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verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


Wilderich wandte sich rasch ihr zu; er reichte ihr ohne Weiteres wie einer alten Bekannten die Hand und sie abseits führend, so daß seine Worte von den Uebrigen nicht verstanden werden konnten, sagte er: „Demoiselle, ich komme mit einer Nachricht, die nicht gar erfreulicher Art für die Bewohner von Haus Goschenwald ist. Meine Leute da unten haben eine Art von Kriegsrath gehalten, ich komme eben daher; es ist beschlossen worden, eine Strecke weit unterhalb der Mündung meiner Thalschlucht auf der Heerstraße einen Verhau anzulegen und da einen Hauptangriff zu machen; die Folge ist, daß sich das Franzosenvolk davor in Masse aufstauen wird, daß sie Seitenwege, den Verhau zu umgehen, suchen werden, daß sie also die Schlucht empordringen werden und dann sich in dies Thal ergießen. Ich fürchte deshalb sehr, daß sie Goschenwald nicht unberührt lassen werden. Ich werde es von einem Theil meiner Leute besetzen lassen … aber Sie, mein Gott, welcher Schrecken, welche Gefahren für Sie … ich möchte Alles drum geben, Sie dem entziehen zu können, – wollen Sie ein andres Asyl aufsuchen – ich bin bereit, alles Andre bei Seite zu setzen, um Sie zu einem solchen zu führen.“ …

„Ich habe Ihnen gesagt,“ versetzte das junge Mädchen erschrocken über diese Mittheilung, „daß ich kein andres Asyl auf Erden habe, als dieses … und hätte ich eines, so … Sie begreifen …“

Benedicte wandte den Blick leicht erröthend zu Boden und vollendete nicht.

„Ich begreife, ich begreife,“ fiel Wilderich tief aufathmend ein – „gewiß, Sie würden nicht glauben, daß Sie sich von mir dürften dahin führen lassen … o mein Gott, ich begreife Alles, auch wie aufdringlich Ihnen meine Sorge um Sie vorkommen muß, wie unschicklich, wie unzart vielleicht – aber in Stunden der furchtbarsten Erregung, wie sie dieser Tag uns bringt, vergißt man die Rücksichten und das fieberbaft schlagende Herz sprengt die Fesseln der kühlen, von der Sitte gebotenen Zurückhaltung, die es in ruhigerer Zeit vielleicht lange ertragen hätte. Ihre Ruhe, Ihre Sicherheit ist mir nun einmal, seit ich Sie gesehen, der Angelpunkt meiner Gedanken gewesen; alles Andere ist für mich dahinter zurückgetreten; der Gedanke an Sie, an das, was Sie mir gesagt, an Ihr Loos, von dem Sie mit dem Tone einer Klage, die mein Herz bluten machte, gesprochen – der Gedanke daran verläßt mich nicht, er hat mich umgewandelt, er hat mich zu einem anderen, all’ seinem früheren Wesen und Leben, allen seinen früheren Interessen entfremdeten Menschen gemacht! – Ihr Schicksal und … meines – nur über das Eine noch kann ich sinnen und denken und grübeln … Ihr Schicksal und meines, sie stehen vor mir so verschwistert, so ähnlich, so aufeinander hingewiesen, so vom Himmel zusammengeführt, um sich zu verketten … o mein Gott, was sage, was gestehe ich Ihnen da Alles! welche Thorheit, so mein innerstes Herz Ihnen zu enthüllen und Sie zu erzürnen, zu empören, mir vielleicht auf ewig zu entfremden – um des Himmels Willen, Benedicte, vergeben Sie es mir – ich kann in dieser Stunde, wo die Erregung, die Leidenschaft, der Gedanke an den blutigen Kampf, der beginnen soll, in mir stürmen wie ein Meer mit seinen Wogen, ich kann nicht anders reden – ich will ja auch keine Antwort, keine, keine – nein, nicht jetzt – lassen Sie mir nur, ich flehe Sie darum an, die Gelegenheit, Ihnen zu zeigen, was ich bereit bin für Sie zu thun – und wäre es für Sie zu sterben!“

Benedicte stand vor ihm wie ein wachsbleiches Bild bei diesen leidenschaftlich hervorgesprudelten Worten … sie öffnete ein paar Mal die Lippen, wie um ihn zu unterbrechen, aber wie hätten ihre leisen Worte dem stürmischen Redestrom des aufgeregten Mannes Einhalt thun können – sie vermochten nichts dawider, sie mußte ihn enden lassen und dann schien es, als ob sie selber den Muth verloren, noch eine Silbe zu sprechen. Sie hob nur beide Arme, wie um angstvoll etwas furchtbar Erschreckendes, das vor ihr plötzlich aus dem Boden aufgestiegen wäre, abzuwehren.…

Er ergriff diese beiden Hände, die sich vor ihm erhoben, und drückte sie stürmisch an seine Brust.

„So ist’s recht,“ rief er heftig aus, „sagen Sie mir nichts, kein Wort, keine Silbe – ein Wort, das mich glücklicher machte, als je ein Mensch gewesen, können Sie mir nicht sagen, noch ist es unmöglich – und eines, das mich unselig machte, das mich in den Tod treiben würde – ich will, ich mag es nicht hören, es wäre zu entsetzlich, zu furchtbar, wenn ich es anhören müßte … jetzt … heute!“

„Und doch, doch – Sie müssen es anhören!“ rief Benedicte wie all’ ihren Muth zusammenraffend mit halb von ihrer Bewegung erstickter Stimme – „unglücklicher Mensch – der so an sich, an seinem Leben, seinem Glück, seiner Ehre frevelt … wie ist es möglich … wie können Sie in der ersten Stunde sich fortwerfen an die Fremde, die Flüchtige, die Verbannte – an eine Verlorene –“

„Was ist es mir, ob Sie fremd, flüchtig, verbannt und verloren sind! Sie sind mir tausend Mal theurer, liebenswerther, kostbarer, höher darum –“

„Halten Sie ein, Sie wissen nicht, was Sie sagen – wenn ich nun fremd, flüchtig und verbannt wäre um der eigenen Schuld willen, weil ich verdiente ausgestoßen zu werden von den Meinen, weil ich eine Verbrecherin bin …“

„Sie … Sie … Sie eine Verbrecherin?! Und das sollte ich glauben?“ Wilderich zwang sich aufzulachen.

Sie faltete wie in tiefstem Schmerz ihre Hände zusammen, und ein Strom von Thränen schoß ihre Wangen nieder.

„Mein Gott, mein Gott, was ist Ihnen … was kann die arge Welt Ihnen zugefügt haben, welche Bosheit, welche teuflischen Schlingen können Sie umgarnt haben, daß Sie sich so anklagen, daß Ihr Schicksal Ihnen diese Thränen erpreßt, diese Perlen, von denen ich jede einzeln wie einen Himmelsthau trinken möchte – o mein Gott, die Welt ist böse, ist teuflisch … o sprechen Sie, jetzt, jetzt will ich, daß Sie sprechen, daß Sie dies Räthsel erklären – was verführt Sie, sich anzuklagen, sich eine Schuldige, eine Verbrecherin zu nennen?“

„Soll ich Ihnen noch mehr gestehen? Ist es nicht genug, Ihnen zu zeigen, wohin Sie sich verirrt haben? Nein, gehen Sie, gehen Sie, um nie wieder ein solches Elend über mich zu bringen, wie es Ihre Worte von eben thaten.“

„Ein Elend … ich, ich bringe ein Elend über Sie? Welch’ ein Wort das ist … ein Elend!“

„Nun ja, ist es das nicht, gezwungen zu sein, so reden zu müssen, solche Geständnisse machen zu müssen, wie Sie sie mir abzwingen?“

„Und,“ fiel Wilderich erschüttert ein, „ist es für mich kein Elend, so nur räthselhafte unverständliche Selbstanklagen zur Antwort zur erhalten, wo mein ganzes Herz mit all’ seiner Fülle sich Ihnen offen legt … während ich doch weiß, während ich doch jeden Augenblick diese Hand emporstrecken will zum Schwure, daß Sie nichts Unwürdiges, nichts Schlechtes, daß Sie nichts, nichts gethan haben können, um das Schicksal zu verdienen, welches Sie verfolgt …“

(Fortsetzung folgt.)




Unter Blumen und Früchten!

Vor wenigen Tagen bin ich von einer größeren Gartenbau-Ausstellung heimgekehrt, einem jener Siegesfeste, auf denen man sich der Beute freut, die man der Natur abgerungen hat, dem reichen, mildthätigen Mutterherzen, das aber die besten seiner Gaben als Preis des Kampfes mit tausendfachen Schwierigkeiten setzt, die sie selbst in der Weisheit ihrer Liebe geordnet hat. Noch sehe ich im Geiste Alles, was die Pflanzenwelt aller Zonen Liebliches, Groteskes, Imposantes aufzuweisen hat, Alles fand ich dort in schöner, befriedigender Harmonie zu einem großartigen Naturbilde vereinigt.

Ein anderes Bild – von mehr industrieller Färbung – rollt sich vor uns aus, wenn wir eine Special-Ausstellung besuchen, bestimmt, den Fortschritt in der Cultur-Entwickelung einzelner Pflanzenarten darzulegen, eine Obst-Ausstellung in Deutschland, eine Fuchsien- oder Pelargonienschau in London oder ein Rosenfest in Frankreich. Wahrhaft bezaubernd ist der Anblick eines solchen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1869, Seite 452. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_452.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)