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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

stehen vorn rechts um den Meister Jauck, die durchgeschobenen Eisenstangenpaare dienen zum Tragen derselben; der obere oben offene Aufsatz ist später die Mündung für die einfließende Erzmasse. Die beiden Löcher zu Seiten der Oeffnung dienen zur Einführung der Windpfeifen, durch welche das einströmende Erz die in der Form enthaltene Luft austreibt. Links auf dem Lehmhaufen sieht der obere Theil eines Schablonebrets hervor.

Ist der Kern gereinigt und das Innere des Mantels, von dessen Zustand die künftige äußere Erscheinung der Glocke abhängt, für fertig erklärt, so wird der Kern noch einmal mit in einer Mischung von Milch und Ei zerrührter Asche überstrichen, damit sich keine Theile desselben beim Gießen mit dem Metall vereinigen können. Den Cylinder des Kerns füllt man mit Erde aus, schließt die Oeffnung desselben fest mit Lehm, gleicht diesen, der künftig den innern obersten Theil der Glocke bildet, gehörig ab und drückt in ihm den Ring des Hängeeisens (für den Klöppel) fest, damit er vom Metallfluß unberührt bleibe, während die mit Widerhaken versehenen Schenkel desselben hervorragen und so beim Guß vom Metall eingeschlossen werden.

Nun erst senkt man den Mantel wieder auf und über den Kern herab und verstreicht alle Fugen rund um seinen untern Rand mit Lehm und füllt endlich die Grube völlig, das heißt bis zum Rand des Gießlochs der Kronenform, mit Erde zu, stampft diese sogar mit Handrammen fest, um der Form, die schon ebendeshalb in ihren unteren Manteltheilen mehr Lehmstärke hat, größere Widerstandsfähigkeit gegen den Druck der einströmenden Metallmasse zu geben; und hat man endlich auch noch die Gußrinne vom „Stichloch“ des Schmelzofens bis zum Gießloch der Form angelegt, dann erst ist man da, wo unser Schiller beginnt. Gewiß nur wenige unserer Leser kannten die Fülle von Arbeit, die zu überwinden war bis zu dem Worte: „Fest gemauert in der Erde steht die Form, aus Lehm gebrannt.“

Lassen wir nun den Guß beginnen, dessen Schilderung unser Schiller seiner lyrischen Homilie von der Glocke als Text zu Grunde legte.

„Nehmet Holz vom Fichtenstamme,
Doch recht trocken laßt es sein,
Daß die eingepreßte Flamme
Schlage in den Schwalch hinein!“

Der Schmelzofen zum Glockengießen ist ein sogenannter Reverberir- oder Flammenofen und besteht demnach aus einem Feuerheerd und einem Schmelzheerd, und zwar ganz aus Mauerwerk. Der Schmelzraum ist von kreisrunder oder ovaler Form, so wenig vertieft, daß das Metall in einer verhältnißmäßig großen und nur wenige Zoll dicken Schicht ausgebreitet wird, und von einem niedrigen Gewölbe überspannt. Die inneren, der Hitze am meisten ausgesetzten Theile werden von feuerfesten Ziegeln (aus Porcellankapselmasse) ohne Mörtel, blos mit Lehm verbunden, construirt. Zwei gewölbte, durch Thüren verschließbare Gänge führen die Luft über den aus gußeisernen Stäben zusammengesetzten Rost des Feuerheerdes, von dem dann die Flamme in niederwärts gehender Richtung über das Erz des Schmelzheerdes durch einen Canal geleitet wird, welcher der Schwalch heißt.

„Kocht des Kupfers Brei,
Schnell das Zinn herbei,
Daß die zähe Glockenspeise
Fließe nach der rechten Weise!“

Es gab eine Zeit, wo fromme Seelen zu manchem schönen Silberopfer für neue Kirchenglocken vermocht wurden, obwohl in die Glocken selbst derlei schwerlich je mit verwendet wurde, denn das Glockenmetall besteht, nach uralter Erfahrung, am besten nur aus Kupfer und Zinn, und zwar soll das Kupfer das Vierfache des Zinns ausmachen.

„Weiße Blasen seh’ ich springen;
Wohl, die Massen sind im Fluß.“

Ehe diese Zeichen geschehen, vergehen vier bis sechs, bei großen Metallmassen auch noch mehr Stunden der Feuerung. Auch macht es einen Unterschied, ob altes Glockengut umgeschmolzen, oder eine neue Mischung bereitet wird. In letzterm Fall kommt erst das strengflüssigere Kupfer allein in den Ofen und wenn dies völlig geschmolzen ist, wird das Zinn beigefügt. Dann

„Laßt’s mit Aschensalz durchdringen,
Das befördert schnell den Guß!“

Der Schmelzofen hat zwei Schornsteine, den einen rechts, den andern links vom Feuerheerde; ehedem zog man statt derselben einige Löcher im Ofengewölbe vor, durch deren beliebiges Oeffnen oder Schließen der Zug der Flamme nach den verschiedenen Theilen des Schmelzheerdes geregelt und eine gleichmäßige Erhitzung bewirkt wurde. Diese Löcher hießen Windpfeifen, und sie sind gemeint, wenn der Meister spricht:

„Wie sich schon die Pfeifen bräunen!
Dieses Stäbchen tauch’ ich ein,
Seh’n wir’s überglast erscheinen,
Wird’s zum Gusse zeitig sein.“

Dieses Stäbcheneintauchen geschah ehedem durch dieselbe Arbeitsöffnung („Fenster“), durch welche man überhaupt das Einbringen und das Umrühren des Metalls mit einer etwa zehn Fuß langen hölzernen Stange besorgt. Mittels eines eisernen Hakens an einer hölzernen Stange wird die Schlacke oder das Oxyd von der Oberfläche des Metalls abgezogen, denn:

„Auch von Schaume rein
Muß die Mischung sein,
Daß vom reinlichen Metalle
Rein und voll die Stimme schalle.“

Ein eiserner Löffel mit einem langen Stiel dient dazu, eine Probe des Metalls herauszunehmen und in den Sand zu gießen, um aus dem „Bruch“ die Beschaffenheit der Legirung zu entnehmen. Das ausgeflossene Stückchen Metall wird nämlich nach dem Erkalten zerschlagen. Zeigen sich dann auf der Bruchfläche grobe Zacken, so hat man zu wenig Zinn beigesetzt, ist dagegen das Bruchkorn kaum zu bemerken, so war der Zinnzusatz zu groß. Kann aber der Meister sagen:

„Schön gezacket ist der Bruch!“

so ist die Erzmasse zum Guß reif.

In der Vordermauer des Schmelzofens (vergl. unsere größere Illustration) befindet sich das Stichloch oder Auge, eine Oeffnung am Boden des Schmelzheerdes, die während des Schmelzprocesses durch einen thönernen oder eisernen Pfropf verschlossen ist. Dieser Pfropf geht nach außen verjüngt zu, so daß er durch den Druck des flüssigen Metalls fest getrieben wird; der Schmelzheerd selbst ist von beiden Seiten nach der Mitte und gegen das Stichloch hin ein wenig abhängig, so daß der Druck der Masse auf den Pfropf dadurch noch gesteigert, aber zugleich bewirkt wird, daß der Ablauf des Metalls in die Gußrinne ein rascher und vollständiger ist. Selbstverständlich werden vom Stichloch aus so viele Gußrinnen gezogen, als Glocken zu gleicher Zeit, d. h. aus der einen geschmolzenen Metallmasse, gegossen werden sollen.

Ist nun die aus Backsteinen und Lehm hergerichtete Gußrinne, die durch Kohlenfeuer in hohem Grade erhitzt wird, mittels großer Zangen, hanfener Hand- oder vielmehr Armschuhe und der Handblasbälge von Kohlen, Asche und Staub völlig gereinigt, so kann endlich der Mann mit der langen eisernen „Abstechestange“ bereit sein, den Pfropf in den Schmelzheerd hineinzustoßen. Es ist ein Moment voll banger, aufregender Erwartung.

Mit diesem Gefühl umstanden auch wir die Stätte, wie das Initialbildchen es zeigt, als die eherne Fluth fertig war zum Guß der großen und der kleinsten der neuen Nicolaiglocken. Alle Vorbereitungen für den wichtigsten und schönsten Augenblick des Werkes waren getroffen, jeder Mann stand an seinem Platz, und Schweigen herrschte im Kreise, als der alte Meister sprach: „Nun denn, in Gottes Namen, stoß auf!“ – Der Zapfen weicht dem Druck des Eisens – und hervor bricht der zischende Gluthstrom, in beide Rinnen zugleich, und

„Rauchend in des Henkels Bogen
Schießt’s mit feuerbraunen Wogen“ –

treibt aus den Windpfeifen die Luft der Form mit Feuerstrahlen empor und schäumt und sickert hinab, unsichtbar in der Tiefe die fest vorgezeichneten, neuen Gebilde schaffend.

Und bis zum erhabenen, belohnenden Ende geschieht nun Alles, wie Schiller es gesungen. Wenige Tage später wird „das Gebäude zerbrochen“, denn

„Wenn die Glock’ soll auferstehen,
Muß die Form in Stücke gehen“ –

und freudig erhoben sehen wir Alle das herrliche Werk vollendet vor uns und

„Auch des Wappens nette Schilder
Loben den erfahrnen Bilder!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 415. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_415.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)