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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Die romantische Zeit des deutschen Pionierthums.

Im Jahre des deutschen Kriegs, in welchem das Schicksal des Vaterlandes den Strom der Auswanderung so zum Anschwellen gebracht hatte, daß das nordamerikanische Einwanderungs-Bülletin mit Zahlen wie: „Zehntausend in einer Woche, Viertausend an einem Tage, Tausend mit einem Schiff, Hundertundfünfzigtausend zur Uebersiedelung angemeldet!“ triumphirte, theilten wir unseren Lesern die Lebensbilder einiger der hervorragendsten „Pioniere des Deutschthums im fernen Westen“ mit. Die geschilderten Männer waren von früheren Erschütterungen Deutschlands über den Ocean geschleudert worden; die zwanziger, dreißiger und vierziger Jahre mit ihren Demagogen-, Burschenschafter- und Volksvertreter-Verfolgungen sammelten dort viele ihrer Opfer, und man sah sie, je ein Menschenalter später, theils durch Kampf und Glück erhoben, theils in Elend versunken und verkommen. Der deutsche Pioniergeist selbst hat aber gewaltige Fortschritte gemacht, im Bürgerkrieg bestand er die Feuertaufe, und jetzt steht er so heimathfest auf dem neuen Boden, daß er schon seine eigene Geschichte der Erforschung und Aufbewahrung für werth hält.

Diese Aufgabe stellen sich soeben deutsche Pionier-Vereine. Der von Cincinnati in Ohio hat sogar eine besondre Monatsschrift begründet, welche den Titel „Der deutsche Pionier“ führt und so Treffliches leistet, daß wir unsere Leser mit dieser neuen deutschen Culturpflanze über’m Ocean näher bekannt machen müssen.

Vor Allem müssen wir freudig verkünden, daß die deutsche Lyrik drüben einen frischen, sie neubelebenden Boden gefunden hat. Davon zeugt ein „den deutschen Pionieren Cincinnati’s“ geweidetes Lied von Kara Giorg, dessen Eingang lautet:

Die Ihr gekämpft, die Ihr gerungen
Mit offnem Kopf und rauher Hand,
Bis Ihr Euch eine Bahn erzwungen
Als Siedler in dem neuen Land!

Die Ihr den Hinterwald betratet,
Als kaum ein Pfad das Ziel gezeigt,
Um Milch und Brod den Farmer batet,
Das er für Euern Dank gereicht;

Ihr drücktet auf des Landes Sitte
Auch Euern Geistes eine Spur,
Und Jeder war aus Eurer Mitte
Ein Pionier auch der Cultur!

Den breitesten Raum der geschichtlichen Darstellungen nimmt die Vergangenheit Cincinnati’s ein, das uns auch in einer lithographirten Abbildung in dem Zustande gezeigt wird, in welchem man es 1802 zur „Town“ (Stadt) erhob. Es ist ein fast rührender Anblick, diese bescheidene Kindheit einer Stadt, welche nach vierzig Jahren als „Königin des Westens“ den sechsten Rang von allen Städten der Union behauptete und jetzt als eine der größten, schönsten und wichtigsten der Erde anerkannt ist. Aus noch lange nicht hundert meist hölzernen Häusern, einer hölzernen Kirche und einem hölzernen Fort (Washington) bestand damals die ganze „Town“, und die lieblichen Laubwaldhügel blickten auf die weite leere Ebene herab, auf welcher nun „die grüne Stadt des Westens“ – wie sie republikanischer genannt wird – ihre riesenhafte Thätigkeit und ihre Pracht entfaltet.

Und daß gerades diese Stätte der Schauplatz so außerordentlichen Gedeihens ward, daran ist nur die Liebe schuld! So wirft selbst Über diese Speculations-Residenz der westlichen Contobücher die Romantik ihren Schleier von veilchenblauer Seide. Das ging so zu.

Der gesammte Landstrich zwischen den beiden Miami-Flüssen und dem Ohio-Strom, jetzt Hamilton-County mit der Hauptstadt Cincinnati, war bis 1788 das Besitzthum eines gewissen John Cleves Symmes, der schon nach damaliger Landessitte seines Zeichens nach einander Lehrer, Landvermesser, Soldat, Advocat, Politiker und Oberrichter in New-Jersey gewesen war. Derselbe theilte dieses Gebiet von der Größe des Königreichs Würtemberg sammt beiden ehemaligen Hohenzollern zum Verkaufe in Sektionen, gab den Acker für etwa anderthalb Gulden rheinisch (25¾ Silbergroschen) und zog so die ersten Ansiedler nach dem „neuen Ankaufe“, wie man das Land anfangs nannte.

Drei Männer, Matthias Denman, ein Oberst Robert Patterson und ein Schulmeister aus der Wildniß Kentuckys, John Filson, wurden die Herren vom jetzigen Gebiete der Stadt Cincinnati und die Gründer derselben. Der Schulmeister erhielt den Auftrag für den Namen der neuen Stadt zu sorgen, während der Oberst mit Hülfe eines Landmessers Hudlow die Straßen und Plätze absteckte. Das war keine Kleinigkeit, denn den ganzen Raum bedeckten die schönsten Urwaldungen von Buchen, Sykomoren, Eichen und Ulmen. Man klärte also vor der Hand nur die nöthigen Straßen, legte diese somit im Wald aus und bezeichnete die zukünftigen Eckhäuser durch drei Kerben an den dortstehenden Bäumen. Die ersten Blockhütten standen am jetzigen Landungsplatz, und sie waren es, die zunächst der Schulmeister mit dem neuen Stadt-Namen beehrte. Weil der gegenüber mündende Fluß Licking, die Mündung auf lateinisch os, „gegenüber“ auf griechisch anti und die Stadt auf französisch ville heißt, so nannte er die neue Gründung Losantiville, und wirklich hielt sich dieser Name fast ein ganzes Jahr.

Nur die junge Stadt selbst wollte nicht gedeihen. Bei den ernsten Gefahren, welche durch die Indianer jeder neuen Ansiedelung drohten, wurde für sie ein Fort mit einer Besatzung zur Lebensfrage. Nun hatte aber Symmes es so zu wenden gewußt, daß die Truppenabtheilung, welche der General Harmar in Marietta zum Schutz der neuen Niederlassung abgesandt, an ihr vorbeifuhr, zu North Bend landete und alle neuen Ankömmlinge dorthin zog. Losantiville stand verödet. – Da geschah es, daß der Officier, welcher die dortigen Truppen befehligte, auf einem Streifzug in der Nachbarschaft von North Bend ein weibliches Wesen sah, dessen Augen für ihn die Kraft jener Feuersäule äußerten, welcher die Kinder Israel durch die Wüste folgen mußten. Die bezaubernde Erscheinung war aber eine verheirathete Frau und der Gatte derselben ein vorsichtiger Mann, welcher den bedrohten Frieden seines Hauses dadurch zu wahren suchte, daß er nach Losantiville übersiedelte. Von diesem Augenblick an stand in dem Officier die Ueberzeugung fest, daß „die Bend“ sich für einen militärischen Posten durchaus nicht eigene; trotz aller Bitten des Oberrichters Symmes brachen die Truppen ebenfalls nach Losantiville auf, dort wurde sofort das Fort Washington gebaut, welches gegen Ende December 1789 General Harmar selbst mit dreihundert Mann besetzte, und wenige Tage später kam auch der Gouverneur Arthur St. Clair an, um den neuen „Bezirk“ (County) zu organisiren. Ihm zu Ehren, weil er zu jenen Officieren der Befreiungskriege gehörte, welche, dem Römer Cincinnatus gleich, nach vollendetem Kampf für Freiheit und Vaterland an ihren Heerd zurückzukehren bereit waren und dazu sich zu der Gesellschaft des Cincinnatusordens verbunden hatten, erhielt, die Stadt den Namen Cincinnati.

Wenn wir nun auch nicht wissen, was aus der Herzensflamme des verliebten Kriegers geworden, so steht doch das Eine fest, daß die glückliche Königin des Westens dieser Liebe ihr Leben verdankt.

Nicht weniger denkwürdig und für die haß- und neidschielenden Augen der Know-Nothings (derjenigen Eingeborenen, Natives, welche von den fremden Einwanderern nichts wissen wollen) nur allzuromantisch erscheint die Thatsache, daß der erste Mayor von Cincinnati ein Deutscher war. David Ziegler hieß der tapfere Heidelberger, welchen die Lust am Waffenhandwerk erst unter die Fahnen der russischen Katharina in die Krim, die erste Nachricht vom Ausbruch des Freiheitskampfes in Nordamerika aber über den Ocean getrieben. Bekanntlich eilte damals in das Lager des großen Washington auch einer der begabtesten Stabsofficiere des alten Fritz, sein ehemaliger Flügeladjutant Friedrich Wilhelm von Steuben, der durch sein „System der Kriegsdisciplin“ auch als Militärschriftsteller glänzt. Diesem schloß Ziegler sich am engsten an, er ward der vortrefflichste Exercirmeister nach der Steuben’schen Schule, hielt auf strenge Mannszucht und wurde deshalb viel als Recrutirungsofficier verwendet. Aber auch im Felde bewies er seine Tüchtigkeit. Ihm allein verdankte das große Muskingumland die Rettung vor den Verheerungszügen der Indianer, auf den Commandanten von Fort Harmar blickte die gesammte Bevölkerung als auf ihren zuverlässigsten Beschützer, und unter diesen Blicken waren auch die eines reizenden Fräuleins, Lucy Anna Sheffield, die allein den deutschen Helden besiegte. Mitten im Waffenlärm führte er seine Schöne zum Traualtar, aber kurz war die Hochzeitsfreude. Um dieselbe Zeit hatte St. Clair

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 470. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_470.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)