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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Die Marienburg ist, ebenfalls durch Kämpfe gegen jenen Báthori, ein Denkmal herrlicher Bauernsiege über Fürstenübermuth; zwei Mal wurde sein Kriegsvolk, und beide Male mit Spott und Hohn, vor den Mauern dieser Burg heimgeschickt.

Außer den beiden genannten giebt es in den übrigen Theilen des Sachsenlandes noch zahlreiche von Bauernhänden erbaute Burgen, unter denen wir nur die Kaisder, die Michelsberger und die auf röthlich-braunem Porphyrkegel außerordentlich maurisch gelegene Repser Burg hervorheben. Sie sind alle, nachdem am Ende des siebenzehnten Jahrhunderts das Land unter österreichische Oberhoheit überging, in der langen Friedenszeit des vorigen Jahrhunderts mehr oder weniger zerfallen und scheinen nur noch da zu sein, um die schönen Gelände an der Aluta und an den Kokeln mit dem Reiz ihrer Ruinen zu schmücken, und das Andenken seiner drangvollen, aber glorreichen Vergangenheit im Volke wach zu erhalten. Denn was ihnen ihren besondern Werth verleiht, das ist ihre volksgeschichtliche Bedeutung. Die Burgen sind keine Wohnstätten stolzer Adelsherrschaft gewesen, erbaut zur Verherrlichung selbsteigner Macht und zur Unterdrückung und Niederhaltung untergebener Elemente, nein, sie sind Schöpfungen goldener Volksfreiheit, echte, wirkliche Bauerburgen, hervorgegangen aus dem Geist eines freibürtigen, selbstbewußten Bauernstandes. Und darin liegt eben das Fesselnde, das Wohlthuende der ganzen Erscheinung. Zu einer Zeit, wo der Bewohner des platten Landes noch fast, im ganzen übrigen Europa in den Banden des Frohndienstes und der Leibeigenschaft schmachtete, blühte hier am Fuße der Südostkarpathen bereits ein entwickeltes Bürger- und Bauernthum, das in Bezug auf Freiheit der Institutionen und bürgerliche Selbstherrlichkeit fast ohne Gleichen dastand und den freien schweizer Landgemeinden sich ebenbürtig an die Seite stellen durfte. Auf der Grundlage großer politischer Selbstständigkeit, die ihnen von ungarischen Königen zuerkannt worden war, hatte sich unter den im zwölften Jahrhundert aus den Gegenden des Niederrheins eingewanderten siebenbürger Sachsen schon im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert die glücklichste demokratische Verfassung ausgebaut, welcher dieses Völkchen, rings umgeben von fremdartigen, zum Theil barbarischen Elementen, nicht nur seine bürgerliche Autonomie, sondern auch die Erhaltung seiner deutschen Nationalität, seiner deutschen Cultur und Gesittung zu verdanken gehabt hat. Vollkommene bürgerliche Gleichgestelltheit vom Oberhaupte der Nation an bis herunter zum letzten Bauersmanne war eines der Grundgesetze jener Verfassung; – es gab keinen Adel unter den Sachsen und es durfte Keinen geben, ja dem benachbartem magyarischen Edelmann war es nicht einmal gestattet, ein Haus oder sonstiges Grundeigenthum in der sächsischen Stadt, im sächsischen Dorfe durch Kauf zu erwerben. Jeder Gau bildete in der Gliederung des Ganzen eine Republik für sich, jedes Dorf, obschon dem Gesammtverbande als untergeordnetes Glied eingefügt, ein lebendiges, freies Gemeinwesen, das in’s Getriebe des nationalen Gesammtlebens thätig mit eingriff, aber in Bezug auf seine speciellen Angelegenheiten frei und selbstständig war.

Dieser Geist, der Geist eines freien, starken Bürger- und Bauernthums ist es, der uns aus den geschilderten altersgrauen Castellen und Burgen anspricht und sie bedeutsam macht. Denn sie waren nicht nur als Schutzwehren gegen äußere Feinde, gegen die häufigen Einfälle der Türken, Tataren und der walachischen Woywoden errichtet, sondern sie mußten, wie schon oben angedeutet, auch häufig genug als Bollwerke gegen von innen kommende Angriffe dienen, hinter welchen die braven Männer ihren Drängern Trotz boten und ihre Freiheit behaupteten.

B. Sylvanus.




Reichsgräfin Gisela.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.) .

Gisela folgte dem Fürsten mit schwankenden Schritten in den Salon.

„Sie wünschten mich unter vier Augen zu sprechen, nicht wahr, Gräfin?“ fragte er, indem er dem Portugiesen einen Wink gab, in das anstoßende Zimmer zu treten.

„Nein, nein!“ rief Gisela in ausbrechender Heftigkeit und streckte dem Hinausgehenden zurückhaltend die Hände nach. „Auch er soll hören, wie schuldig ich bin – er soll sehen, wie ich büße!“

Der Portugiese blieb an der Thür stehen, während das junge Mädchen schweigend die Hand auf das Herz preßte – sie rang sichtlich nach Athem und Fassung.

„Ich habe heute Abend verrathen, daß ich um des Verbrechen meiner Großmutter wußte,“ sagte sie mit erstickter Stimme und niedergeschlagenen Augen. „Ich habe es gewagt, mit dem Bewußtsein der Schuld in Euer Durchlaucht Gesicht zu sehen, und habe den Muth gefunden, mit Ihnen über harmlose Dinge zu plaudern, während ich doch nichts Anderes hätte sagen dürfen, als: ,Sie sind grausam hintergangen worden!' … Ich weiß, daß der Hehler so strafbar ist, wie der Dieb, aber, Durchlaucht,“ rief sie, den in Thränen schwimmenden Blick zu ihm ausschlagend, indem sie bittend die Hände über der Brust faltete, „lassen Sie wenigstens Eines für mich sprechen – ich bin immer ein verlassenes, liebearmes, verwaistes Geschöpf gewesen, das bei allem Reichthum nichts besessen hat, als das Bild, das Andenken der Großmutter!“

„Armes Kind, mit Ihnen gehe ich nicht in’s Gericht,“ sagte der Fürst bewegt. „Aber wer hat es über’s Herz bringen können, Ihre junge Seele durch die Mitwissenschaft zu belasten? Sie können doch unmöglich als Kind –“

„Ich weiß um das Geheimniß erst seit wenigen Stunden,“ unterbrach ihn Gisela. „Der Minister“ – es war unmöglich, dem Verabscheuten noch einmal den Vaternamen zu geben – „hat mir kurz vor Beginn des Festes den Vorfall mitgetheilt. … Warum er mich zur Mitwisserin machte, sah ich nicht ein – jetzt weiß ich den Grund – aber Euer Durchlaucht werden mir erlauben, darüber zu schweigen. … Ich glaubte, den Namen Völdern retten zu müssen, und wenn ich auch den Ausweg, den Baron Fleury mir vorschlug, entschieden zurückwies, so hielt ich doch wenigstens einen Theil seines Gedankens fest: ich wollte mich für meine Lebenszeit nach Greinsfeld zurückziehen, die Einkünfte der erschlichenen Güter jährlich an die Armen des Landes theilen und schließlich das fürstliche Haus zu meinem Erben ernennen.“

Bei den letzten Worten stand sie plötzlich von Purpur übergossen da – ihr Blick hatte zum ersten Mal, seit sie im Zimmer war, den des Portugiesen getroffen, der unverwandt auf ihr ruhte. Sie wurde sich in diesem Augenblick unter Schrecken und Beschämung wieder bewußt, daß der Gedanke, ihm anzugehören, vor kaum einer Stunde alle diese schönen Vorsätze aus ihrer Seele spurlos weggewischt hatte.

Dem Fürsten war ihr tiefes Erröthen entgangen. Er hatte während der Mittheilung der jungen Dame mit auf dem Rücken verschränkten Händen rastlos den Salon durchmessen.

„Baron Fleury wollte Sie zur Nonne machen, nicht wahr, Gräfin?“ fragte er stehenbleibend.

Gisela schwieg verlegen.

„Der grausame Egoist!“ murmelte er zwischen den Zähnen. Er legte die schmale, fieberheiße Hand auf den tiefgesenkten Scheitel des jungen Mädchens.

„Nein, nein – Sie sollen nicht lebendig in Greinsfeld begraben werden,“ sagte er gütig. „Armes, armes Kind, Sie waren in schlimmen Händen! … Nun weiß ich auch, weshalb Sie um jeden Preis krank sein sollten und mußten. Sie sind von lauter verrätherischen Seelen umgeben gewesen – man hat Sie geistig und körperlich zu morden gesucht. … Nun sollen Sie aber wissen, was es heißt, jung und gesund zu sein – Sie sollen die Welt, die schöne Welt kennen lernen!“

Er ergriff ihre Hand und führte sie nach der Thür.

„Für heute kehren Sie nach Ihrem Greinsfeld zurück – denn hier ist Ihres Bleibens nicht –“

Gisela blieb zögernd an der Schwelle stehen.

„Durchlaucht,“ sagte sie rasch entschlossen, „ich bin nicht allein hierhergekommen, um ein Bekenntniß abzulegen –“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 478. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_478.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2022)