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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Zeit gänzlicher Finsterniß, in welcher Wissenschaft und Kunst und Alles, was das Leben schmückt und verschönt, in Vergessenheit und Verfall sanken. Unsere germanischen Vorfahren, die in die kaiserliche Stadt als Sieger eindrangen, hatten ihre besonderen und sehr ursprünglichen Methoden, die Flucht der Zeit zu markiren; von Stunden und Minuten wußten sie nichts. Um Wasseruhren zu erfinden, waren sie lange nicht gebildet genug, und Sonnenuhren, selbst wenn sie solche besessen hätten, dürften ihnen in ihren Wäldern und Sümpfen, wo das Tagesgestirn nur selten einmal in hellem Glanze sichtbar wurde, von geringem Nutzen gewesen sein. Nichts destoweniger aber mußten sie wissen, wann sie ihre rohen Mahlzeiten zu bereiten, wann sie sich zum Cultus ihrer Götter zu versammeln und wann sie die Wachposten abzulösen hatten, die am Saume ihrer Ansiedelungen aufgestellt zu sein pflegten. Um dies zu bewerkstelligen, ersannen sie das folgende Verfahren. Mit Tagesanbruch, wenn der Häuptling des Lagers oder Dorfes sich von seinem Thierfell erhob, kam ein junger Sclave, setzte sich am Eingang der Hütte nieder und stellte zwei Helme vor sich hin, von welchen der eine mit Kieseln gefüllt, der andere leer war. Sein Geschäft bestand nun darin, daß er diese Kiesel einen nach dem andern, und nicht zu schnell, vom ersten Helm in den zweiten warf, worauf er von einem andern Sclaven abgelöst wurde, der die gleiche Operation wiederholte. So ging es mit Leeren und Füllen der beiden Helme fort bis Sonnenuntergang. Da die Helme in der Regel sehr groß, die Steine aber durchschnittlich sehr klein waren, so muß der Proceß des Ueberwerfens von einem Behälter in den andern wohl zwei gute Stunden, vielleicht noch mehr in Anspruch genommen haben; es ist daher wahrscheinlich, daß die alten Germanen, gleich den Asyern, ihre Tage in sechs Theile oder Wachen teilten. War ein Helm entleert, so verkündete man dies Begebniß dem Lager dadurch, daß man, an der Thür vor der Häuptlingshütte, mit dem Schwerte an den Schild schlug. Der Schall tönte durch das ganze Lager, und sämmtliches Publicum wußte dadurch, daß die Stunde des Mittagsessens oder der Götterverehrung gekommen war.

Allein dies war nicht die einzige Art und Weise, auf welche unsere Ureltern die Zeit bezeichneten. Es gab vielmehr noch eine Menge anderer Mittel und Wege dazu, je nach den verschiedenen Oertlichkeiten und Stämmen verschieden. Da wo die Beschäftigung des Landmanns vorwaltete, rechnete man nach der Zahl der Furchen, die er mit dem Pfluge ziehen, oder, war es zufällig Erntezeit, nach der Quantität der Halme, welche er mähen konnte. In jenen Städten, wo sich noch ein schwacher Ueberrest von römischer Cultur erhalten hatte, ward die Zeit durch Wächter verkündet. Sowie der Tag kam, brach ein Soldat zu Fuß – war der Ort umfänglich, wohl auch zu Roß – auf und hielt seinen Umgang um die Stadt. Hatte er denselben beendet, so war der erste Zeitabschnitt, die erste Wache, vorüber der Soldat rückte in sein Quartier heim und stieß laut in die Trompete, während ein zweiter sich auf den Weg machte, die Stadt zu umwandern oder zu umreiten. Und diese Umzüge währten ununterbrochen fort Tag und Nacht, mit dem einzigen Unterschiede, daß nach Sonnenuntergang kein Trompetenstoß mehr erfolgte und daß dann nicht ein einzelner Soldat, sondern eine Rotte von zehn bis zwölf Mann den Umgang vollzog.

Als ein letztes Beispiel von barbarischer Zeitmessung wollen wir noch die in den Klöstern des Abendlandes, deren erstes bekanntlich vom heiligen Benedict im Jahre fünfhundertdreiundzwanzig unserer Aera gestiftet wurde, gebräuchliche Methode anführen. Die Mönche pflegten nämlich die Zeit nach der Anzahl von Gebeten zu berechnen, welche sie abplärren konnten, wodurch die sogenannten Rosenkränze in Aufnahme kamen. Jeder Mönch hatte so viele „Paters“ und "Aves“ herzusagen, wie sich Perlen an seiner Schnur befanden, und da, wenn wir nicht irren, die orthodoxe Perlenzahl dreiunddreißig zu sein pflegte, das heißt je eine für jedes Lebensjahr unseres Religionsstifters, so war das Abbeten des Rosenkranzes das Werk von guten anderthalb Stunden. Ganz wie bei den erwähnten Zeitwächtern löste nun ein Mönch den andern ab, und die Beendigung jeder einzelnen „Vigilie“ wurde durch Anschlagen der Capellenglocke verkündigt, – eine Sitte, welche, beiläufig, in gewissen Klöstern noch heutigen Tages besteht.

Ein Jahrhundert nach dem Untergang des römischen Reiches war die Gewohnheit, Stunden und Minuten zu markiren, in Westeuropa völlig verschwunden, und ohne die Staaten des Ostens, in denen die Flamme der Wissenschaft noch matt glimmte, während der Occident ganz und gar im Dunkel lag, würde vielleicht alle Horologie außer Cours gekommen sein. Dem berühmten Kalifen von Bagdad, Harun-al-Raschid, gebührt das Verdienst, Europa die alte Wasseruhr wieder geschenkt zu haben. Ein Zeitgenosse Karl’s des Großen, sandte er diesem im Jahre 807 eine prachtvolle Klepsydra zum Zeichen seiner Freundschaft, allein man scheint das merkwürdige Geschenk zunächst mehr bewundert und angestaunt als nachgeahmt zu haben, denn wir finden keine Erwähnung von im Frankenstaate fabricirten Wasseruhren bis auf Philipp, der im eilften Jahrhundert über das heutige Frankreich herrschte. Der Grund dieser auffälligen Erscheinung ist möglicher Weise darin zu suchen, daß kurz vor dem Regierungsantritte Karl’s des Großen die Sanduhr erfunden worden war und daß man diesen Apparat für bequemer und einfacher erachtete, als die Klepsydra.

Jener Mann, welcher die Jahrhunderte verloren gegangene Kunst der Glasbereitung wieder erfand, war auch der Verfertiger der ersten Sanduhr. Es war ein Mönch, Namens Luitprand, in einem Kloster zu Chartres, und so wie er das erste Sandglas herstellte, genau so sind die Sanduhren bis auf den heutigen Tag geblieben. zwei birnenförmige Gläser, die an den schmäleren Enden miteinander verbunden sind. So wie der Sand von dem einen in das andere Glas hinabgeronnen war, wurde die Verrichtung umgekehrt und die Operation begann von Neuem. Kurze Zeit nach dem Empfange von Harun-al-Raschid’s Wasseruhr ließ Kaiser Karl eine Monstersanduhr herstellen, auf welcher die Stundenabschnitte durch dünne rothe Linien bezeichnet waren. Dies gilt als das erste "Stundenglas“. Es brauchte alle zwölf Stunden blos einmal umgedreht zu werden, und wenn wir annehmen dürften, daß es mit derselben Sorgfalt geblasen war, die man heutzutage aus die Verfertigung unserer kleinen Eiersanduhren wendet, so würde es an Genauigkeit unseren besten Ankeruhren nicht viel nachgestanden haben. Hört man doch noch jetzt mannigfach die Behauptung ausbrechen, daß die Sanduhr der beste aller bisher erfundenen Zeitmesser ist.

England, welches heute in vorderster Reihe steht, wo es sich um technische Erfindungen und Verbesserungen handelt, bediente sich damals noch einer Reihe alter, primitiver und unbeholfener Methoden, die Zeit zu messen. König Alfred, der von 872 bis 900 regierte, hatte sicherlich von den fränkischen Stundengläsern gehört, möglicher Weise auch selbst ein solches besessen, da die Mönche und Pilger, die fortwährend zwischen Deutschland und England hin und her wanderten, wohl kein Jahrhundert hätten verstreichen lassen, ohne ein Modell der neuen Erfindung mit über den Canal hinüber zu tragen. Dennoch erdachte König Alfred eine eigentümliche, höchst ursprüngliche Zeitmessungsmethode, er markirte die Zeit nämlich durch das Verbrennen einer in eine Laterne gestellten Kerze, deren Docht aus einer Binse bestand, wie dergleichen Lichter noch jetzt in England hie und da auf dem Lande im Gebrauch sind. Etwas Unzweckmäßigeres und zugleich Kostspieligeres als diese Art der Zeitmessung läßt sich aber gar nicht vorstellen. Ein solches Binsenlicht kann damals kaum unter zwei bis drei Groschen unseres heutigen Geldes herzustellen gewesen sein, und da man den Talg noch nicht zu raffiniren verstand, so müssen alle Mittel gefehlt haben, die Zeit zu bestimmen, in welcher eines dieser Lichter verbrannte. Das eine flackerte und schmolz vielleicht eine Stunde, während ein anderes sich in zehn Minuten verzehrte. Erst fast zwei Jahrhunderte später wurde das Sandglas in England allgemein eingeführt und Richard Löwenherz brachte, wenige Jahre vor seiner Thronbesteigung, die erste Wasseruhr aus Frankreich in sein Heimathland herüber.

In den nächsten beiden Jahrhunderten machte die Horologie sehr unmerkliche Fortschritte, bis unter König Karl dem Fünften von Frankreich, im Jahre 1374, die erste wirkliche Schlaguhr das Licht der Welt erblickte. Ihr Verfertiger war ein gewisser Henri de Vie, ein Araber von Geburt, welcher in Frankreich den christlichen Glauben angenommen hatte. Seine Uhr hatte riesige Dimensionen, sie wog mehr als fünfhundert Pfund! Froissart, der bekannte Chronist, giebt uns eine ausführliche Beschreibung der schweren Maschine, die im runden Thurm des königlichen Palastes (jetzt Palais de Justice) ihren Platz fand und mehrere

Monate hindurch Tag für Tag Schaaren von Neugierigen herbeizog.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 521. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_521.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)