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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Es wäre der Mühe werth, zu berechnen, wie viel Muskelkraft und Zeit täglich in einem solchen Hôtel mit nur zweihundert Gästen und etwa zwanzig Kellnern und Aufwärtern gespart wird, und diesen Gewinn im Vergleich zu den Treppen in anderen Hôtels und drei- bis vierstöckigen Privathäusern volkswirthschaftlich zu capitalisiren; es kämen jedenfalls viele Millionen von Thalerwerthen heraus, welche jetzt durch den Gebrauch von Treppen verwüstet werden. Wir erwähnen hier nur noch beiläufig, daß die fabelhafte Kraft des Wassers auch bereits in Docks zur Hebung von ungeheuren Schiffslasten und sogar ganzen Schiffen, in Form von Turbinen, statt der Balgentreter für Orgeln, statt des Dampfes für allerhand Maschinen, sogar Nähmaschinen verwendet wird.

Das andere Musterhôtel ohne Treppen finden wir in Berlin unter den Linden. Es ist das Grand Hôtel de Rome des Herrn Mühling, welches von der Lindenecke her noch zugleich zwei anderen Straßen eine prachtvolle Front im italienischen Renaissancestyl zeigt. Korinthische Säulenporticus, geflügelte Greife, die Göttin der Gastfreundschaft, Wappen aller europäischen Staaten, im Innern Kunstschöpfungen der Industrie und der berühmtesten Künstler, Arabesken, Bacchantenzug von Ewald, Morgen und Nacht von Hildebrand, Reliefs von Thorwaldsen und sonstige reiche Farben- und Formenpoesie geben dem ganzen riesigen Bauwerk durchweg den heiteren Charakter eines gelungenen Kunstwerkes, so daß sich auch meist Künstler aller Art und sonstige Vertreter höchster Cultur aus ganz Europa begegnen und im Gesellschaftszimmer, wie im Speisesaal improvisirte internationale Parlamente der Schönheit, Kunst und Wissenschaft bilden. In Bequemlichkeit vereinigt es mehr Vorzüge in sich, als die berühmtesten Hôtels der Erde. In London sind neuerdings wahre Wunderwerke von gastlichen Tempeln durch Actiencapital emporgezaubert worden, und das Grosvenor- und Charingcroß-Hôtel, jedes mit zweihundert Fremdenzimmern, überbieten es auch an Größe, aber solche Vereinigung von Schönheit und allen praktischen Erfindungen für das Wohl der Menschen wie in dem Mühling-Hôtel finden wir nirgends. Man blicke in den Hofraum: das ist ganz der Empfangshof des berühmten Louvre-Hôtel zu Paris und hat dabei den Vorzug eines lichten und leichten Eisendaches von Borsig. Eine weiße Marmortreppe führt durch blitzende Spiegelglasthüren in den Empfangsraum, wo der Fremde sofort auf einem Verzeichniß von verfügbaren Zimmern zugleich deren Preise und überhaupt alles Wissenswerthe schriftlich, mündlich und gedruckt erfahren kann.

Lassen wir alle übrigen trefflichen Einrichtungen, wie möglichst vollkommene Ventilation, Erwärmungs- und Abkühlungs-Apparate, Haustelegraphie und dergleichen Comfort höchster Ordnung als bereits auch anderen guten Hôtels mit eigenthümlich hier unerwähnt, so bleibt diesen Musterhôtels immerhin die eine außerordentlich wichtige sociale, wirthschaftliche und künstlerische Bedeutung, daß alle Erfindungen, welche man für das Wohl der Wohnung, häuslicher und gesellschaftlicher Bequemlichkeit bis jetzt gemacht hat, und die sonst überall nur erst vereinzelt und als Seltenheiten zur Anwendung kommen, sich hier auf eine ebenso künstlerisch schöne als praktisch vollkommene Weise zu einem musterhaften Organismus vereinigen. Für Bauunternehmungen, häusliche Einrichtungen aller Art und sogar zur Lösung der socialen Frage läßt sich daher in diesem Mühling’s-Hôtel manch’ gute Lehre eincassiren, die wir nach Berichtigung unserer Rechnung uns als wirklichen Reingewinn gutschreiben können.




Blätter und Blüthen.


Aquariums-Studien. Das Berliner Aquarium, dessen ausführliche Schilderung wir uns noch vorbehalten, beschränkt sich, wie bekannt, keineswegs auf Wasserthiere, sondern stellt auch andere Geschöpfe, und namentlich eine schon gegenwärtig bedeutende Sammlung von Vögeln zur Schau. Das Fluggebauer, in welchem diese sich befinden, entspricht ihren Bedürfnissen so vollkommen, daß ein großer Theil bereits zum Nisten geschritten ist, während der Rest, insofern je ein Männlein und Weiblein vorhanden, hierzu Anstalten trifft. Dies gilt insbesondere für die Papageien, von denen sich ebenfalls schon mehrere Arten fortgepflanzt haben. Ein Pärchen seltener Zwergpapageien hat zu den nachstehenden Beobachtungen Veranlassung gegeben.

Die Thierchen, welche im Herbste vorigen Jahres erworben wurden, stammen aus Südwestafrika und sind, soviel bekannt, nur ein einziges Mal lebend nach Europa und zwar nach London gelangt. Sie ähneln den ebenfalls in Westafrika lebenden „Unzertrennlichen“, unterscheiden sich jedoch durch bedeutendere Größe, angenehmere Färbung und lebhafteres Wesen. Ihren Namen, Psittacula roseicollis, welcher mit Rosensittich übersetzt wurde, tragen sie nicht ganz mit Recht, da die Färbung ihres Vorderhalses eher in das Pfirsichfarbene als in das Rosenrothe spielt. Ueber das Freileben des Rosensittich liegen keine Angaben vor; nicht eine mal der Verbreitungskreis konnte mit Sicherheit angegeben werden. Um so willkommener war der Erwerb der selbst in den Museen nur einzeln vertretenen Geschöpfe.

So scheu und mißtrauisch die Rosensittiche im Anfange sich zeigten, so rasch gewannen sie sich die Zuneigung ihrer Pfleger. Ihr gewecktes Aussehen, ihre Munterkeit und Regsamkeit mußte für sie einnehmen. Abweichend von anderen Zwergpapageien, trägen, stillen und langweiligen Vögeln, geberdeten sie sich wie große Papageien, Kakadus oder Amazonensittiche, schaueten klug in die Weite, achteten auf Alles, was um sie her vorging, und verfehlten nicht, durch lautes, scharfes Schreien von jedem ihnen ungewöhnlichen Ereignisse Kunde zu geben. In den ihnen gegebenen, mit groben Sägespähnen entsprechend angefüllten Brutkästchen machten sie sich viel zu schaffen, ohne jedoch zum Brüten ernstliche Vorkehrungen zu treffen.

Dies änderte sich, nachdem sie in das Fluggebauer des Vogelhauses gebracht worden waren und sich hier mit allen Einzelheiten des ihnen gewährten Raumes vertraut gemacht hatten. Auch hier waren ihre Brutkasten mit der erwähnten, anderen Papageien sehr erwünschten Unterlage versehen worden; sie bekundeten jedoch bald, daß die Wahl der Niststoffe ihren Wünschen in keiner Weise entsprach, und beeilten sich, dem Mangel abzuhelfen. Fortan sah man sie eifrigst beschäftigt, von den Sitzzweigen Rinden- und Holzsplitter abzuspalten und diese zu Neste zu tragen. Es geschah dies in einer Weise, welche bis jetzt ohne Beispiel dasteht in der Naturgeschichte der Vögel und dem Verstande der kleinen Papageien zu hoher Ehre gereicht. Die Regel ist, daß die zum Neste tragenden Vögel den Niststoff mit dem Schnabel fassen, die Ausnahme, daß sie denselben mit den Fängen packen; unsere Rosensittiche aber befolgten weder die Regel, noch die Ausnahme und zwar aus Gründen, welche sich dem kundigen bei schärferem Nachdenken von selbst ergeben müssen. Sie gebrauchen eben Schnabel und Füße zum Klettern oder Einschlüpfen in die Nisthöhle und begnügen sich, vielleicht aus diesem Grunde mit, die letzterwähnte meist nur mit dem losgebrochenen Mulm der Innenwände auszupolstern. Wie nun verfuhren unsere Rosensittiche? Antwort: nach Art schmuggelnder Weiber, welche das zu verbergende Gut zwischen ihren Kleidern unterbringen. Nachdem sie einen Splitter losgebrochen, faßten sie denselben sachgemäß mit dem Schnabel, sträubten die Federn des Unterrückens, steckten den Splitter dazwischen, so daß er nicht leicht herausfallen konnte, schleißten einen zweiten, dritten ab und so fort, bis sie volle Ladung zu haben glaubten, und flogen nunmehr mit der sauer erworbenen Last vorsichtig zu Neste. Auf diese Art hatten sie sich in verhältnißmäßig kurzer Zeit die nöthigen Niststoffe zusammengeschleppt und begannen nun mit ersichtlichem Vergnügen zu kosen und zu spielen, wie Verliebte zu thun pflegen.

Anfangs Juni lagen Eier im Neste. Männchen und Weibchen schlüpften abwechselnd aus und ein; ihre Gleichfarbigkeit und gleiche Größe machte es aber unmöglich, zu entscheiden, ob beide brüteten oder ob nur das Weibchen dieser Pflicht sich hingab. Auch zeigten sie sich jetzt mißtrauischer als je, waren bald beide verschwunden, bald beide am Futternapfe beschäftigt, zeterten, sobald ein Wärter den Flugkäfig betrat, und schienen augenscheinlich bemüht, das Nest, welches sie durch ihr Gebahren verriethen, nach Möglichkeit zu verheimlichen. Gegen die Mitbewohner ihres Käfigs benahmen sie sich unwirsch, wie sie vorher nie gethan, bissen nach jedem, welcher sich ihnen nahete, und tödteten ihrer mehrere. Sie spielten mit einem ebenfalls brütenden Pärchen ihrer Art die Gewaltherrscher im Käfige und trieben es um so ärger, je weniger sie selbst von den Aufsehern gestört werden durften.

Ende Juli zeigten sich die fast erwachsenen Jungen dann und wann vor dem Flugloche des Nistkastens; am 25. Juli flog das erste aus. Sofort stürzte sich das andere Pärchen auf den noch Hülflosen und fiel ihn mit Bissen so wüthend an, daß es dem Futtermeister Seidel, dessen besondere Lieblinge diese Papageien sind, nur mit Mühe gelang, den Bedrohten zu retten. Er wurde in ein kleines Gebauer gebracht und hier von den Eltern, welche an Vertheidigung nicht gedacht hatten, treulich gefüttert. Seinem Geschwister, welches am Tage darauf das Nest verließ, würde es nicht anders ergangen sein, hätte der wachsame und argwöhnisch gewordene Seidel sich seiner nicht sofort bemächtigt und es zu dem andern in sichern Gewahrsam gebracht.

Zwei Tage später bemerkten wir nichts mehr von dem Jungen des feindlichen Pärchens, und als endlich nachgesehen wurde, fanden wir es todt mit zerbissenem Schädel. Die Eltern der glücklich geretteten Jungen hatten die ihren Kindern von den Nachbarn angethane Unbill furchtbar gerächt.




Warnung für Auswanderer. Es scheint fast wirklich so, als ob auf unsere armen deutschen Landsleute aus allen Ecken und Enden der Welt gefahndet wird, um sie überall da einzuschieben, wo der deutsche Auswanderer das nicht findet, was er sucht und zu seinem Bestehen nothwendig braucht: Ruhe und Frieden.

Fremde Gesellschaften verbinden sich auch auf das Unbefangenste dazu, weil sie wissen, daß sie immer gewissenlose Agenten und Schiffseigenthümer finden, die sich den Henker darum kümmern was aus ihren deutschen Landsleuten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 591. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_591.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)