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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Ein Windstoß fuhr in diesem Augenblick rauschend durch die Eichenblätter und bog die Flammen der Fackeln tief seitwärts.

„Ach, es scheint wahrhaftig Ernst zu werden!“ rief Serenissimus verdrießlich. „Ich werde Sie wohl bitten müssen, lieber Baron, mir für den Rest des Festes Ihren Saal einzuräumen – die jungen Leute dürfen doch nicht um ihren ,Tanz’ kommen!“

Der Minister berief sofort einen Lakaien zu sich und schickte ihn mit den nöthigen Befehlen nach dem weißen Schlosse.

„Ein halbes Stündchen Zeit wird uns ja wohl der Isegrimm in den Lüsten noch lassen,“ meinte der Fürst lächelnd zu den Damen, die sich um ihn schaarten. „Ich bin der Ansicht, daß die Erzählung des Herrn von Oliveira inmitten der Waldbäume und unter drohenden Wetterwolken weit mehr pikanten Reiz erhalten wird, als im wohlgeschützten Ballsaale Sie haben das Wort, Herr von Oliveira!“

Serenissimus ließ sich unweit der Büste des Prinzen Heinrich nieder. Mit vielem Geräusch und abermals laut aufbrausender Fröhlichkeit wurden Stühle und Bänke herbeigetragen; ein weiter Kreis formirte sich um den Fürsten – noch einige Minuten schwirrten die Stimmen durcheinander, rauschten die Seidenroben und klapperten die zusammenrückenden Stühle – dann wurde es plötzlich so erwartungsvoll still, daß man das Knistern der Fackeln hören konnte.

Der Portugiese hatte sich mit verschränkten Armen an die Rothbuche gelehnt, welche die Büste des Prinzen Heinrich beschattete. Die unruhigen Lichter spielten über sein Gesicht hin – es schien vollkommen unbewegt, wenn auch noch die Blässe der „Alteration“ auf seinen braunen Wangen lag.

In diesem Moment erhob sich auch Gisela; sie schritt unbemerkt am Saum des Waldes hin und blieb neben einem mit Geschirr beladenen Tisch stehen, auf welchem noch der Kasten mit Oliveira’s Juwelen stand. … Obgleich sie lautlos unter den einen tiefen Schatten werfenden Aesten hingeglitten war – der Portugiese hatte sie doch konnte eine tiefe Bewegung in seinen Zügen nicht ganz verbergen; ein heißer, angstvoll bittender Blick flog zu ihr hinüber. Sie lächelte ihm zu und stützte die Hand fest auf den Tisch – das süße Lächeln, die ganze Gestalt mit dem hochgetragenen Haupt waren beseelt von dem Gedanken: „Mag kommen, was da will! Ich bin stark und muthig und halte unerschütterlich zu dir, den ich liebe!“

Oliveira wandte sein Gesicht von ihr weg; dann hob er mit lauter, fester Stimme an: „Der vorige Besitzer des Papageien war ein Deutscher. Er hat mir die seltsame Geschichte mitgetheilt, und ihn will ich selbst reden lassen:

,Ich war Arzt bei Dom Enriquez, einem Mann von bizarrem Charakter, der sich auf ein einsames Schloß zurückgezogen hatte und im glühenden Haß gegen seine Anverwandten schwelgte, weil sie ihn, wie er meinte, nicht verstanden. … Nicht weit von diesem Schlosse lebte die Frau Marquise, ein Wunder von Schönheit, eine Aspasia an Geist und Anmuth. Sie verstand die Wunderlichkeiten des Dom Enriquez vortrefflich und gab ihnen öffentlich Und wiederholt die Bezeichnung, mit denen er sie insgeheim, in den tiefsten Tiefen seiner Seele selbst belegte: die Originalität und die Genialität. … Sie hatte wundervolles, bernsteingelbes Haar – lächelnd und unvermerkt knüpfte sie die goldenen Fäden aneinander, und aus den millionenfachen wunderfeinen Fädchen und Knötchen wurde ein Netz, welches Dom Enriquez weit strenger von der Welt schied, als die dicken Mauern seines einsamen Schlosses. Er konnte nicht mehr leben ohne die funkelnden, schwarzen Augen der schönen Freundin; und dafür, daß sie ihn so vortrefflich verstand, wußte er keine andere Belohnung, als daß er ihr all’ sein Hab und Gut zu Füßen legte – er verstieß testamentarisch seine ihn nicht verstehende Familie und machte das Wunder von Schönheit, die geistvolle Aspasia zu seiner Universalerbin.’“

Er hielt inne und wandte den Kopf jäh seitwärts – der Tisch mit dem Geschirr klirrte – Gisela hatte jetzt beide Hände auf die Platte gestemmt und starrte mit aschbleichem Gesicht zu ihm hinüber – sobald aber sein Blick sie berührte, raffte sie sich auf und zwang die bebenden Lippen zu einem schwachen Lächeln.

„Aber die schöne Aspasia hatte auch Untiefen in ihrer Seele, die sie nicht immer vollständig zu verbergen vermochte,’“ fuhr der Portugiese mit leicht vibrirender Stimme fort, „und Dom Enriquez, der bei all’ seinen Eigenthümlichkeiten ein durchaus edler, ehrlicher Charakter war, fand im Lauf der Zeit hie und da Gelegenheit, einen schaudernden Blick hineinzuwerfen. … Auf diese Erkenntniß folgten Zerwürfnisse, die oft bedenklich an den Grundvesten des Testaments rüttelten. … Die Frau Marquise mißachtete trotzig diese bedrohlichen Anzeichen, sie vertraute ihrem hinreißenden Zauber, und dann – hatte sie manchen guten Freund in der Umgebung des Dom Enriquez.’“

Der Blick des Erzählers’ glitt vollkommen ruhig über die gespannten Gesichter der lautlos aufhorchenden Menge – er glitt auch über die schlaffen Augenlider des Mannes, der neben dem Fürsten saß – sie hoben sich nur einen Moment, wie vom Blitz berührt, und ein teuflischer Strahl zückte nach dem Portugiesen hinüber – dann sanken sie wieder, ohne daß sich auch nur ein Muskel des grünlich angehauchten Gesichts bewegte.

„,Die Frau Marquise gab einst ein brillantes Fest in ihrem Schlosse,’“ erzählte Oliveira weiter. „,Dom Enriquez war nicht zugegen – wohl aber wurde der schönen Aspasia, während sie wie eine Fee im prachtvollen Maskencostüm durch ihre Säle rauschte, kurz vor Mitternacht zugeraunt, der ferne Freund liege im Verscheiden. Halb sinnlos vor Angst und Schrecken warf sie sich in einen Wagen und fuhr allein, die Pferde mit eigener Hand lenkend, in die grausigste Sturmnacht hinein, um eine halbe Million zu retten’“ –

„Sie war allein, mein Herr?“ rief Gisela mit halberstickter Stimme und streckte dem Portugiesen unterbrechend die Hand entgegen.

„Sie war allein.“

„Hatte sie keine Tochter, die sie begleitete?“

„Die Tochter blieb auf dem Maskenball zurück,“ sagte plötzlich eine tiefe, harte Stimme dumpf, halblaut hinter ihr – der alte Soldat stand im Gebüsch und hob in scheinbar harmloser Geschäftigkeit, aber mit triumphirend lodernden Augen den Juwelenkasten vom Tisch, um ihn fortzutragen.

Gleichzeitig fühlte Gisela ihre Hand ergriffen – fünf eisige Finger umklammerten sie mit schmerzhaftem Druck; der Minister stand neben ihr.

„Was soll das heißen, mein Kind, daß Du das reizende Märchen des Herrn dort unterbrichst? … Kannst Du die Gewohnheiten der Kinderstube durchaus nicht abschütteln?“ schalt er mit lauter Stimme; aber diese Stimme hatte einen schauerlichen Klang, es war, als concentrire der Mann noch einmal allen Uebermuth, allen Trotz, alle die gefährlichen Eigenschaften, mit denen er bisher eisern geherrscht, in diesen Lauten. … Er hatte, wenn auch vielleicht nur mit halbem Ohr, die nicht laut gesprochene Antwort des alten Soldaten aufgefangen – er rügte sie mit keinem Wort, wohl aber deutete er gebieterisch nach der Richtung des Waldhauses – der alte Mann entfernte sich hohnlächelnd.

Der Minister hielt die Hand seiner Stieftochter fest und zwang sie, ihm zu folgen. Er warf, indem er mit ihr über die Wiese schritt, einen lächelnden, bedeutungsvollen Blick über den betroffen schweigenden Kreis, als wolle er sagen: „Da seht Ihr nun, was für ein exaltirtes, unberechenbares Geschöpf sie ist!“

„Den Schluß, den Schluß, Herr von Oliveira!“ rief die Gräfin Schliersen dringend, während Seine Excellenz das todtenbleiche junge Mädchen zwischen sich und seine Gemahlin placirte. „Ich habe bereits einen Regentropfen auf der Hand gespürt – sind wir erst im Ballsaale, dann ist das jedenfalls sehr pikante Ende Ihres – Märchens für uns verloren.“

(Fortsetzung folgt.)




Die letzte Liebesgabe (unsere Illustration auf S. 421) ist ein hessisches Dorfbildchen von einem kalifornischen Künstler: Toby Rosenthal aus San Francisco. Nennt derselbe auch Californien seine Heimath, so würde das obige Bild allein schon seine deutsche Abkunft verrathen, auch wenn sein Name einer andern als der deutschen Sprache angehören könnte. Rosenthal, dessen deutsche Eltern nach der Zeit von 1848 den heimathlichen Boden verlassen mußten, verlebte die ersten Jugendjahre in den Goldminen Californiens in der allergrößten Einfachheit. Sein Aufenthalt war gewiß wenig geeignet, ihn dem Künstlerberufe entgegenzuführen. Zum Jüngling herangereift, sah er sich von dem ihm innewohnenden Talente nach Europa getrieben; er kam nach München und bat hier in gebrochenem Deutsch um Aufnahme in die Maierakademie. Man wies ihn etwas schroff in die Gewerbschule, Rosenthal fand jedoch ein Unterkommen in der Kunstschule Raupp’s, aus der schon viele junge Künstler hervorgegangen sind. Gelegentlich einer Excursion, die er mit seinem Lehrer nach Oberhessen unternahm, machte er die Studien zu dem vorliegenden Bilden welches ihm ohne Weiteres die Aufnahme in Piloty’s Atelier verschaffte. Das Original geht in die amerikanische Heimath des jungen Künstlers. Möge ihm noch recht Vieles zu Ehren seiner neuen, wie der alten Heimath gelingen!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 432. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_432.jpg&oldid=- (Version vom 22.8.2016)