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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Armen vollkommen den Eindruck eines Automaten machte. Etwa zehn Minuten mochte dieser Kreiseltanz dauern, dann verneigten sich die Tanzenden mit gekreuzten Armen vor ihrem Schach, gingen, ohne ein Zeichen von Ermüdung oder Schwindel zu geben, ruhig im Kreise herum, um, in den größeren Reigen eintretend, anderen ihre Stelle zu überlassen. Nur selten ruhten die Acteure von ihrer religiösen Kraftproduction, um dann ihr monotones Drehen und Allahrufen mit ungeschwächter Kraft zur Ehre Gottes von Neuem zu beginnen.

Die mit so feierlichem Ernste aufgeführten Tänze dieser wunderlichen Asketen, die bunten belebten Gruppen der Andächtigen, deren Trachten in Farbenreichthum mit dem der ausgebreiteten Teppiche wetteiferten, der hohe erhabene Kuppelbau im feinsten Alabaster mit der magisch wirkenden Beleuchtung – welch’ ein wunderbares, märchenhaft wirkendes Bild des Ostens! In den Capellennischen zwitscherten und sangen unzählige dort nistende Vögel, die von dem hellen Kerzenschein aus der Ruhe der Nacht aufgescheucht waren; von draußen aber erklang durch das offene Portal zu Ehren des Kronprinzen eine rauschende Janitscharenmusik. Die wild aufwirbelnden, schmetternden Töne standen in vollstem Einklang mit den religiösen Tänzen der fanatischen Diener Allahs.

W. Gentz.




Blätter und Blüthen.

Norton der Erste, der Kaiser von den Vereinigten Staaten. Eine auffallende Erscheinung in den Straßen San Francisco’s ist der Kaiser Norton der Erste, eine Persönlichkeit, welche in sonderbarer Uniform gravitätisch dahergeschritten kommt und von Jedermann mit vorzüglicher Hochachtung betrachtet wird.

Herr Norton ist von Herkunft ein englischer Jude und einer der sogenannten „Pioniere“ (erste Ansiedler) Californiens. Im Jahre 1852 war er einer der wohlhabendsten Kaufleute von San Francisco, verlor aber bald darauf sein ganzes Vermögen in einem der verheerenden Brände, welche in früheren Jahren diese Stadt wiederholt einäscherten. In Folge dieses Unglücks zerrütteten sich die Verstandeskräfte des sonst gebildeten Mannes und es stellte sich bei ihm die fixe Idee fest, daß er der Kaiser der Vereinigten Staaten sei, der hier in San Francisco seine Residenz aufgeschlagen hätte. Er erklärte dieses öffentlich und verlangte bestimmt, man solle ihn seiner hohen Würde entsprechend behandeln. Vor Allem bestand er darauf, daß jedermann ihm tributpflichtig sei, sammelte Abgaben ein, aß und trank etc. wo und was er wollte, ohne je einen Cent dafür zu bezahlen.

Die San Franciscaner waren höchlichst erstaunt über den wunderbaren Gesellen, ohne jedoch ungehalten wegen seiner Forderungen zu werden; statt, wie in anderen Ländern und Städten geschehen wäre, Norton in ein Irrenhaus zu schicken, erkannte man in der in Geldangelegenheiten beispiellos liberalen Stadt San Francisco auf gutmüthige Weise seine kaiserlichen Ansprüche an, zahlte, was er verlangte, und behandelte ihn seiner hohen Würde entsprechend – und so geschieht es noch heute.

Norton behauptet mit dem ernstesten Gesicht von der Welt, mit den meisten fürstlichen Familien Europas verwandt zu sein. Die Königin Victoria nennt er seine liebe Cousine, den Kaiser von Oesterreich seinen Vetter. Mit den Bourbonen ist er besonders nahe verwandt und haßt den Kaiser Napoleon den Dritten als einen Eindringling im tiefsten Grunde seiner Seele. Auch will er nichts davon wissen, daß er ein Jude sei. „Wie kann ich, Norton der Erste, der Kaiser von den Vereinigten Staaten,“ sagt er, „ein Jude sein, der ich mit der königlichen Familie der Bourbonen so nahe verwandt bin, die, wie doch Jedermann weiß, keine Juden sind?“

Der Kaiser Norton der Erste, der ein unverwüstlicher Spaziergänger ist, erscheint stets in Uniform, in blau-grünem Waffenrock, blauen Hosen, schweren Goldepaulettes und Generalshut mit Reiherfeder. Einen Schleppsäbel trägt er nur bei feierlichen Gelegenheiten, und zieht einen gewichtigen Knotenstock jenem gewöhnlich vor. Stets trägt er eine rothe Rose im Knopfloch. Sein Schuhzeug ist immer zerrissen und eines Kaisers durchaus unwerth. Der Grund dazu ist der, daß er stark an Hühneraugen leidet und sich die neuen Schuhe immer gleich zerschneidet, um bequemer darin gehen zu können.

Gelegentlich besucht er die Banquiers und Kaufmannsfirmen von San Francisco, um Abgaben einzutreiben. Er bittet oder bettelt keineswegs um Geld, sondern verlangt es auf sehr bestimmte Weise und droht mit Execution, falls man Miene macht ihn abzuweisen. Seine Forderungen beschränken sich in der Regel auf zwei und ein halb Dollars, doch treibt er mitunter bis zu zehn Dollars von einer Firma ein. Selten kommt es vor, daß Jemand ihm den Tribut verweigert. Für die so erlangten Summen stellt er Empfangsscheine aus, mit einem großen Siegel, auf welchem die Worte stehen: „Norton I., Emperor of the United States“. Für kleinere Summen als zwei und ein bald Dollars, die er von Bekannten und Freunden täglich eintreibt, stellte er keine Empfangsscheine aus. Das Geld, welches er einnimmt und wofür er absolut gar keinen Gebrauch hat, verschenkt er an Arme, da er als Kaiser seine hülfsbedürftigen Unterthanen nicht Noth leiden läßt.

Wünscht Seine Majestät zu speisen, so tritt er in das erste beste Restaurant oder er geht in einen Speisesaal von einem der großen Hôtels der Stadt, commandirt die Kellner mit lauter Stimme zu seiner Bedienung und bestellt sich nach der Karte eine gute Mahlzeit. In einem Restaurant nimmt er mitunter an einer Tafel Platz, an der eine Gesellschaft von Damen und Herren vom Lande speist, stellt sich denselben als Kaiser Norton der Erste vor und schnauzt die Kellner grimmig an, wenn sie nicht flink genug bei der Hand sind. Man kann sich das Erstaunen mancher Schönen vom Lande über die kaiserliche Bekanntschaft wohl vorstellen! Wenn er seine Mahlzeit beendigt hat und bei guter Laune ist, geht er zum Wirth und fragt ihn, ob er eine Quittung wünscht, der ihm höflich antworten wird: „never mind, Emperor!“ (ist nicht nöthig, Herr Kaiser.) In der Regel entfernt er sich aber, ohne ein Wort zu sagen, und es wird Niemandem einfallen, ihn aufzuhalten und um Geld zu fragen.

Auf ähnliche Weise holt er sich seinen Tribut von Cigarren aus irgend einem Cigarrenladen, versorgt sich in den Schnitt- und Ellenwaarengeschäften mit Leibwäsche, Taschentüchern, Strümpfen etc. besucht die Trinksalons, Theater und andere Vergnügungsorte in der Stadt und Umgegend, fährt in den Straßenwaggons etc. ohne je einen Cent dafür auszugeben. Sonntags besucht er die Kirchen in Gala, da er sehr religiös ist. Wird seine Uniform etwas schäbig, so läßt er in den Hauptzeitungen der Stadt anzeigen, daß er, der Kaiser Norten der Erste, eine neue Uniform haben will, die denn auch sofort durch Subscription angeschafft wird.

Früher pflegte Norton immer in Begleitung von zwei großen Hunden, mit Namen „Lazarus“ und „Bummer“, spazieren zu gehen, die er auch mit in die Restaurants nahm und dort mit den besten Bissen von der Speisetafel fütterte. Voriges Jahr starben sowohl Lazarus als Bummer, und er veranstaltete ihnen zu Ehren ein großartiges Leichenbegängniß, wobei Viele zu Fuß und in Kutschen folgten. Lazarus wurde später ausgestopft und ist jetzt in dem Speisehaus zu sehen, wo der Kaiser Norton der Erste sein freies zweites Frühstück einzunehmen pflegt.

San Francisco, im Juni 1869. Theodor Kirchhoff.




Ein Feind weniger. Es ist eine ziemlich allgemeine Annahme, daß das Leuchtgas, wenn es aus seinen unterirdischen Leitungen entschlüpft und sich im benachbarten Erdreich verbreitet, den etwa da stehenden Bäumen verderblich sei. Man hat in diesem Sinne hie und da schon Maßregeln ergriffen, um die vermeintliche Gefahr abzuwenden, namentlich durch Anlegung von Mauerwerk, welches das Gas von den Baumwurzeln abhalten soll. Es liegt allerdings nahe genug, einen solchen Verdacht auf den bösen Steinkohlengeist zu werfen, der ja alles lebendigen Feind ist und dem Menschen selbst, sei es im plötzlichen Ueberfall oder in schleichender Tücke, an’s Leben geht. Indeß scheint es nun doch erwiesen, daß das Gas wenigstens dem Pflanzenleben nicht schädlich und an dem Eingeben der Bäume unschuldig ist. Herr Dr. Poselger in Berlin hat diese Erfahrung durch Versuche gemacht, die man wohl gründlich nennen kann, und über den Gegenstand eine Denkschrift veröffentlicht. Es wurden im Jahre 1866 in einen länglichen mit Erde gefüllten Kasten acht junge Bäumchen gepflanzt, Linden, Kastanien, Buchen, Eichen und im Sommer des folgenden Jahres, wo sie in bester Vegetation standen, dem Versuche mit Gas unterworfen. Durch die Länge des Kastens zog sich ein Blechrohr, das, soweit es innerhalb lag, mit feinen Löchern durchbohrt war. Wurde nun die eine Mündung mit einem Kork verstopft und in die andere Gas eingeleitet, so mußte dieses nothwendig seinen Ausgang durch die Erdschicht suchen und mit den Wurzeln der Gewächse in directe Berührung kommen.

In dieser Art wurde durch vierzig Juli- und Augusttage experimentirt, täglich speiste der Gummischlauch den Kasten drei Stunden lang mit Gas und die Gewächse befanden sich somit in einem so abnormen Zustande, wie er sich in gleicher Stärke und Dauer durch gelegentliche Gasentweichungen gar nicht bilden kann. Bei alledem zeigten sich die Bäumchen durch das Experiment nicht im geringsten geschädigt oder belästigt, sie fuhren fort, sich frisch und kräftig zu entwickeln, nicht nur durch die ganze Prüfungszeit, sondern auch später und den Sommer 1868 hindurch. Hiernach zu urtheilen, wären die Ursachen des Baumtodes durch die Gasbeleuchtung um keine neue vermehrt worden; sie sind aber für Bäume auf städtischen Promenaden etc. ohnehin häufiger als in der freien Natur. Es kommen dabei in Betracht: schlechter Boden, sei er dies schon gewesen oder dadurch geworden, daß der Baum die Nahrungsstoffe in seinem Bereich mit der Zeit völlig erschöpft hat. In diesem Betracht sind Ummauerungen zur Abhaltung von Gas geradezu schädlich, denn sie hindern den Baum mit seinen Wurzeln nach Nahrung weiter auszugreifen. Mangel an Bewässerung in Zeiten der Hitze ist in nicht wenigen Fällen, besonders wo festgetretene Wege oder Pflasterung den Regen nicht eindringen lassen, ein anderer Grund, daß die Bäume kümmern und zeitig im Jahre das Laub verlieren. Endlich leiden sie da, wo viele Menschen passiren, nur zu häufig durch Verunreinigung, welche die Bäume rinden- und wurzelfaul macht und sie mit der Zeit ebenso zum Absterben bringt, wie dies mit einem in gleicher Weise heimgesuchten Rasen sehr bald geschieht.




Die Thränen der Mutter (Nr. 29 der Gartenlaube) sind zu unserer innigen Freude getrocknet worden; unsere Bitte ist durch die vollkommenste Beruhigung des geängsteten Mutterherzens erledigt.


Inhalt: Reichsgräfin Gisela. Von E. Marlitt. (Schluß.) – Wild-, Wald- und Waidmannsbilder. Von Guido Hammer. Nr. 30. Ein Verhängnißvoller Jagdmorgen. Mit Abbildung. – Verlassen und Verloren. Historische Erzählung aus dem Spessart. Von Levin Schücking (Fortsetzung.) – Ein Hamburger als König der Mainotten. Von Ritter v. Zerboni di Sposetti. – Christliche Patriarchen und muhamedanische Studenten. Mit Abbildung. – Blätter und Blüthen: Norton der Erste. – Ein Feind weniger. – Die Thränen der Mutter.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 512. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_512.jpg&oldid=- (Version vom 14.8.2022)