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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

No. 33.   1869.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich bis 2 Bogen.0 Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Verlassen und Verloren.

Historische Erzählung aus dem Spessart.
Von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)

„Alle Teufel!“ hatte unterdeß der Capitain Lesaillier, an eines der Fenster stürzend und es aufreißend, ausgerufen … „Heda, Leute, wer kommt uns da auf den Leib? Was giebt’s?“

Mehrere von der Mannschaft liefen heran.

„Es sind diese verdammten Bauern – dieses Gesindel – sie schießen in den Hof herein!“ schallte es ihm entgegen.

„Pest! Etienne und Ihr beiden Andern kommt herein und übernehmt die Bewachung unserer Gefangenen – Ihr steht mir mit Euren Köpfen für sie, merkt Euch das.“

Damit stürzte der Capitain und der Wachtmeister davon, um, während die drei Chasseurs eintraten, die Vertheidigung des Platzes zu leiten.

Die Angreifer hatten mit wohlgezielten Schüssen zwei in der Allee vor Goschenwald abgestellte Posten von ihren Pferden heruntergeschossen. Dann waren sie auf das Thorgebäude zugestürmt, hatten aber beim Anblick der großen Zahl Reiter, welche sich auf dem Hofe befanden, Kehrt gemacht; sie hatten an dem Bergabhang über der Allee verdeckte Stellungen hinter den Baumstämmen genommen und schossen von daher in den Thoreingang hinein. Capitain Lesaillier eilte, einen Theil seiner Leute in den Thorvorbau zu senden; er stieg selbst mit ihnen in des Schössers Zimmer da oben, das die Allee beherrschte, hinauf; er ließ auf die versteckten Feinde aus den Reitercarabinern seiner Leute Feuer geben – aber er sah bald, daß es ein unnützes Pulververbrennen war. – Er kam nach kurzer Zeit in die Halle zurück.

„Diese vermaledeiten Banditen!“ rief er aus. „Wer mir nur sagen könnte, wie viel von ihnen in dem Gehölze stecken, von diesen heimtückischen Strauchdieben! Madame, haben Sie den Muth, trotz ihrer Kugeln den Ausmarsch zu wagen? Nein, Sie haben es nicht! Verfluchte Lage! Ich muß aufbrechen, ich muß … Lepelletier – wo ist Lepelletier?“

Lepelletier war auf dem Hofe, wo er seine Reiter aufsitzen ließ.

„Lepelletier!“ schrie ihm der Capitain durch das offene Fenster zu, „nehmen Sie fünfzig Mann als Tête, rücken Sie damit aus – in scharfem Trabe – das Gesindel wird Sie angreifen, es wird Sie auf Ihrem Vormarsch rechts und links hinter den Gebüschen begleiten, Sie werden so seine ganze Aufmerksamkeit absorbiren … später folge ich mit den Frauen und Gefangenen!“

„Während wir die Kugeln in den Leib bekommen – wie das Strohbündel die Flöhe des Fuchses – ich denke mit Verlaub, mein Capitain, wir thäten besser, uns hier im Hofe zu verschanzen und abzuwarten, ob die Canaille den Muth hat, uns hier offen anzugreifen!“

„Oder bis sie Verstärkung erhält, uns in dieser Bicoque abwürgen zu können!“

„Es ist mein Rath, mein Capitain … nichts für ungut – Niemand hat Lust sich zum Kugelfang herzugeben …“

Der Capitain stampfte mit dem Fuße.

„Und Etienne, Du?“ rief er den einen der drei Chasseurs an, die er vorher hereingerufen, und die sich an den untern Tisch gesetzt hatten.

„Wenn Sie meine Meinung wollen, mein Capitain, ich denke wie der Wachtmeister!“ sagte der Sergeant Etienne, leicht die Finger an den Tschako legend. „Entweder wir brechen Alle miteinander auf, oder bleiben miteinander – wenn diese Damen unsern Schutz nicht aufgeben wollen, so müssen sie auch unsere Gefahren theilen!“

Der Capitain sah nach der Uhr.

„Fast sieben Uhr,“ rief er aus … „dann vorwärts, Lepelletier, zum Aufbruch! – Wir wollen abreiten – lassen Sie aufsitzen – wir wollen uns durchschlagen!“

„Mein Gott,“ rief hier Frau Marcelline, „fällt Ihnen denn gar nicht ein, Lesaillier, daß wir die Gefangenen dort haben?“

„Und die Gefangenen, was ist mit ihnen, Madame?“

„Wenn wir den Hof verlassen und es fällt ein Schuß auf uns, so senden Sie einen Parlamentair an das Bauernvolk draußen – lassen Sie ihnen bedeuten, sobald ein zweiter Schuß falle, würden Sie die Gefangenen niederschießen lassen!“

Capitain Lesaillier blickte die Dame ein wenig überrascht an.

„Ich weiß nicht,“ antwortete er dann, ob der General …“

„Für die Gutheißung des Generals bürge ich!“ versetzte Frau Marcelline stolz … „haben Sie ein weißes Sacktuch, es an Ihren Säbel als Parlamentairflagge zu binden?“

Mille diables, der Einfall ist gut, mein Capitain,“ sagte der Wachtmeister, „ich fürchte nur, die Bauern werden sich verdammt wenig daraus machen – es ist besoffenes Gesindel!“

„Aber wir können uns von besoffenem Gesindel nicht länger hier festhalten lassen wie Mäuse in der Falle!“ rief der Capitain – „also vorwärts – aber was ist da, welcher Lärm ist dies?“

Der Capitain wandte sich bei diesem Ausruf der hinteren Thür des Raumes zu, durch welche vorher so ahnungslos die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 513. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_513.jpg&oldid=- (Version vom 13.3.2020)