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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Composition, Anlage wie Ausführung zeigen im Gegentheil, daß sich der emsig schaffende Geist mit ganzer Hingebung in die Arbeit versenkte. Das Jahr 1853 erst steckte ihrer Thätigkeit ein Ziel. Damals starb ihr der Sohn – Edvard Flygare – und mit ihm all’ die reiche Hoffnung, welche das zärtliche Mutterherz in dies aufkeimende Talent gesetzt, und alle Freude am eigenen Erfolg, an der eigenen Arbeit. Es war ein Act der Pietät, daß sie des Hingeschiedenen zurückgelassene Versuche in der Literatur ergänzte und unter dem Titel „Aus der Fremde und Daheim“ herausgab. Das Buch ist ein Grabstein, auf dem eine Thräne aus dem Mutterauge glänzt.

Emilie Flygare-Carlén selbst hat nur ein Buch nach jahrelangem Schweigen noch geschrieben: „Das Handelshaus in den Scheeren“ und seitdem blieb sie stumm. „Es wird auch mein letztes bleiben,“ sagte sie mir, „es ist damit vorbei.“ Ihr freundliches Auge blickte dabei heiter, und durchaus nichts von schwerer Resignation klang in ihren Worten nach. Der Entschluß war offenbar das Ergebniß einer Stimmung, nicht eines Kampfes. Ebenso ungezwungen und frei von aller Autoreneitelkeit fragte sie, ob wir den Schreibtisch nicht sehen wollten, an welchem sie alle ihre Werke geschrieben. Mit gütigem Lächeln schritt sie uns voran in ihr unmittelbar anstoßendes Arbeitscabinet. Es ist dies ein kleines Zimmer mit nur einem einzigen Fenster, durch das man aber eine freie Aussicht auf grüne Bäume genießt; an demselben steht der einfache Schreibtisch, auf welchem gewissenhafte Ordnung herrscht, so daß es aussieht, als wäre er wirklich Jahre lang nicht benutzt worden. Blos einige aufgeschlagene Bücher zeugen vom Gegentheil, sonst liegt keine begonnene Arbeit, kein halbbeschriebenes Blatt, kein Papier mit Notizen oder dergleichen umher. Und so ordentlich und freundlich ist das ganze Zimmerchen, das deshalb aber doch nicht den Eindruck einer strengen Arbeitsstube macht. Es ist ebenso weit davon entfernt, wie von der Frivolität eines Boudoirs, in welchem eine Modedame träumerisch und zerstreut mit Migräne und Langeweile ihre Morgenbesuche zu empfangen pflegt. Im Hintergrunde ein Sopha mit einigen Stühlen, unweit des Schreibtisches eine Chaiselongue mit derselben blaugrauen geblümten Seide überzogen, von welcher die Vorhänge am Fenster sind, ein Glasschrank für Bücher und an den Wänden Muscheln, große Palmfächer und andere chinesische und indische Spielereien, wie sie die Schifffahrer von ihren weiten Reisen mitzubringen pflegen, offenbar Geschenke, an die sich liebe Erinnerungen knüpfen.

Die Frau vom Hause erschloß uns den Bücherschrank, er enthielt blos eine Sammlung der verschiedenen Ausgaben und Uebersetzungen ihrer Werke; nichts weiter. Ich zweifle, daß der Kasten alle enthielt, denn in den fünfzehn Jahren unausgesetzter Thätigkeit hat die Schriftstellerin nahezu dreißig mehrbändige Werke vollendet. Sie hat es dabei verstanden, sich niemals zu wiederholen und sowohl in der Schilderung großer Erregungen und Erlebnisse, wie in der sorgfältigsten Detailmalerei stets neu, interessant und spannend zu bleiben, ohne daß sie deshalb zu so scharfschmeckenden Hülfsmitteln wie der moderne englische Sensations-Roman gegriffen hätte. Die innere Wahrheit und die tief auf das Gemüth wirkende Einfachheit ihrer Schreibweise hat ihr die Herzen all’ ihrer Leser gewonnen, und deren sind Legion.

Gutmüthig lächelnd nahm sie mein Bedauern hin, das ich über ihr vorzeitiges Zurückziehen von dem Felde aussprach, auf welchem sie sich vom ersten glücklichen Versuch an siegreich behauptet hatte.

„Ich werde vielleicht noch die in Zeitschriften verstreuten kleineren Arbeiten sammeln, sie mögen immerhin einige Bände geben,“ sagte sie nickend. „Uebrigens,“ fuhr sie mit einem leisen spöttischen Zug um den Mund fort, „hat man mir jetzt andere Aufgaben aufgebürdet, ich muß jetzt lesen – lesen.“

Sie war nämlich einer der Preisrichter bei einer Concurrenz, welche ein namhaftes Journal für die beste Novelle ausgeschrieben hatte. Ueber ein halbes Hundert Bewerber hatten sich, wie sie uns mittheilte, gemeldet, und durch alle die Arbeiten hatte sie sich hindurchlesen müssen. Sie waren so mittelmäßig, daß die übrigen Richter gar keiner den Preis zugestehen wollten. Flygare-Carlén war die einzige, die dennoch darauf drang.

„Man würde glauben,“ erklärte sie, „ich hätte aus Neid behauptet, es fände sich keine preiswürdige darunter, weil ich selbst Schriftstellerin bin, und doch würde ich mich selbst am meisten freuen, ein junges Talent fördern zu können. Heute Abends ist der Termin zur Preisertheilung, und ich werde darauf bestehen, daß sie erfolge.“

Ich begriff ihr feines Zartgefühl, konnte mich aber doch der Aeußerung nicht enthalten, daß Preisausschreibungen noch selten die Production gehoben hätten, und daß sie ja gerade durch ihr selbstauferlegtes Schweigen über allen Verdacht des Neides erhaben sei, den Preis an einen Unwürdigen geben aber das Publicum irre führen und die Talentlosigkeit ermuthigen heiße.

Wir schieden trotz dieses Einwurfs ganz in Frieden, und die liebe alte Frau wünschte uns in der herzlichsten Weise schönes Wetter für die Fortsetzung unserer Reise nach Norwegen. Sie entließ uns abermals mit einem Knix, nachdem sie uns – wahrscheinlich all’ ihre französischen Sprachkenntnisse aus Gefälligkeit aufbietend – in Bezug auf unsern Besuch versicherte: en grand plaisir.“

Ihr Gatte war zur Zeit nicht zu Hause und ich habe daher seine Bekanntschaft nicht gemacht, so interessant es mir gewesen wäre, den Mann zu sehen, der dies edle, geistreiche und vielbegehrte Weib in einer langen glücklichen Ehe alle schweren Prüfungen und Erlebnisse vergessen lehrte, oder ihr doch so muthig und kräftig ertragen half, daß sie keinen trübenden Schatten in diesem schönen Gemüthe, auf dieser freien Stirn zurückließen.

Während wir noch über den empfangenen Eindruck sprachen, hatten wir auch schon das in demselben Stadttheil gelegene Haus erreicht, dem unser zweiter Besuch an diesem Tage zugedacht war. Wir waren aber unvermerkt in eine so lebhafte Erörterung gerathen, daß wir auf der Straße stehen blieben, um unser Hin- und Widerreden nicht zu unterbrechen, ehe wir damit zum Abschluß gelangt. Unser Eifer erregte ziemliches Aufsehen und zog die Neugierigen an’s Fenster, wir aber ließen uns nicht stören. Es galt einem kritischen Meinungsaustausch über den literarischen Werth dreier Schriftstellerinnen. Die eine hatten wir soeben gesehen, die beiden anderen waren Fräulein Marlitt und Frau Marie Sophie Schwarz; die letztere sollten wir nun kennen lernen. In wie fern die drei Autoren zusammengestellt werden konnten, wird jeder Leser, der sie kennt, sich selbst erklären. Kein anderer steht dem deutschen Romane durch Stimmung und Redewendung, durch Nationalsitte und Anschauung so nahe wie der schwedische, und eben deshalb spricht er auch das deutsche Publicum so sehr an. Ich erfuhr da nun zu meinem Erstaunen, daß die letztgenannte der drei Schriftstellerinnen in ihrem Vaterlande bei weitem nicht den großen Anhang wie in Deutschland zähle, und daß über ihre Leistungen mitunter sehr strenge Urtheile laut würden. Sie theilt gewissermaßen das Loos Sir Lytton Bulwer’s, über dessen Werke man in England auch lächelnd die Achseln zuckt.

Allerdings war Frau Schwarz seit dem Erscheinen ihres ersten Buches ungemein fleißig und zahlreiche Bände flossen seitdem alljährlich aus ihrer Feder, aber die Berechtigung dazu liegt in dem nicht abnehmenden Beifalle des Publicums und vielleicht auch in ihren pecuniären Verhältnissen; keineswegs aber darf behauptet werden, daß sie ihre Leser langweile, wie man ihr dies zum Vorwurfe macht. Mit einem gewissen Behagen wird eine Anekdote erzählt, die als Beweis des allgemeinen Urtheils gelten soll.

In einem deutschen Badeorte, wo sich Frau Schwarz vor einiger Zeit aufhielt, saßen unweit von ihr und ihrer Begleiterin zwei Schweden, die sich in ihrer Muttersprache unterhielten und hier ganz unbelauscht glaubten. Da geschah es denn nun, daß der Eine, unangenehm durch einen Vorschlag berührt, ausrief:

„Warum nicht gar! Das ist ja so langweilig wie ein Roman der Marie Sophie Schwarz.“

Es mag nicht angenehm sein, sich so das Urtheil sprechen zu hören, die Scene wurde aber dadurch noch peinlicher, daß die Begleiterin, in einer Anwandlung von Unmuth und unzeitiger Ritterlichkeit, aufsprang und den Herrn ob seiner Aeußerung zur Rede stellte, indem sie das Incognito der Schriftstellerin verrieth.

Ich weiß nicht, ob dieselbe Ursache hat, sich das auf diese Art laut gewordene Urtheil eines Einzelnen so zu Herzen zu nehmen, um darnach – sei es in scheuer Befangenheit, oder in verletztem Stolze – ihren Landsleuten die neuen Producte ihrer fruchtbaren Phantasie vorzuenthalten. Jedenfalls aber darf sie Anspruch auf Beachtung ihrer Werke machen und derselben wohl

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 586. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_586.jpg&oldid=- (Version vom 17.9.2022)