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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

gestickter und gehäkelter Kleinigkeiten ein sehr werthvolles astronomisches Werk.

„Das haben meine Mädchen mit Handarbeiten verdient,“ sagte die Pfarrerin, auf die Bücher zeigend. „Und die hat unser Wildfang, das Röschen, mit seinen kleinen widerspenstigen Fingern gestrickt,“ fügte sie laut auflachend hinzu und ließ ein Paar großer derber Strümpfe in der Luft baumeln. „Das hat manche heiße Stunde gekostet; aber nun ist sie glückselig, und selbst in ihr Gebet heute Abend schlichen sich die glücklich fertig gebrachten ,himmellangen’ Strümpfe ein.“

Sie öffnete geräuschlos eine Thür und ließ das Lampenlicht in den dunklen Raum fallen.

„Da liegt mein Nesthäkchen,“ flüsterte sie – wie bebte und schmolz diese kräftige Stimme in weicher Zärtlichkeit! – „Was nur das kleine Ding morgen sagen wird, wenn sie ihre liebe Gräfin im Pfarrhause sieht!“ meinte sie leise in sich hineinlachend.

Das blonde Köpfchen des Kindes ruhte im süßen, tiefen Schlaf auf dem Kissen, und die langen Zöpfe fielen über den Bettrand hinab.

Eine himmlische Ruhe überkam das junge Mädchen in diesem Hause. … Eben noch mit Grausen in den plötzlich geöffneten Abgrund der Verworfenheit blickend, über den sie blinden Auges so lange hingewandelt war, erschien ihr diese Häuslichkeit wie ein Tempel, ruhend, auf den Säulen wahrer Tugend und durchweht von echt gottseligem Frieden.

Und die stattliche, kräftige Frau, die da neben ihr stand, dieses Bild der Standhaftigkeit und unerschrockenen Gesinnungstreue, mit wie viel feinem Tact versuchte sie die sichtbare Aufregung der Geflüchteten zu dämpfen, sie abzuziehen von den Ereignissen, die sie fortgetrieben aus dem sogenannten Vaterhause, indem sie sie in die harmlosen Freuden ihrer Häuslichkeit ohne Weiteres einführte! … Es fiel ihr nicht ein, sich zu fragen: was werden die „hohen Herren“ dazu meinen, daß du Eine ihres Gleichen in ihrer Abtrünnigkeit bestärkst? Wird dir der Schutz, den du ihr gewährst, nicht theuer zu stehen kommen? Sie wollte im Augenblick nicht einmal wissen, zu welch’ hohem und heiligem Beruf sie die junge Gräfin vorbereiten solle – das mußte sich ja Alles finden! Sie forschte nicht, sie fragte nicht, sie wollte nur Eins für’s Erste: beruhigen und das in sie gesetzte Vertrauen rechtfertigen.

Welches Gottvertrauen aber, welche moralische Stärke mußte der ganzen Familie innewohnen! … Binnen Kurzem sollte sie aus diesem Hause vertrieben werden – es war ein tiefschmerzliches Ereigniß, das sie betroffen, und doch hatte es das glückliche Zusammenleben nicht zu stören, die harmlosen Familienfreuden nicht zu verscheuchen vermocht.

Nach zwölf Jahren zum ersten Mal wieder stieg Gisela an der Hand der Pfarrerin die Treppe hinauf, welche die stolze Jutta von Zweiflingen an jenem verhängnißvollen Weihnachtsabend auf Nimmerwiederkehr hinabgeschritten war. … Das junge Mädchen hatte noch eine dunkle Erinnerung von jenem Vorfall; sie erkannte auch den großen Vorsaal wieder, der damals so naß gewesen war, und wo ihr die großen, harten Sandbrocken um die ängstlich ausweichenden, feinbeschuhten Füßchen gekollert waren.

Und da that sich das Eckstübchen mit seinen zwei Fenstern und dem lustig trommelnden Windöfchen vor ihr auf! – Das Eckstübchen, das Frau von Herbeck einen unwürdigen Kerker für „die herrliche Jutta“ genannt, und in welchem die stolze Zweiflingen den ersten Träumen des Verrathes und der Treulosigkeit sich hingegeben hatte …

Die prachtvollen Palissander-Möbel mit dem aprikosenfarbenen Seidendamastbezug standen freilich nicht mehr an den Wänden, und das Mädchenportrait im weißen Atlasgewande mit dem Granatblüthenstrauß im Haar hing jetzt im Ministerhôtel zu A. und beschloß neben dem Bild des letzten, schönen, unglücklichen Zweiflingen die lange, stolze Ahnenreihe der schönen Excellenz.

Dafür sahen nun die kräftigen Züge Luther’s von der helltapezirten Wand des Stübchens nieder, und wenn auch nur wenige altmodische Möbel umherstanden, so waren sie doch sauber und einladend. Auf Tisch und Commode lagen Servietten und bunte Decken, und das Bett in der Ecke, so ein echtes, hochaufschwellendes thüringer Pfarrhaus-Bett, leuchtete in blendender Frische.

Gisela trat an eines der Eckfenster und öffnete es, während die Pfarrerin noch einmal hinausging. … Die wonnig-laue Nachtluft zog herein und flüsterte in dem Laub des Birnbaumes, der mit seinem längsten Ast an die Scheiben klopfte.

Mit dem Nachtwind flogen einzelne verlorene Trompetenstöße herüber – dort drüben tanzten sie noch und wußten nicht, daß unter ihren Füßen ein Pulverfaß lag, daß mit jeder Secunde der Funke näher heranflog, der jählings die ganze stolze und jubelnde Herrlichkeit zerstörend in die Lüfte schleudern würde.

Das junge Mädchen bog sich weit hinaus und sah nach der dunklen, bergaufsteigenden Masse, deren gewaltige, kühngeschwungene Contouren sich dämmernd vom strahlenden Nachthimmel abhoben – es war das Stück Bergwald, welches das altersgraue, grünumsponnene Waldhaus in sich einschloß.

Der majestätische Mann, an dessen Herzen sie geruht, hatte ihr beim Scheiden zugeflüstert, er werde sein Haus heute Nacht nicht mehr betreten – es sei zu eng für sein Glück. Er wolle auf der Wiese vor dem Waldhause auf- und abwandeln, und die Fontaine solle ihm vorplaudern von dem Mädchen im blauen Gewande, mit dem blonden Haar, das vor noch ganz kurzer Zeit als unnahbare Gräfin Sturm neben ihr gestanden und die weißen Hände in ihren silbernen Sprühregen gehalten habe. … Er wolle dort geflissentlich noch einmal alle Schmerzen der Entsagung, die er durchlitten, an sich vorüberziehen lassen, um dann der Morgensonne doppelt entgegenzujubeln, die ihm die Stunde bringe, in welcher er sein Glück wieder in die Arme nehmen dürfe. …

Die Pfarrerin trat wieder ein und brachte ein Glas Wasser, das sie mit Himbeersaft gemischt hatte.

„Ach was – jetzt sehen wir nicht mehr nach dem weißen Schlosse hinüber!“ schalt sie und schloß ohne Weiteres das Fenster. „Jetzt muß das Kindchen schlafen, vorher aber diesen guten, frischen Himbeersaft trinken – der verscheucht alle bösen Träume, und morgen – morgen ist Alles wieder gut!“

Diese einfachen Worte, die nur eine Mutterstimme so süß beschwichtigend aussprechen kann, fielen wie erlösend auf das heiß klopfende Herz des jungen Mädchens. Sie warf sich ungestüm an die Brust der großen, starken Frau, schlang die Arme um ihren Hals und brach in einen Thränenstrom aus.

„Nun, nun, Herzchen,“ beruhigte die Pfarrerin. „Freilich, schaden kann’s nicht – weinen Sie sich nur recht von Herzen aus, das wäscht alle schlimmen Eindrücke weg. … Aber dann sind Sie mir guten Muthes – das bitte ich mir aus! … Sie sind ja bei Pfarrers, und da darf Ihnen kein Härchen gekrümmt werden, und wenn zehn Excellenzen kommen und drohen sollten.“

Die gute, prächtige Frau! … Sie hatte einen klaren, durchdringenden Verstand und ein scharfes, kluges Auge; aber das erkannte sie doch nicht, daß die Thränen des tieferregten Mädchens – die ersten Wonnethränen der jungen Braut waren …

(Schluß folgt.)




Aus der Wandermappe der Gartenlaube.

Nr. 2. Das Wetterhorn.

Unter den Alpenhäuptern des Berner Oberlandes ist mein Liebling das Wetterhorn. Mit ihm ist’s nicht wie so oft mit andern Schönheiten, die nur auf einer Seite schön sind oder nur aus einer gewissen Entfernung einen Schimmer von Schönheit haben, näher besehen all’ den guten Schein verlieren. Das Wetterhorn ist immer schön, wirklich schön, von welcher Seite wir uns ihm nahen mögen. Uebersteigen wir von Meiringen her die „große Scheidegg“ nach Grindelwald, so bietet es gleich im Rosenlaui durch die Wettertannen hindurch mit seinem großen Felsgestell und seiner kühnen Gletscherspitze ein Bild voll kecker Frische, das vielen Malern schon die prächtigsten Skizzen geliefert hat. Ersteigen wir weiterhin den Kamm der Scheidegg, dann starren zu unsrer Linken die gewaltigen Felswände, mehrere tausend Fuß senkrecht aufsteigend. Oben über die schroffen Wände strecken sich zwei Gletscherzungen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 484. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_484.jpg&oldid=- (Version vom 7.8.2022)