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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Eine neue Schulbank.
Von Dr. C. H. Schildbach


Soll ich mich rechtfertigen, daß ich mit einem scheinbar so untergeordneten Gegenstand vor die Leser unseres deutschen Weltblattes trete? Daß mir als orthopädischem Arzt diese Angelegenheit von Interesse ist, wird Jeder natürlich finden; daß dieses Interesse aber kein einseitig befangenes ist, sondern von allen Culturvölkern getheilt zu werden verdient, kann nur Derjenige in vollem Maße würdigen, welcher von den Beziehungen der Schulbank zur Gestaltung und den Lebensverrichtungen des jugendlichen Körpers nähere Einsicht gewonnen hat.

Kunze's neue Schulbank.

Das große Publicum, als welches wir hier die sämmtlichen Eltern schulpflichtiger Kinder aufrufen, entbehrt ohne Zweifel bis heute jeden Einblick in die Gefahren, welche durch die falschen, den Erfordernissen des kindlichen Körpers nicht entsprechenden Einrichtungen von Tisch und Bank der Schulen dem Leib und dadurch auch dem Geiste ihrer Kinder drohen, denn hätten sie diesen Einblick, so könnten unmöglich jährlich Hunderttausende und Millionen Kinder immer wieder zu den alten Schulbänken geführt werden, ohne daß nur einmal die Besorgniß ausgesprochen würde, ob an so mancher Beeinträchtigung der Gesundheit der Kinder nicht in irgend einer Weise die Schule schuld sei, in welcher sie so viele Zeit zubringen müssen.

Dieser Aller Theilnahme und Aufmerksamkeit wünsche ich auf die eine Thatsache hinzurichten, daß ich in unserem wegen seiner Schulen so hochgepriesenen Leipzig selbst über tausend Schulkinder untersucht und sehr wenige darunter gefunden habe, die nicht irgend eine seitliche Abweichung der Wirbelsäule zeigten!

Und was ist die Ursache dieser doch wahrlich sehr beklagenswerthen Erscheinung? Hauptsächlich der unverhältnißmäßige Abstand des inneren Tafel- und vorderen Bankrandes (Distanz), zwischen welchen die Herren Pädagogen gar so gern Raum genug sehen, damit das Kind dort aufrecht stehen könne. Man beachte freundlichst die Folge dieser Einrichtung. Ich fand an Leipziger Subsellien eine Distanz von acht bis achtzehn Centimeter, das erstere, geringste Maß in einer ersten Knabenclasse, das letztere, enorm hohe in einer vierten Mädchenclasse. Das Sitzen aber auf solchen Bänken ohne Lehne wird den Kindern sehr unbequem Mehrere Stunden nach einander sich straff aufrecht erhalten können sie nicht; zunächst sinken sie ein, so weit es der Rücken hergiebt; dann fängt auch diese Stellung unangenehm zu werden an und sie suchen eine Stütze. Die einzige, die sich ihnen darbietet, ist die Tafel; um diese zu erreichen, rutschen sie auf der Bank vor bis zur äußersten Kante, – die sich an solchen Bänken ganz glatt gescheuert zeigt, während die hintere Hälfte derselben gar keine Spuren der Abnutzung an sich trägt –, und stemmen die Arme auf den Tisch, welche nun dem Oberrumpf und dem Kopf eine neue Stütze gewähren und der Wirbelsäule einen Theil ihrer Last abnehmen. Mit der Nöthigung zu dieser Stellung wird die unbequeme Bank zu einer schädlichen; der Rücken biegt sich krumm, besonders in seiner untern Hälfte, der Oberkörper sinkt zwischen den Schultern so weit als möglich herab und Brust und Leib erleiden einen bedenklichen Druck. Wird bei dieser Stützung des Körpers zugleich geschrieben, so stellen sich die Schultern ungleich

und auch der Körper wird einseitig gebogen und verdreht; dann

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 533. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_533.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)