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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

erhält. Mehr noch, es scheint erwiesen zu sein, daß der Hoffnungsschacht, der einzige Ausweg für die abziehenden Wetter, nicht blos Tags vorher, sondern sogar am Tage des Unglücks selbst wegen einer Schachtreparatur zugebühnt und somit für Wetterzug und Menschen unzugänglich gewesen ist!

Unter allen Umständen ist daher, zur Ehre des sächsischen Bergbaues, eine strenge, von jedweder Privatrücksicht freie und unabhängige Untersuchung der möglichen Ursachen des beispiellosen Massenunglücks geboten, welches zweihundertundneunundsiebenzig wackeren Bergleuten – merkwürdiger Weise ist selbst heute die Zahl derselben nicht über allen Zweifel festgestellt! – das Leben kostete und nur durch einen Zufall nicht noch viel zahlreichere Opfer forderte. Dieser glückliche Zufall war das weit und breit bekannte und besuchte Volksfest der „Dresdener Vogelwiese“, eine beträchtliche Anzahl der Arbeitsmannschaft der beiden Schachte hatte sich bis zum frühen Morgen unter den Buden und Zelten am linken Elbufer umhergetummelt und so die Frühschicht verschlafen. Ohne diesen besonderen Umstand hätten die bösen Wetter anstatt der zweihundertundneunundsiebenzig vielleicht vierhundert und mehr Opfern in der „mit Nacht und mit Grauen bedeckten“ Tiefe den Tod gebracht!

Von allen den am letzten zweiten August zur Frühschicht angefahrenen Steigern und Häuern, Zimmerlingen, Förderleuten und „Hundejungen“ haben sich, wie die Zeitungen bereits erzählt, im Ganzen nur fünf Personen retten können: zwei der erwähnten Hundejungen und drei Zimmerlinge, d. h. Bergleute, welche das Holzwerk in den Schachten herzustellen und in Ordnung zu halten haben. Von den ersteren, den beiden Jungen, ist wenigstens über einige kleine Einzelheiten unmittelbar nach der Explosion Licht verbreitet worden. Sie sind unter den letzten der Anfahrenden gewesen; als sie von der „Tagesstrecke“ her in den Schacht kommen, schlägt ihnen alsbald der Schwaden entgegen. Natürlich machen sie sofort Kehrt, um wieder „zu athmen im rosigen Licht“; auf ihrem Eillaufe aber, dicht an der Eingangsthür, treffen sie den Steiger Schenk, der, mit Anstrengung aller seiner Kräfte, schon so weit zurückgedrungen ist, doch jetzt erschöpft, einen Zipfel seines Grubenkittels vor dem Munde, um sich gegen die bösen Gase zu schützen, am Boden kauert. Mit matter Stimme fleht er die beiden Jungen an, ihn mitzunehmen, da er selbst nicht mehr fortkönne, allein die Jungen waren zu schwach, den Mann hinwegzuschleppen, mochten auch wohl denken, daß jede Secunde Verzug ihre eigene Rettung gefährden könnte, und rannten weiter. Wer möchte sie darum der Unbarinherzigkeit zeihen? Als man im Laufe des Nachmittags unter unsäglichen Schwierigkeiten von der Ostseite her in den Bau des Hoffnungsschachtes eindrang, fand man den Steiger umgesunken an der Ausgangsthür liegen. Sein „Geleuchte“ stand schon außerhalb des Eingangs, ein Beweis, daß er selbst sich fast schon in Sicherheit befand, aber an der Schwelle der Rettung erschöpft umgefallen und erstickt war.

Dieselben beiden Jungen haben auch von einer That berichtet, die man in ihrer einfachen Großartigkeit ohne weiteres als heroisch bezeichnen muß. Auf ihrem Wege in’s Freie trafen sie den Fördermann Wenk, welcher ebenfalls nicht mehr weit zur Rettung hatte. Da fällt ihm ein, daß sein Arbeitscumpan noch drinnen im Schachte ist.

„Ich will meinen Cameraden holen,“ sagt der edle Mann, geht in die Wetter zurück und findet darin seinen Tod wie alle Anderen.

In den ersten Tagen nach dem Unglück war die Arbeit natürlich mit offenbarer Lebensgefahr verknüpft – allein auch da hat sich keiner der Bergleute dieser Pflicht entzogen. Von einem ganz besonderen Muthe zeugt die inzwischen wohl von allen Blättern, freilich nicht ganz gleichlautend, berichtete That des jungen Camillo Paul, eines Sohnes des Burgk’schen Rechnungsführers. Noch vor elf Uhr Morgens drang, wie mir erzählt wurde, der kaum zwanzigjährige junge Mann, vom Rettungseifer getrieben, in den Schacht ein; etwa sechszig Ellen vom Eingang aber stürzte er, von den bösen Gasen betäubt, wie todt zusammen. Lautlos lag er da; einem Cameraden, einem gewissen Günther, gelang es aber, ihn bis nahe an das Mundloch des Schachtes zu schleppen. Hier verließen den Retter indeß die Kräfte und er mußte, wollte er selbst nicht in den Wettern umkommen, eiligst das Weite suchen. Achtundzwanzig Stunden lang blieb nun der unglückliche junge Mann verlassen im Schachte liegen – in welcher Todesangst, kann man ermessen! – bis zwei der Beamten, welche zufällig nahe der Mündung des letzteren standen, ein mattes, wehklagendes Wimmern vernehmen; ein Bergmann wagte es darauf die Ursache dieser Schmerzenslaute zu erforschen, und so brachte man den blos vierundzwanzig Fuß von der Mündung aufgefundenen kühnen Jüngling wieder zu Tage. Er hat nachher längere Zeit mit dem Tode gerungen, wie mir sein eigener Vater erzählte, ist aber jetzt bereits der völligen Genesung nahe. Man hat dem wackeren jungen Mann nicht geglaubt, als er versicherte, aus der Schachttiefe noch Hülferufe gehört zu haben: jetzt, wo man weiß, daß die Armen noch bis ein Uhr drunten am Leben waren, wird seine Aussage wohl an Wahrscheinlichkeit gewonnen haben.

Von dem fürchterlichen Knalle, welchen die Explosion verursacht habe, ist viel gesprochen und geschrieben worden, ja man versicherte mir bei meiner ersten Ankunft auf dem Bahnhofe zu Potschappel, man habe die Detonation bis hier unten, mithin drei Viertel Stunden von den Schächten entfernt, in erschreckender Deutlichkeit vernommen. Alle diese Angaben beruhen indeß auf Täuschung; einer der obersten Beamten der Burgk’schen Kohlenwerke erklärte mir vielmehr, daß man in Burgk selbst, ja daß er in seiner den Schächten noch weit näheren Wohnung nicht das leiseste Geräusch gehört habe. Blos die aus dem Segen-Gottesschachte aufquellende dicke Rauchsäule habe etwa ein Viertel nach fünf Uhr Morgens Kunde gegeben von dem Unglück ohne Gleichen. Welche entsetzliche Gewalt aber die Explosion gehabt, beweisen nicht nur die in beiden Schachthäusern vorn Luftdruck zersprengten Fenster, sondern hauptsächlich das auseinander getriebene Mauerwerk unten in den Schächten und die zu förmlichen Schutthaufen zerschellten „Hunde“. Wer jemals Gelegenheit gehabt, diese aus den dicksten Bohlen zusammengefügten, mit schweren Eisenbändern beschlagenen, auf festen Rädern ruhenden Kohlenförderungswagen zu sehen, der wird danach die furchtbare Kraft der Explosion ungefähr bemessen und begreifen können, daß die dem Entstehungspunkte der Schlagwetter zunächst befindlichen Bergleute nur als unkenntliche Menschentrümmer aus der Tiefe heraufgewunden worden sind.

Die Verunglückten vertheilen sich auf fünfundzwanzig Gemeinden, die sämmtlich einen Umkreis von wenigen Stunden einnehmen. Die volkreichste davon bildet das stattliche Dorf Deuben, wo die meisten Bergleute des Plauenschen Grundes Quartier genommen haben. Hier allein hat die Katastrophe neununddreißig Frauen zu Wittwen und hundertundsechsundzwanzig Kinder zu Waisen gemacht, zehn davon aus einer Familie! In Eckersdorf sind zwei Häuser ihrer sämmtlichen Bewohner beraubt und die Gemeinde selbst ihres Vorstandes und ihrer Vertreter. Zusammen beträgt die Zahl der Hinterbliebenen, d. h. der Hinterbliebenen, denen die Versorger entrissen sind, achthundertfünfundsiebenzig, zweihundertundeinundzwanzig Wittwen, sechshundertundfünfzig Kinder und vier arbeitsunfähige Mütter, die von ihren Söhnen ernährt wurden und nun gleichfalls dem öffentlichen Mitleide anheim gegeben sind. Die Menge der Leidtragenden im Allgemeinen, der Väter, denen ihre Söhne, der Geschwister, welchen die Brüder, der Bräute, denen die Geliebten genommen sind, sie Alle, welche zwar nicht ihre materiellen Versorger und Erhalter, aber ihr theuerstes Besitzthum auf dieser Erde verloren haben, verloren mit Einem Schlage – wer zählt sie zusammen? Weit, weit über tausend Trauernde auf einem Gebiete von wenig über eine Quadratmeile! Wer denkt ihn aus in seiner ganzen unerschöpflichen Fülle, diesen Jammer, wie ihn ein einziger Moment über eines der anmuthigsten und rührigsten Gelände des anmuthreichen und rührigen Sachsenlandes heraufbeschworen hat?

Die nackte Noth des Lebens kann und wird die öffentliche Mildthätigkeit lindern, das thun die reichen Spenden dar, mit denen man bereits diesseit und jenseit des Maines der unglücklichen Wittwen und Waisen im Plauenschen Grunde gedenkt, wenn es auch immer schlimm bleibt, daß diese lediglich auf den guten Willen guter Menschen angewiesen sind, daß kein Gesetz die Grundbesitzer zu ihrer Erhaltung zwingt. Wäre dies der Fall, als dann würde sicher geschehen, was menschliche Einsicht zur Verhütung ähnlicher Katastrophen wie die vom zweiten August anzuordnen und einzurichten vermag.

Möge die hoffentlich zu erwartende gründliche Untersuchung herausstellen, daß Besitzer und Leiter der Burgker Kohlenwerke

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 574. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_574.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)