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verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

No. 37.   1869.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich bis 2 Bogen.0 Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Zum Humboldtfest in der alten und neuen Welt.[1]

Von Emil Rittershaus.

Zehn Jahr zurück, da jauchzten wir im Herbst bei einem hohen Fest.
Vereint die Deutschen dort und hier, in Nord und Süd, in Ost und West,
In einem Geist, so weit gepocht des deutschen Herzens frischer Schlag!
Wo deutscher Laut erklingen möcht’, war Alles Eins am Schillertag.
„Hoch Schiller!“ Dieser eine Ruf bei Alt und Jung, bei Groß und Klein!
Der uns den „Tell“ und „Posa“ schuf, die „Räuber“ und den „Wallenstein“,
Er lebte auf in jeder Brust, im Bürgerhaus, am Fürstenthron!
Wir fühlten uns, o Himmelsluft, als Kinder einer Nation!
Das war nicht um des Dichters Kunst, so sehr sie aller Kränze werth;
Das war nicht, weil der Musen Gunst den Sänger singen hat gelehrt;
Das Eine war’s, daß der Poet ein Priester an des Lichts Altar,
Daß er des freien Geists Prophet und seines Volks Johannes war!
O, darum sang sein lautes Lob im freien Land der freie Mann,
Und zornig seine Faust erhob der Sclave, der in Zwing und Bann!
Der Farmer tief im Waldesgrund im rohen, holzgefugten Haus,
Er suchte in der Abendstund’ das abgegrissne Buch heraus
Und warf in’s Feuer dürres Holz und las und las beim Flammenschein
Und fühlte einmal noch mit Stolz ein Sproß von deutschem Stamm zu sein.
Er strich vergnügt den strupp’gen Bart – wie war ihm Herz und Sinn entflammt! –
Durch Schiller neu geeinigt ward, was aus dem deutschen Mark entstammt.

Und wieder jetzt ein Jubelfest und wieder einem Deutschen gilt’s!
In Nord und Süd, in Ost und West sein Lob, von allen Lippen quillt’s!
Wo üppig Farrn und Palme sprießt, wo flüchtig die Gazelle springt,
Wo schon das Eis in Nadeln schießt, der Name Humboldt jauchzend klingt!
Im Sand der Marken, wo die Gruft des großen Todten Leib umfängt,
Am Rhein, wo in der Sommerluft am Rebenstock die Traube hängt,
Und drüben in der neuen Welt – o seht der Frohen bunte Reih’n!
Der eine Name Humboldt fällt in jede Brust wie Sonnenschein!

Wohl ist von deutschem Stamm der Mann und wir sind stolz auf seinen Ruhm,
Doch, was sein Geist erforscht, ersann, das ist der Menschheit Eigenthum,
Und wie der Name Schiller hat geeinigt, was von deutschem Schlag,
So schreib’ auf der Geschichte Blatt mit Flammen ein der heut’ge Tag:
„Vereint durch eines Geistes Kraft war Nord und Süd und Ost und West!

Es war ein Tag der Brüderschaft der Völker, dieses Humboldtfest!“

Ein edler Mann die Worte schrieb: „Die meines Stammes und verwandt,
Hab’ mehr sie als mich selber lieb, und mehr als sie mein Vaterland,
Und lieber als mein Vaterland soll mir die ganze Menschheit sein!“ –
O, grabt es heut’ mit fester Hand, Ihr All’, in Eure Seelen ein!
Ob ihn auch deutsches Land gebar, der große Mann, des Wissens Held,
Errungen hat er sich, fürwahr, das Bürgerrecht der ganzen Welt!
Er war in jedem Reich zu Haus, im Bergesschacht, im Sonnenraum,
Er zog durch Sturm und Fluthgebraus’ und nicht um eitlen, leeren Traum!
Mit klarem Azg’ hat er geschaut, gehoben manchen Schleiers Flor
Und eine Welt uns aufgebaut, wie nie ein Forscher noch zuvor! – – –
Doch sieh’, die Neunmalweisen nah’n, das frost’ge Lächeln im Gesicht,
(Auch Pfaffentrug und Thorenwahn, doch von den Narren spricht man nicht!)
Die Weisen, die, im Kleinen groß, doch nie erspäh’n der Dinge Kern,
Sie lassen ihre Weisheit los: „Für Humboldt! Ei, den alten Herrn!
Den Forscher lobt die Wissenschaft, doch wißt, wenn’s Euch auch unbequem,
Schon hat ihn andrer Geister Kraft doch überholt in dem und dem!“
Sie rechnen’s an den Fingern her die kalten Klugen tiefgelehrt,
Und Jeder denkt bei sich, er wär’ wohl eines Humbotdt’s Ehren werth! –
Wir kennen’s längst, daß keck und dreist die Kleinheit solche Trumpfe spielt!
Was wüßte sie von Humboldt’s Geist, der eine Welt im Spiegel hielt!
Und dieser Geist, derselbe nur, er zeugte des Gedankens Keim,
Der aus dem Schädel Schiller’s fuhr in Lied und Bild, in Wort und Reim
Hinein in Nacht und Nebeldunst! Es war Erguß von gleicher Kraft!
Des Einen Werkzeug hieß: die Kunst; des Andern Schwert: die Wissenschaft.
Der Forscher zog durch manch’ Gefild’, von Land zu Land, von Stamm zu Stamm
Und wob zu einem Riesenbild die tausend Bilder wundersam,


  1. Obiges Festgedicht ist vom Dichter zufolge einer Aufforderung des Humboldt Festcomité in New York verfaßt und kommt somit gleichzeitig in einer englischen Uebersetzung von Freiligrath’s Tochter Käthchen Kroeker und in der Gartenlaube im deutschen Original vor das Publicum. Wenn wir das Humboldtfest nicht durch Artikel und Illustration besonders auszeichnen, so genügt zur Erklärung wohl die Notiz, daß von der Gartenlaube das Leben und Wirken Alexanders von Humboldt seit 1853 zehn Mal behandelt und seine persönliche Erscheinung sieben Mal durch Illustrationen dargestellt worden ist.
    Die Redaction.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1869, Seite 577. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_577.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)