Seite:Die Gartenlaube (1869) 388.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

die Larve der Convenienz vorgebunden hatten und mit schamloser Stirn ihre gleißenden Lügen als feine Gesittung, Anstand und Formenvollendung verkauften.

Und dort an einem Baume lehnte der Mann aus dem Waldhause in ungezwungener, fast nachlässiger Haltung. Er hatte sich sofort nach der Begrüßung des Fürsten isolirt. Seine Augen schweiften achtlos über die Menge hin – er schien nur dem wundervollen Orchester zu lauschen.

Gisela wagte nicht hinüberzusehen – sie wandte geflissentlich den Kopf seitwärts in dem Gefühl tiefster Schmach und Demüthigung. Jetzt wußte sie, weshalb er sie damals auf der Waldwiese mit allen Zeichen der Abneigung von sich gestoßen hatte – sie sagte sich ferner, daß er vollkommen berechtigt gewesen war, die Gastfreundschaft auf ihrem Grund und Boden zurückzuweisen – man nimmt nicht an, da, wo man verachtet! … Er kannte den schlimmen Leumund ihrer Großmutter, er wußte so gut, wie alle Versammelten hier, daß das Hauptvermögen der jungen Gräfin Sturm ein veruntreutes war – er, der stolze, unbestechliche Charakter, verachtete aus tiefster Seele ein Geschlecht, das eigentlich verdient hätte, am Pranger zu stehen, und welches doch, bei aller Gemeinheit seiner Gesinnung, in unbegrenztem Hochmuth die übrige Menschheit zu seinen Füßen sehen wollte – und sie war die letzte Vertreterin dieses Geschlechts; sie hatte, getreu den Traditionen des edlen Hauses, ebenfalls den Fuß auf den Nacken ihrer Untergebenen gesetzt, sie hatte gewähnt, durch ihre hochadelige Geburt hoch über Anderen zu stehen, während sich doch der eigentliche, wahre Adel unter den räuberischen Händen ihrer Großmutter spurlos verflüchtigt hätte. …

Und nun saß sie wie festgebunden da. Sie mußte schweigen, unverbrüchlich schweigen; sie durfte nicht zu dem einsamen Mann hinübergehen und, vor seiner Majestät niedersinkend, sagen: „Ich weiß, daß der Heiligenschein ein falscher war! – Ich leide unsäglich! Ich will mein ganzes Leben daran setzen, das Verbrechen jener Frau auszulöschen – nur nimm den Fluch der Verachtung von meinem Haupt!“

Sie saß regungslos da mit dem tiefernsten, todtenblassen Gesicht – und in der Menge ging es flüsternd von Mund zu Mund: „Schön, wunderschön ist das Mädchen; aber der Fürst irrt sich – sie ist nicht hergestellt!“

Das Dunkel brach so schnell herein, daß Aller Augen ängstlich den Himmel suchten. Allerdings hing eine grollende Wolkenschicht über den Wipfeln; allein noch bewegte sich kein Blättchen oder Zweiglein in jenem Wind, der jäh aufbraust und wie in gewaltigen Trompetenstößen den Ausbruch des Gewitters anzeigt. … Man that am besten, den unliebenswürdigen Himmel einstweilen noch zu ignoriren – über den mächtigen Pyramiden des köstlichen Fruchteises vergaß man die drückende Hitze, und in diesem Moment wurde ja auch das Tageslicht überflüssig. So plötzlich, als ob ein elektrischer Funke entzündend weiterspringe, flammten die Sternenkränze, Ballons und Fackeln auf und gossen bunte Lichtwogen über See, Waldwiese und den dräuenden Himmel.

Und nun begann die unvergleichliche Musik zum Sommernachtstraum. Der Purpurvorhang rauschte empor – da lag die ruhende Titania, bedient von ihren Elfen. … Nie hatte wohl jene diamantenfunkelnde Frau einen solchen Sieg gefeiert, wie in diesem Augenblick! Vergessen war das stille, bleiche Mädchen, das fürstliche Huld auf den Schild gehoben hatte, vergessen das neue, jugendkeusche Gestirn über dem verführerischen Weib, dessen wundervolle Formen sich weich und hingebend auf dem blumenbesäten Moosteppich hinstreckten.

Man jubelte und lärmte – immer wieder mußte sich der Vorhang erheben – Alles, was an Bildern folgte, ließ kalt; selbst die reizende Esmeralda-Sontheim erlitt eine empfindliche Niederlage.

„Schöne Titania, sind Sie zufrieden mit Ihren Erfolgen?“ fragte der Fürst, als die Baronin nach dem Schluß der Vorstellung am Arm ihres Gemahls vor Seiner Durchlaucht erschien.

Serenissimus war sehr rosiger Laune. Er hatte sich in den Zwischenpausen mit Gisela unterhalten und gefunden, daß sein Schützling zwar ein traurigernstes Mädchen, in ihren Antworten jedoch nicht minder schlagfertig sei, als weiland die geistvolle Gräfin Völdern.

„Ach Durchlaucht, ich würde vielleicht recht stolz und eitel geworden sein,“ versetzte die schöne Titania mit milder Stimme; „aber die Sorge hat mich wirklich an diese sogenannten Erfolge gar nicht denken lassen. … Ich habe, während ich unerbittlich still liegen mußte, nur mein armes Kind im Auge gehabt, meine kleine Gisela – sie sah so todtenbleich und leidend aus! Die Angst hat mich fast verzehrt! … Durchlaucht, ich fürchte, ich fürchte, mein Töchterchen ist seiner wohlthätigen Verborgenheit allzufrüh und sehr zu seinem Nachtheil entzogen worden … Gisela, mein Kind –“

Sie verstummte. Die junge Dame hatte sich erhoben – sie stand plötzlich ihrer Stiefmutter in wahrhaft königlicher Haltung gegenüber. Das so schmerzlich bedauerte bleiche Gesicht war mit einem flammenden Purpur übergossen, und die braunen Augen maßen die falsche, erbärmliche Komödiantin mit einem langen, verachtungsvollen Blick.

Jetzt war sie die Siegerin, das las Seine Excellenz ohne Mühe in den Zügen des Fürsten und der herandrängenden, lauschenden Menge.

„Gisela, keine Scene, wenn ich bitten darf!“ gebot er hervortretend mit finsterer Strenge – er selbst aber sah aus, als wollten ihm die Nerven treulos werden. „Du liebst es, Dich zu steigern – hier ist jedoch nicht der Ort, einen Ausbruch Deiner Krämpfe abzuwarten. … Frau von Herbeck, führen Sie die Gräfin ein wenig seitwärts, bis sie sich beruhigt haben wird!“

Das gequälte Mädchen wollte sprechen; aber jählings zusammenschreckend, schloß sie die bebenden Lippen wieder.

„Ist diese Diamantenpracht echt, Excellenz?“ fragte in demselben Augenblick die tiefe, ruhige Stimme des Portugiesen – sie klang so dominirend, daß Alles umher verstummte. Oliveira stand neben dem Minister und zeigte auf die „vergötterten Steine“ der Elfenkönigin.

Der Minister fuhr zurück, als habe er einen Schlag in sein fahles Gesicht erhalten; seine Gemahlin aber wandte sich mit dem Ausdruck tiefster Empörung in dem schönen Antlitz an den Frager.

„Glauben Sie, mein Herr, die Baronin Fleury könne es über sich gewinnen, die Welt auch nur mit einem einzigen falschen Stein täuschen zu wollen?“ rief sie erzürnt.

(Fortsetzung folgt.)




Aus der Wandermappe der Gartenlaube.

Nr. 1. Auf dem Zillerthaler Eismeere.
II.[1]

Auf unserer Tour von Zell im Zillerthale nach dem Schwarzensteingletscher gelangten wir in verhältnißmäßig kurzer Zeit, nach Ueberkletterung eines gewaltigen brüchigen Steinwalles, auf den oberen Firn, der noch ziemlich hart war und keine besonderen Schwierigkeiten bot. Nach circa einer Stunde waren wir am Fuße des eigentlichen Domes angelangt. Schon tauchte im fernen Osten und Süden eine Gebirgsreihe nach der anderen auf, allein ich wollte mit Detailansichten nicht Zeit verlieren, und auch nicht den Totaleindruck, der meiner auf der Spitze harrte, abschwächen. Nach manchen Mühen und nicht unbedeutenden Gefahren, die sich besonders an der letzten fast senkrechten Eiswand darboten, erreichte ich, dem ersten Führer voraneilend, als der erste um halb zwölf Uhr Mittags die Spitze des Löfflers, ein kleines, geneigtes, längliches Dreieck, von blasigem Hocheis bedeckt, mit Raum für fünf bis sechs Personen; fast von allen Seiten fällt sie in jähen Eiswänden ab.

Ein lauter Jauchzer entwand sich meiner Brust, doch erstarb derselbe, kaum daß er meinem Munde entflohen. Kein Echo hallte von den benachbarten Bergen, Alles war still und einsam. Natürlich schweifte mein Blick halbtrunken über alle die Höhenzüge,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 388. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_388.jpg&oldid=- (Version vom 23.6.2022)