich werde meine Behauptung motiviren. … Sie schaden sich durch Ihren – entschuldigen Sie, mein Herr – durch Ihren entsetzlich rücksichtslosen Freimuth!“

„Wer sagt Ihnen denn, schöne Maske, daß ich das nicht weiß?“

Die glänzenden Augen richteten sich erschrocken auf das braune Gesicht des Sprechenden.

„Wie – Sie könnten mit voller Absicht Ihren eigenen Vortheil mißachten?“ fragte sie in überstürzender Hast.

„Kömmt es nicht vor Allem darauf an, was ich für meinen Vortheil halte?“

Sie stand einige Secunden lang völlig rathlos da ihre Augen hingen am Boden – dennoch schien sie nicht gewillt, ihre Mission so rasch und erfolglos beendet zu sehen.

„Darüber kann ich freilich nicht mit Ihnen streiten,“ hob sie wieder an. „Sie werden mir jedoch den allgemein gültigen Satz zugeben, daß es nicht gut ist, Feinde zu haben.“ Sie griff abermals, wenn auch zögernd, nach seiner Hand und tippte mit dem Zeigefinger auf die innere Fläche derselben. „Und Sie haben Feinde, schlimme Feinde,“ fuhr sie, in den früheren halbscherzenden Ton verfallend, fort. „Da sehe ich z. B. allein drei Herren, die den Kammerherrnschlüssel tragen – sie bekommen Nervenschmerzen und Krämpfe, wenn sie demokratisches Element von ferne wittern – damit soll jedoch nicht gesagt sein, daß ich nicht auch eine entschiedene Feindin desselben bin – auch ich darf freimüthig sein, nicht wahr, mein Herr? … Jene Drei sind indeß weniger gefährlich. … Da ist aber eine ältere Dame, sie gilt viel bei Seiner Durchlaucht, hat sehr kluge Augen und eine scharfe, feine Zunge’ –“

„Aus welchem Grunde beehrt mich die Frau Gräfin Schliersen mit ihrem Haß? –“

„Still, mein Herr! Keinen Namen! Ich beschwöre Sie!“ rief die Hofdame entsetzt mit unterdrückter Stimme. Ihr schöner Kopf machte abermals jene blitzschnellen Schwenkungen nach allen Seiten hin, und im ersten Schrecken sah es aus, als wolle sie dem Portugiesen die kleine Hand auf den Mund legen. – „Die Dame beschützt die Frommen im Lande und kann Ihnen die vier Judenkinder in Ihrem Erziehungshaus nicht vergeben –“

„Also die Frau mit den klugen Augen und der scharfen feinen Zunge sitzt im Regiment –“

„Sicher – und hat bedeutenden Einfluß. … Sie kennen den Mann mit dem Marmorgesicht und den langen, schlaffen, Augenlidern –“

„Ah, der Mann, der vierzig Quadratmeilen und einhundertfünfzigtausend Seelen vertritt und sich à la Metternich oder Talleyrand geberdet –“

„Er wird heftig, wenn man Ihren Namen nennt, mein Herr – schlimm, sehr schlimm und doppelt bedenklich für Sie, als Sie ihm durch eine Unvorsichtigkeit bei unserem allerhöchsten Herrn leider ein williges Ohr verschafft haben –“

„Ei – waren meine Verbeugungen reglementswidrig? –“

Sie wandte sich unwillig ab.

„Herr von Oliveira, Sie machen sich lustig über unseren Hof,“ sagte sie gekränkt, aber auch zugleich mit einem Anflug von Impertinenz. „Übrigens, so klein er ist, es scheint doch, daß Sie, nach Ihrer eigenen gestrigen Aussage, die Erfüllung mancher Wünsche von ihm erwarten – wenn ich nicht irre, haben Sie sich eine geheime Audienz erbeten –“

„Sie irren sich doch, scharfsinnige Maske – die Audienz soll mit Nichten eine geheime sein – aber eine besondere – am liebsten nähme ich den weiten, freien Himmel und tausend Ohren als Zeugen dazu.“

Sie sah mit scheuem Forschen in das Gesicht, das sie vollständig im Zweifel ließ, ob er spotte oder ob er sich wirklich herablasse, ihr eine Mittheilung zu machen.

„Nun denn,“ erklärte sie bestimmt und mit einer für eine Hofdame fast unbegreiflichen Rückhaltslosigkeit, „ich kann Ihnen versichern, daß diese Audienz, gleichviel ob im weißen Schloß

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 386. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_386.jpg&oldid=- (Version vom 22.8.2016)