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verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

außerhalb der Stadt in unserem Garten zu und waren Alle unter einander recht fröhlich im Herrn. Ich gewann auf dem Billarde zwölf Ave Marias, die Strottmann, und auf dem Bosselplatze (d. h. auf der Kegelbahn) wiederum fünf andere, welche Poller für mich beten mußte.“

Welcher Mutter, die die reinste Andacht mitfühlt, wenn sie ihr Kind beten lehrt, schaudert es nicht in tiefster Seele vor solcher Entwürdigung der schönen frommen Erhebung zu Gott im Gebet! Herausgespielte und herausgekegelte Gebete unter priesterlicher Leitung! Welche „Fröhlichkeit im Herrn“! –

Als diese jungen Gebetspieler von ihrem christlichen Vergnügen um sieben Uhr Abends nach Hause gingen, überraschte es sie nicht wenig, gleich beim Eintritt an der Pforte ihren Pater Rector und alle Patres und Fratres mit ihren Flügelröcken angethan in zwei Reihen aufgestellt zu finden. Die Regel des Stillschweigens, die mit dem ersten Tritte in die Stadt auch an Recreationstagen den Novizen auferlegt ist, verbot ihnen, nach der Ursache dieser seltsamen Erscheinung zu fragen. Es gehörte zur gründlichen Zerknirschung der jungen Seelen, den Leidensbecher tropfenweise zu leeren. Stillschweigend, obwohl der peinigendsten Neugierde voll, gingen sie in das „Museum“, wie der Saal genannt wurde, in welchem die Novizen sich den Tag über aufhielten. Hier erschien der „charissimus Manuductor“ (wörtlich: der theuerste Handleiter), derjenige Novitius, welchem die untergeordnete Aufsicht über alle seine Mitbrüder anvertraut war und der ihnen jede von dem Pater Rector auferlegte Verrichtung in ganz besonderer Weise zu verkündigen hatte. Er klingelte nämlich erst einmal, woraus alle Novizen von ihren Stühlen aufstanden, dann klingelte er noch einmal, und da mußten Alle auf die Kniee fallen und den Befehl erwarten, den er nach dem dritten Klingeln gab, und welche hochwichtige Dinge waren es, die eine solche demuthsvolle Vorbereitung bedurften? Sie wurden entweder zum Lesen, oder zum Tafeldecken, oder zum Auskehren der Gänge etc. aufgefordert! – Wir finden hier dasselbe Herabwürdigen des Menschengefühls, unter welchem unser Benedictiner von Banz gelitten! – An jenem Abend sagte der „Manuductor“ Lesung der Lebensgeschichten der Heiligen des Ordens an. „Ich meinerseits,“ gesteht in seinem Briefe Reinhold, „konnte vor Unruhe und Neugierde keine Zeile Sinnes auffassen.“

Und als Reinhold vor dem Schlafengehn an der Schatzkammer vorbeiging, fand er sie mit einem großen kaiserlichen Siegel besiegelt, – und „nun ahndete ihm nichts Gutes mehr.“ – Trotzdem verlief den Zöglingen noch der ganze andre Tag ohne Erlösung aus der Ungewißheit, und erst als sie am Abend aus dem Dormitorium (Schlafsaal) von der „spanischen Disciplin“ zurückkamen, wurde von einem Domherrn der Metropolitankirche auch ihnen die päpstliche Bulle verlesen und ihre Entlassung aus dem Probhause angekündigt.

Alle brachen in lautes Wehklagen aus, und in diesen sattsam aufgelockerten Boden streute nun der Pater Rector den Samen seines Trostes und seiner Ermahnung. Er beschwor die Jammernden, auch der todten heiligen Mutter treu zu bleiben, mit Hinweisung auf deren mögliche Auferstehung, und warnte sie vor der Verführung aus dem Orden. Es hatten nämlich mehrere Prälaten, Aebte und Pröpste anderer Klöster in das Noviciat geschickt und denjenigen Novizen, welche geistlich bleiben wollten, ohne Weiteres ihre Ordenskleider angeboten. – „Wieder eine Schlinge des arglistigen, sich in einen Engel des Lichts so oft verstellenden Teufels, der ja wohl weiß, wie der Pater Rector sagte, daß die Gesellschaft Jesu keinen, der einmal das Kleid eines andern Ordens getragen hat, vermöge ihrer Grundverfassung unter die Ihrigen aufnehmen könne!“

So fest steht der junge Jesuit! Aber vollständig zeigt er sich erst in dem Folgenden, in welchem wir das Kind, den Sohn, den Menschen am furchtbaren Abgrund sehen. Er schreibt:

„Mir fiel nun wohl ein, daß ich wieder zu meinen lieben Eltern nach Hause müßte. Allein da mich das Gesetz der Liebe noch immer an meine heilige Regel hielt, so wagte ich es nicht, mit Wissen und Willen an Sie (seinen Vater, an welchen ja der Brief gerichtet ist) und an das elterliche Haus zu denken. – – Ein so eifriger Christ, wie Sie, mein bester Papa, weiß beinahe so gut als ein Geistlicher, daß es heiligere Bande giebt, als jene der sündhaften Natur, und daß ein Mensch, der dem Fleische abgestorben ist und nur noch dem Geiste lebt, eigentlich keinen andern Vater mehr haben könne, als den himmlischen, keine andere Mutter als seinen heiligen Orden, keine andern Verwandten als seine Brüder in Christo, und kein anderes Vaterland als den Himmel.

– – – Die Anhänglichkeit an Fleisch und Blut ist, wie alle Geistlehrer einstimmig behaupten, eine der stärksten Ketten, mit denen uns Satan fest an die Erde schmieden will. Ich hatte auch wirklich mit diesem Erbfeinde unsrer Vollkommenheit gestern Abend, die Nacht und den heutigen Morgen über einen fast eben so beschwerlichen Kampf, als gleich im Anfang meines geistlichen Standes. Denn alle Augenblicke zauberte er (NB. der Teufel!!) mir Papa und Mama, Brüder und Schwestern, Onkel und Tanten, selbst unser Stubenmädchen nicht ausgenommen, vor die Augen des Geistes. Sie können sich die Gewissensangst vorstellen, die ich aus zustehen hatte, bis endlich heut neun Uhr Morgens der Mannductor ankündigte: der Pater Rector erlaube uns allen, an unsre Angehörige zu schreiben und sie auf unsere Zurückkunft vorzubereiten. Zu größerer Beruhigung meines Gewissens begehrte ich für meine Person vom Manuductor insbesondre Erlaubniß, nicht nur beim Schreiben, sondern auch sonst den Tag über an meine nächsten Blutsfreunde denken zu dürfen. Ich erhielt sie auch, die Zeiten der Meditation, der geistlichen Lesung und des Angelus Domini (,der Engel des Herrn’ – Früh, Mittag- und Abendgebet) ausgenommen. Den leidigen Versucher noch mehr zu quälen und mir noch obendrein das Verdienst des Gehorsams zu machen, ging ich vor dem Schreiben zu unserm Pater Rector selbst aus die Stube und ersuchte ihn, mir das Nachhauseschreiben in Kraft des heiligen Gehorsams zu befehlen.

Diese Stelle des Briefs habe ich vollständig mittheilen müssen, denn noch nirgends ist das innerste Geheimniß der furchtbaren Gewalt des Jesuitismus über die Seinen offener, ehrlicher dargelegt, als von diesem Jüngling mit der vom blindesten Glauben völlig befangenen Seele. Vater, Mutter, Vaterland, Menschheit – Alles geht im Orden und im „heiligen Gehorsam“ auf! – Zu naiv, um zu verletzen, aber immerhin andeutend genug, was bei gehöriger Ausbildung aus ihm hätte werden können, trat auch der geistliche Hochmuth des Fünfzehnjährigen gegen die Familie auf.

„Zu Hause,“ schreibt er, „werde ich nach aller Möglichkeit indessen (d. h. bis zu der gehofften nahen Wiedererstehung des Ordens) die Lebensart fortsetzen, die ich hier nun, Gottlob! so ziemlich erlernt habe. Ich bitte Sie daher, mir das Zimmer mit dem besondren Eingang in den Vorsaal, wo jetzt unser altes Hausgeräth steht, einzuräumen und zwar dasselbe durch unsern Johann zurechte machen zu lassen. Von nun an soll weder Hausmagd noch Stubenmädchen, noch auch eine meiner Schwestern selbst hineinkommen. Meine liebe Mama aber lasse ich erinnern, daß der heilige Aloysius seiner fürstlichen Mutter niemals in’s Angesicht sah. – – – Ich werde in der Welt leben, ohne der Welt zu leben. – Ich weiß, wie bereitwillig Sie mir zu meinen guten Absichten Ihre Hände bieten werden. Sie werden auf diese Weise auch Vater von der Seele werden, wie Sie es bisher nur von dem Leibe waren Ihres gehorsamsten Sohnes und Dieners in Christo.“

So schrieb der Sohn an den Vater, so behandelte er die Schwestern, so die einst angebetete Mutter! Soweit hatte es der Jesuitismus bereits mit dem fünfzehnjährigen Karl Leonhard Reinhold gebracht!

Wer Reinhold’s Namen und Bedeutung in der Wissenschaft nicht kennt, der kann wohl hier ausrufen: „Dieser junge Mensch ist für Wahrheit, Recht und Licht für immer verloren!“ Unsere Ueberschrift verräth jedoch schon das Gegentheil, und für diesen Kreis unserer Leser setzen wir gleich die volle Wahrheit her: zehn Jahre später entflieht dieser Jesuitenzögling als freisinniger philosophischer Schriftsteller aus Wien nach Leipzig, im folgenden Frühling (1784) begiebt er sich, weil sein Aufenthaltsort von Leipziger Jesuiten nach Wien verrathen ist, nach Weimar, zwei Jahre darauf ist er Wieland’s Schwiegersohn, wird dann Professor in Jena, später in Kiel, und hinterläßt nach einem langen, glücklichen Familienleben den Ruf eines der edelsten Menschen, der tiefsten Denker und eines Schriftstellers, der am Himmel unserer philosophischen Literatur für alle Zeit als einer der hellsten Sterne glänzt.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1869, Seite 569. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_569.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)