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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Leibarzt Carus goethisirte und mystisch ästhetisirte und malte. Das war unsere ,gute alte Zeit‘, aber sie war etwas süßlicher, weichlich-verschwommener, sich selbst beräuchernder Art, mehr weiblicher als männlicher Natur, und dieser gewissermaßen blaustrümpfige Charakter haftet unserm Literaten- und Künstlerthum auch heute noch an. Es fehlt ihm die frische, kräftige, selbstständige productive Männlichkeit, die ihm auch die Gutzkow, die Ruge, die Auerbach, welche längere Zeit unter uns weilten, nicht aufdrücken konnten. Daß es uns ganz und gar an einer periodischen Presse gebricht, welcher eine höhere als locale Bedeutung vindicirt werden kann, hat nicht dazu beigetragen, unsern Dresdener Journalismus männlicher und schärfer zu machen. Mit unserer Kunst aber ist es nicht viel anders bestellt. Nehmen Sie den ausgezeichneten Ludwig Richter, die anheimelnde Erscheinung mit dem ehrwürdigen grauen Haar und dem echtmenschlichen Wohlwollen in Blick und Zügen, nehmen Sie den unermüdlichen Nimrod und Thiermaler Guido Hammer, den genialen Hoffmann aus, dessen geist- und wirkungsvolles Othellobild die Gartenlaube in so gelungenem Holzschnitt wiedergegeben hat; nehmen Sie unsern berühmten Bildhauer Hähnel und noch ein halb Dutzend andere Namen von gutem, ja bestem Klange aus - auch hier herrscht das Weiblich-Weiche und Weiblich -Weichliche vor, vielleicht, weil unsere Landschaft uns auch so weich und lind umschmeichelt. Aber lassen wir das! Kennen Sie den Alten da, welcher sich soeben dort uns gegenüber in die Ecke gesetzt hat?“ fragte er, indem er einem etwas gebückten, doch munter aussehenden ziemlich betagten Herrn zunickte, der seinen Gruß freundlich, allein wie mich dünkte, etwas wehmüthig erwiderte.

"Der hat weit über hundert Bände auf seinem Gewissen,“ setzte er hinzu, "manchmal etwas leichtes Gebäck, er selbst aber ist die treueste Seele von der Welt, welche Alle achten und lieben, die sie näher kennen. Es ist Niemand anders als Lubojatzky, ein Autodidakt von der Pike auf; erst Goldschmiedgesell, dann Schauspieler und endlich Novellist. Seit fünfundzwanzig Jahren liegt die Frau des guten Mannes total gelähmt darnieder, und er pflegt sie mit wahrer Engelsgeduld. Sein Schreibtisch steht an ihrem Krankenbette, und da sitzt er nun rastlos und componirt mitten in Noth und Sorge seine Romane.“ -

Mittlerweile ist der Mond herabgestiegen und legt seinen Silberhauch auf Fluß und Stadt, die in dem magischen Lichte zu einem Bilde von überraschendem Effecte verschmelzen. Nachgerade beginnt sich’s bei Helbigs zu leeren, je nach der Lage der verschiedenen Behausungen füllen sich die verschiedenen Aufgänge zum Theaterplatze mit heimziehenden Menschen.

„Haben Sie wohl den Herrn mit dem geistvollen Auge und den langen grauen Haaren bemerkt, der dort der Ecktreppe zuwandert? Sehen Sie nur, wie er sich den Himmel beschaut und zum Monde aufblickt, als habe er gerade einen neuen Vulcan darin entdeckt! Der Mann erfreut sich bei uns eines großen Rufes – es ist der ,Barometrius' in unseren ,Nachrichten‘, auf dessen wissenschaftlich begründete Witterungs-Prophezeiungen unser Landvolk schwört. Eigentlich sind seine Beobachtungen nur für unser Elbthal berechnet, werden aber regelmäßig auch in Leipzig, häufig sogar in Prag, ja selbst in Wien nachgedruckt. Nach seinem bürgerlichen Stand und Namen ist der scharfsinnige Wetterprophet ein Dr. Drechsler und war früher Professor der Astronomie in Basel. Aber Mitternacht ist nahe. Wir brechen daher jetzt wohl auf, denn den schönsten Anblick, welchen Helbigs bietet, haben Sie erst noch zu sehen und wir dürfen nicht zögern, wenn er uns noch voll zu Theil werden soll.“

Gern folgten wir dem Geleite unsers liebenswürdigen Führers durch Zwinger und Ostraallee zur Marienbrücke hinauf.

„Jetzt umgeschaut!“ rief er, „dort gen Morgen hinüber!“

Wir wandten uns, und unwillkürlich entschlüpfte uns ein ‚Ah!‘ der Bewunderung. Dort zur Rechten lag Helbigs mit seinen Hunderten von Lichtern, als tauche es gleich einem massigen feurigen Meteore aus einem Becken geschmolzenen Silbers auf – phantastisch schön wie ein Stück aus mondbeglänzter Zauberwelt, wie eine Fata Morgana im Morgenlande.




Vom Hamburger Blumenfest.

Welche Blüthe wird diesmal die Mode im Reich der Blumenliebhaberei als Königin des Tages ausrufen? Diese Frage beschäftigte mich viel auf meiner Fahrt zu dem improvisirten Pflanzenfest in Hamburg. Von der letzten Ausstellung des Gartenbau-Vereins in Berlin her konnte ich ungefähr voraussetzen, welche Blume gegenwärtig am beliebtesten und daher am zahlreichsten vertreten sein werde. Freilich waren seitdem aber bereits mehrere Monate vergangen – während die Mode bekanntlich auch auf diesem Gebiete nur zu bald von einem Gegenstande zum andern übergeht.

Wie groß war daher meine Freude, als ich dennoch die seit Langem aus der Mode gekommene, doch immer vorzugsweise geschätzte und allbeliebte Rose auch hier auf der großartigen Internationalen Gartenbau-Ausstellung von Hamburg ebenso wie in Berlin in der vollen Geltung ihres Rechts als Blume des Tages fand! Kaum läßt sich der Eindruck beschreiben, den ein wundervoller Rosenflor zur jetzigen Zeit hervorruft. Vereint mit allen übrigen Contrasten, welche diese Ausstellung hervorgebracht, muß er von vornherein die wohlthuendsten Eindrücke auf jeden Besucher ausüben.

Hier wetteifert die Wirklichkeit mit den kühnsten Schöpfungen der Phantasie. Wer noch vor wenigen Monaten dies Terrain gesehen, mit dürftigen Anlagen, wenig einladendem Gebüsch und widerwärtigem Gewässer, der wird sich nicht genug wundern können über den förmlich hervorgezauberten Park mit schattenden Bäumen, lachenden Gefilden und duftenden Blüthen, mit malerischen Teichen und Flüssen. Fast noch größer erscheint das Wunder, mit welchem selbst der Himmel zu Hülfe gekommen, um hier voll und reich ein Eden zu schaffen, ein kleines Paradies im vollen Sinne des Worts. Bis ganz vor Kurzem hüllte noch naßkaltes Wetter die Natur in sein trostloses Gewand; jetzt hat die Septembersonne eine wahre Frühlingsblume herausgekehrt und aus den trübseligen herbstlichen Regenschauern, mit denen fast der ganze Sommer uns geplagt, ist jetzt noch eine „Maienzeit“ geworden, so mild und schön, wie sie selbst der Wonnemond nur selten gewährt. Hier brauchen wir aber in den lieben Frühling uns gar nicht hineinzuträumen – hier haben wir ihn ja vor uns, in lebensvollster Wirklichkeit.

Vergeblich schauen wir uns nun nach den Blumen der jetzigen Jahreszeit, nach den herbstlichen Eriken oder Haidekrautblümchen, Astern, Georginen und dergleichen; freilich fehlen auch ebenso die zarten Blümchen des ersten Frühlings, die Crocus, Primel, Schneeglöckchen und Veilchen. Wenden wir uns daher zunächst zu der herrlichen Blume, die für den deutschen Wonnemond – welcher im größten Theile unseres deutschen Vaterlandes keineswegs der Mai, sondern erst der Juni ist – so recht bezeichnend erscheint und die hier zugleich einen herrlichen Triumph feiert: zu der Rose.

Links, nicht weit von dem Eingange der Ausstellung, begrüßt uns eine Gruppe von fünfzig hochstämmigen Rosen aus der „Rosen-Speeial-Cultur von Friedrich Harms in Eimsbüttel bei Hamburg. Es ist die Varietät Maréchal Niel, welche in prachtvoll entwickelten Kronen und noch zahllosen Knospen den Beweis liefert, daß ihr Züchter einer der bedeutendsten Rosengärtner Deutschlands sei, wenn auch ihre Blumenpracht hier nicht zur vollsten Entwickelung gekommen. Dies Urtheil bestätigt uns die nächste Gruppe desselben Ausstellers von fünfzig Stämmen der im köstlichsten Flor stehenden Varietät Gloire de Dijon. Doch wenn wir weiterhin die verschiedenen Gruppen von herrlichen und seltenen französischen Rosen betrachten, so müssen wir anerkennen, daß diese Hamburger Rosen nicht allein seit geraumer Zeit die aller Blumen-Ausstellungen in Deutschland übertreffen haben, sondern daß sie auch auf dieser großartigsten Ausstellung zweifellos den ersten Rang einnehmen. Im Ganzen hat Herr Harms acht verschiedene Rosengruppen ausgestellt, unter denen durch Schönheit und Frische, sowie durch Mannigfaltigkeit vorzugsweise die Topfrosen sich auszeichnen, auch dadurch, daß sie verschiedene Novitäten, vornehmlich von Bourbon- und Theerosen, sowie auch von den niederliegenden zierlichen Remontante- Rosen aufzuweisen haben. Eine Varietät der gewöhnlichen Feldrose, Ruga genannt, ist hier zu einem hübschen und geschmackvollen Rosenschirm gezogen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 624. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_624.jpg&oldid=- (Version vom 18.4.2024)