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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

ureignen Geiste des deutschen Volkes hervorgehendes, in Einheit gehaltenes Deutschland“ zugesichert; doch als darauf das deutsche Volk in blutigem Verzweiflungskampfe die Ketten fremder Zwingherrschaft gebrochen und Vaterland und Fürsten gerettet hatte, – dachte von all den geretteten deutschen Fürsten (einen Karl August von Weimar ausgenommen) keiner daran, das so feierlich gegebene Wort auszulösen. Das deutsche Volk war von der Diplomatie verrathen und betrogen um seine heiligsten Güter. Dies trat schon auf dem Wiener Congreß zu Tage. Sehr treffend und wahr sprach es Jakob Benedey 1865 am Jubelfest der deutschen Burschenschaft auf dem Jenaer Markt aus: „Der Wiener Congreß ist ein tiefdemüthigendes Schauspiel für den denkenden Geschichtsbeobachter, wenn er die kleine Eifersucht der Großen und Mächtigen steht, der das Heil der Völker zum Opfer gebracht wird; für den deutschen Vaterlandsfreund aber ist er der bitterste Wermuthtropfen in der ganzen Geschichte Deutschlands, wenn er nach den edeln Opfern und der blutigen Hingebung des deutschen Volkes überall die Selbstsucht und die Herrschsucht, die Eitelkeit und die Frivolität, die List und die Eifersucht am Werke sieht, die eigenen Vortheile auf Kosten des Ganzen zu fördern; die Weltgeschichte kennt kein Beispiel, daß ein edles Volk unwürdiger von seinen eigenen Vertretern verlassen, von seinen Neidern herabgeschraubt, von seinen Feinden hintergangen, mißachtet und mißbraucht wurde, wie dies in Wien dem siegreichen, so hoffnungs- und zukunftsreichen Volk deutscher Nation widerfahren ist.“

Bald wagte die Reaction mit den heiligsten und edelsten Gefühlen ganz offen vor aller Welt Spott und Hohn zu treiben. Der Herr Geheime Rath Schmalz in Berlin meinte: „Nur aus Gehorsam sei das Volk zum Befreiungskrieg aufgestanden, der König habe gerufen und das Volk sei gekommen, ohne Begeisterung, nur aus Pflichtgefühl, etwa wie man auf den Lärm der Feuertrommel zum Löschen eilt;“, man erlaubte sich, das deutsche Volk von 1813 mit einer Koppel Jagdhunde zu vergleichen, die sich gierig auf die Beute stürzen, nachdem der Jäger sie vom Stricke losgemacht; und als die deutsche Jugend auf dem Wartenberg bei Eisenach die erbärmlichen Schandschriften eines Ancillon, Janke, v. Kölln, v. Kamptz, v. Haller, Schmalz etc. in das Feuer geworfen, erhoben diese Autoren großes Geschrei über das Schicksal ihrer sauberen Producte. „Euer Königlichen Hoheit ist es ohne Zweifel bereits bekannt, daß ein Haufen verwilderter Professoren und verführter Studenten auf der Wartburg mehrere Schriften öffentlich verbrannt und dadurch das Geständniß abgelegt haben, daß sie zu ihrer Widerlegung unfähig. Wenn in Euer Königlichen Hoheit Staaten wahre Denk- und Preßfreiheit wirklich blüht, so ist mit derselben eine durch Feuer und Mistgabeln, von Schwärmern und Unmündigen geübte Censur und ein terroristisches Bewahren gegen die Denk- und Preßfreiheit in anderen Staaten gewiß nicht vereinbarlich, und immer wird es für die Geschichte ein Räthsel bleiben, wie unter Euer Königlichen Hoheit Regierung jene klassische Burg, von welcher unter Höchst Ihren Ahnherrn deutsche Denkfreiheit und Toleranz ausging, wie der Tag der Feier wiedererlangter deutscher Freiheit, und wie das Andenken an jenen großen und toleranten Mann, ja, wie überhaupt unser Jahrhundert und ein deutscher Boden durch einen solchen recht eigentlichen Vandalismus demagogischer Intoleranz so stark entwürdigt und so tief entheiligt werden konnte etc. Euer Weisheit und Gerechtigkeit unterwerfe ich submissest und im ehrfurchtsvollsten, unbegrenztesten Vertrauen die deshalb gnädigst zu nehmenden Maßregeln, fest überzeugt, daß Eure etc. nicht wollen, daß Höchst Dero Land, auf welches Deutschlands Staaten noch vor Kurzem nur mit Neid und Bewunderung blickten und welchem bisher Deutschland die Bildung seiner Jugend vorzugsweise gern anvertraute – die Pflanzschule von Staatsverbrechern, Pasquillanten und Injurianten sein solle, fest überzeugt, daß Euer etc. nicht wollen, daß das Land, dem bis jetzt kein Staat den Rang und Namen des deutschen Parnasses zu bestreiten wagte, das Asyl für Staatsverbrecher und Pasquillanten sei etc.“

Herr C. A. v. Kamptz, „Königlich preußischer wirklicher Geheimer Oberkriegsrath und Kammerherr, auch Director im Polizeiministerium“ (wie er selbst sich unterschrieben), war es, der sich erdreistete, diese für jene Zeit so äußerst bezeichnende Denunciation an Karl August zu richten, – einer jener „Schmalzgesellen“, welche vor Kurzem noch die deutschen Anhänger und Schmeichler Bonaparte’s gewesen waren. Man kann unschwer zwischen den Zeilen den Ingrimm lesen, mit welchem die Reactionärs jener Tage gegen das kleine liberale Weimar und dessen Preßfreiheit erfüllt waren. Von eben diesem Gesichtspunkt aus mischten sich denn auch die beiden deutschen Großmächte in die Sache, und erst als die deshalb nach Weimar gekommenen Gesandten, Fürst v. Hardenberg und Graf v. Zichy, sich persönlich von „der Ordnung, der Disciplin und den trefflichen Gesinnungen“ der Jenaer Studirenden überzeugt und daraus entnommen hatten, „daß die Sache nicht so sei, wie man sie dargestellt hatte,“ ging diese erste Anfechtung der Burschenschaft ohne ernstliche Folgen vorüber:

Vom Oktober 1818 an tagte aber in Aachen der Congreß der europäischen Hauptmächte und berieth, wie man zu sagen beliebte, die Mittel zur Erhaltung der äußern und innern Ruhe Europas und zur Abwendung der Revolution, d. h. zur gänzlichen Niederwerfung des Volksgeistes, zur Befestigung des absolutistischen Princips. Hier traten die Bestrebungen der in- und ausländischen Reaction, dem patriotischen akademischen Burschenbunde zu Leibe zu gehen, schon entschiedener hervor. Der russische Staatsrath Alex. von Stourdza überreichte dem Congreß seine ebenso schamlose als von gänzlicher Unkenntniß des deutschen Universitätswesens zeugende Schmähschrift gegen die deutschen Universitäten, – und wer weiß, ob er nicht die gewünschten Maßregeln gegen die Akademien erreicht hätte, wenn nicht die rücksichtslose Abfertigung, welche ihm von Seiten der Jenaer Professoren wurde, und die allgemeine und tiefe Indignation, welche jene Schandschrift in Deutschland überall erregte und den Verfasser selbst, in Furcht vor den Jenaer Klingen und der ihm gewordenen Herausforderung, zur Flucht bewog, den russischen Kaiser veranlaßt hätte, die (auf seinen Befehl geschriebene) Schrift zu desavouiren. Als aber von Kotzebue, der sich zum Vertheidiger jener Stourdza’schen Schrift aufgeworfen hatte und selbst seine verräterischen, freiheitsfeindlichen Bulletins nach St. Petersburg schrieb, am 23. März 1819 vom Dolche des Jenaer Studenten und Burschenschafters Karl Ludwig Sand fiel, hatte man den langersehnten Vorwand zum Einschreiten gegen den verhaßten Burschenbund gefunden. Zwar wurde die Mitschuld der Burschenschaft, die man anfangs geglaubt und gehofft hatte, durch die Untersuchung nicht bestätigt, sondern widerlegt. Wohl war die Theilnahme, welche Sand’s Schicksal erregte, eine innige und allgemeine, es wurden Ringe und Medaillons, worin sich Haare von Sand und Splitter vom Schaffot befanden, getragen, und die Wiese, auf welcher die Hinrichtung vor sich gegangen, vom Volke mit ewigem Klee und Vergißmeinnicht besät und „Sand’s Himmelfahrtswiese“ genannt; weiter als der allgemeine Unwille über Kotzebue’s Verrätherei, weiter als die allgemeine Theilnahme an dem Schicksal des aus edelsten Motiven zum Meuchelmörder gewordenen Jünglings gingen auch die Beziehungen der Burschenschaft zur Sand’schen That nicht. Aber die Herren Diplomaten und Minister erfüllte Sorge und Angst. Konnte nicht in jedem Augenblicke zu der Thür, an der es eben pochte, ein anderer Sand hereintreten? Konnte nicht auf jeder Promenade ein schwärmerischer Jüngling den Dolch zücken?

Diese Angst vor der akademischen Jugend und der langgehegte Wunsch, das in der Burschenschaft sich darstellende Bild deutscher Einigung, den in der Burschenschaft lebenden Gedanken nationaler Einheit und Freiheit zu vernichten, ließen Sand’s That trotz aller Nichtschuld der Burschenschaft als Vorwand zu deren Verfolgung mißbrauchen. Schon wenige Tage nach Kotzebue’s Ermordung erging von der preußischen Regierung an alle zu Jena studirenden Preußen der Befehl, die Universität Jena binnen vierundzwanzig Stunden zu verlassen.

Von Ostern 1819 an durften in Jena nur solche Ausländer aufgenommen werden, welche eine besondere Erlaubniß, in Jena zu studiren, von ihrer Regierung vorzeigen konnten. Noch suchte Karl August, der warme Freund der Burschenschaft, die akademische Freiheit und die Burschenschaft dadurch zu schützen, daß er beim Bundestag durch eine energische Erklärung seines Gesandten die Universitäten überhaupt und insbesondere die Jena’sche gegen die erhobenen Beschuldigungen rechtfertigte. Aber seine Vorstellung, sein Protest konnte leider die Schritte nicht verhüten, welche die Diplomatie gerade gegen das kleine liberale Weimar und gegen die deutsche Burschenschaft vorbereitete. Mit rücksichtsloser Verhöhnung Weimars wurde auf dem Karlsbader Minister-Congreß im August 1819 die Knebelung der Presse, die Maßregelung der Universitäten und Schulen, die Verfolgung der sogenannten demagogischen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 409. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_409.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)