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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Und schrieb, die Mappe auf dem Knie, was er in weiter Welt gesehn;
Der Dichter ließ die Phantasie für sich hinaus auf Reisen gehn.
Der Dichter schritt zum Volke hin, sein Herzblut durch die Lieder rauscht;
Der Forscher hat mit weisem Sinn den Herzschlag der Natur belauscht.
Die alten Zeiten wunderbar, wie sie des Dichters Ruf erweckt!
Was war, bevor die Menschheit war, der Forscher hat es aufgedeckt.
Wenn jener auf dem Flügelpferd sich aufwärts hob zum Sonnenland,
Der Forscher tief im Grund der Erd’ vor Schutt und Moder sinnend stand.
Zur Höhe der, zur Tiefe der! – Aus Jovis Hand die Blitze reißt
Der Dichter, holt sie muthig her! Im Lichte der Erkenntniß weist
Der Andre uns, was falsch und leer, was Trug, ob’s hoch und heilig heißt –
Und beide würdig gleicher Ehr’ und beide Kind von einem Geist!

Um dieses Geistes willen heut’ ein Humboldtfest und drum allein!
O, mög’ das frohe Glasgeläut’ des Geistes Osterläuten sein!
Dem Pred’ger dieses Geistes flocht den Kranz die Welt am Schillertag,
Und als sein „Marschall Vorwärts“ focht ein Humboldt kühn, mit wucht’gem Schlag!
Drum heut’ ein Fest für Humboldt’s Geist! – Beim Bild des Großen könnt’ ihr’s seh’n,
Da steht’s: „Es ärgert sie zumeist, am meisten, wenn wir vorwärts geh’n!“
Ja, vorwärts denn! Die Schranken fort, die Menschen trennen dort und hier!
Die Brüderschaft sei Losungswort, die Freiheit sei das Siegspanier !
Im freien Geist die Völker eins! Wir rufen’s in die Welt hinaus:
Nur in dem Glanz des Sonnenscheins gedeiht des Glückes Blumenstrauß!
Du alte Welt, die Ketten brich und sei den Freien zugesellt!
Du alte Welt, erneue dich und werde eine neue Welt!
Du neue Welt, wir rufen’s zu dir aus der meerumwogten Stadt:
O, werde frei im Geiste du, daß deine Freiheit Dauer hat!
Dann wird des Friedens Palme weh’n in Nord und Süd, in Ost und West! –
O, laß, Geschick, uns bald ersteh’n den Segen aus dem Humboldtfest!




Verlassen und Verloren.
Historische Erzählung aus dem Spessart.
Von Levin Schücking.
(Fortsetzung).


11.

Wenn Wilderich und Benedicte eine so lange Zeit behalten, um sich über ihre Lage auszusprechen, so hatte dies seinen Grund in einem Zögern Duvignot’s, zum Aeußersten zu schreiten, in den Gedanken, von denen der General erfaßt und bewegt wurde, nachdem er vorhin das Zimmer des Schultheißen verlassen hatte.

Er hatte ein Document in der Hand, auf das hin er den unglücklichen Mann vor ein Kriegsgericht stellen und nach vierundzwanzig Stunden erschießen lassen konnte.

Die Proklamationen Jourdan’s, die eine solche Strafe auf Verbindungen mit der feindlichen Armee setzten, berechtigten ihn vollständig, ja verpflichteten ihn dazu.

Auch ohne dies wäre er berechtigt dazu gewesen, als oberster commandirender Officier in einer Stadt in Feindesland, in welcher der Belagerungszustand verkündet war. Sein Oberfeldherr hatte ihm, dem energischen und zudem in Frankfurt durch seinen früheren Aufenthalt so wohl bekannten Mann, die Hut der Stadt übergeben, in der Voraussetzung, daß er schonungslos und unerbittlich die Maßregeln durchsetzen würde, welche nothwendig seien, um diesen Punkt möglichst lange dem rückziehenden Heere zu erhalten. Der General konnte nach der Schärfe des Rechts verfahren. – Er konnte Marcelline zur Wittwe machen! Er konnte den Streit zwischen ihr und ihm mit einem Streiche zerhauen, mit einem Worte enden.

Dieser Gedanke bestürmte ihn, während er die Treppe aus dem Stockwerk des Schultheißen niederstieg – aber er bestürmte ihn auch zu sehr, um sofort seinen Willen und Entschluß bestimmt und entschieden feststehen zu lassen.

Duvignot war ein Sohn der Revolution, die der Freiheit Hekatomben von Menschenleben gebracht, die zu ihrer Vertheidigung den Boden, auf dem sie stand, nicht wie eine angegriffene Feste des Niederlandes unter Wasser und Meereswellen, sondern unter Blut gesetzt hatte. Er war Soldat und hatte den Tod in allen Gestalten gesehen; er kehrte von einem leichenbedeckten Schlachtfelde heim; der Tod war ein ihm vertrautes Ding, ein ihm gewöhnliches Ereigniß, eine alltägliche Lösung … er war nicht der Mann, der viel Wesens aus einem Menschenleben machte.

Und dennoch war er erschüttert; er fühlte seine Energie sich brechen bei dem Gedanken an diesen Tod, in den er einen Mann senden wollte, der zwischen ihm und seiner Leidenschaft stand! Er fühlte, daß es etwas Fürchterliches sei um eine solche That, daß jenseits derselben für ihn etwas Dunkles, zu Fürchtendes, Grauenhaftes liegen könne – die Reue, die Selbstverachtung.

Als er auf dem Vorplatze vor seinem Zimmer unten angekommen, trat er an die Treppe, welche nach unten in den Hausflur hinabführte. Er winkte dem Gensd’arm, der da unten Wache hielt, und als der Mann vor ihm stand, sagte er:

„Ist der Capitain Lesaillier da?“

„Er ist eben gekommen und unten im Zimmer der Adjutanten.“

„Sagt ihm, er soll einige Leute nehmen und oben die Treppe damit besetzen … der Schultheiß und ein Mensch, der bei ihm ist, werden arretirt werden müssen … aber er soll da oben auf weitere Befehle von mir warten.“

„Zu Befehl, Citoyen General!“ versetzte der Gensd’arm und eilte dem Capitain Lesaillier seinen Auftrag auszurichten. Duvignot aber wandte sich und trat raschen Schrittes zurück in das Gemach Marcellinens, das er vorher verlassen hatte. Er fand sie in derselben Stellung in ihrem Sessel am Fenster, wie er sie verlassen – nur daß sie ihr Tuch an die Augen gedrückt hatte.

„Marcelline,“ sagte er, auf sie zuschreitend und mit bewegter Stimme … „das ändert Alles … da lies!“

Er reichte ihr den Brief des Erzherzogs; sie nahm ihn mit lässiger Hand, ohne aufzublicken.

„Was soll ich damit?“

„Lies!“

„Nun,“ fuhr sie apathisch fort, nachdem sie das Blatt überflogen … „was soll es? Es ist nichts, was mich just überrascht – ich sagte Dir, daß ich dem Erzherzog begegnet. Der Brief ist an Vollrath … gieb ihn ihm … ich denke viel an seine Benedicte jetzt!“

„Vollrath erhielt den Brief – er nahm ihn in meiner Gegenwart entgegen und das genügt, um ihn des Verraths zu überweisen … ich werde Vollrath darauf hin vor’s Kriegsgericht stellen und erschießen lassen.“

Marcelline fuhr erschrocken zusammen.

„Ah … Du … Du sagst … nein, ich kann nicht recht gehört haben … Du sagst …?“

„Ich könne ihn erschießen lassen, so sagt’ ich, und so wird es geschehen …“

„Um Gotteswillen, das ist, das kann nicht möglich sein …“

„Laß mich ausreden … meine Pflicht gebietet mir, die Befehle, die ich erhielt, ausführen zu lassen, und zu diesen Befehlen gehört, unnachsichtlich jede Verbindung mit unseren Feinden zu ahnden … wir können, wir dürfen nicht anders handeln, von stärkeren Gegnern umgeben, in Feindesland uns unserer Haut wehrend, in einem Kriege, wo von Schonung keine Rede ist und die Bauerncanaille sogar sich wie eine blutdürstige Bestie auf uns gestürzt hat …“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 578. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_578.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)