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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Schwankungen zwischen Kriegs- und Friedensaussichten. Doch wie unrecht thun jene Aengstlichen! Eine Zeit, welche immer wieder neue Ausstellungen dieser Art, neue Friedensfeste im vollsten Sinne des Worts hervorzurufen vermag, in welcher selbst zu einer abgegrenzten Ausstellung Theilnehmer und Schaulustige aus allen Welttheilen und den fernsten Zonen einkehren und ihr einen wirklichen internationalen Charakter verleihen, sie läßt wahrlich keine wirkliche Todtenfeier der Industrie mehr befürchten. Denn selbst wenn ein Volk in gerechtem Grimme seine Ketten abschüttelt, wenn das Schwanken und der Sturz eines mächtigen Tyrannen mancherlei Erschütterungen in weiten Kreisen hervorbringt, selbst wenn von Zeit zu Zeit noch immer wieder das Unseligste des Menschentreibens, der Krieg, zur Ausführung kommt, selbst dann wird die Industrie jederzeit das kräftigste Heilmittel sein, welches die Wunden der Menschheit verharschen macht, und ihre immer auf’s Neue gefeierten Jubelfeste sind die herrlichsten Triumphe,

welche die Cultur und Civilisation über die Rohheit und Barbarei zu erringen vermögen.

Karl Ruß.     




Blätter und Blüthen.

Die siamesischen Zwillinge haben in der letzten Zeit durch ihr erneutes öffentliches Auftreten wieder so viel von sich sprechen gemacht, und es ist über dieselben so viel theils gegründetes, theils ungegründetes Gerede im Umlauf, daß es für die Leser der Gartenlaube gewiß von Interesse sein wird, etwas Zuverlässiges und von einer wissenschaftlichen Autorität Herrührendes über dieselben zu vernehmen. Der nachfolgende getreue Bericht findet sich in dem neuesten Hefte der in London erscheinenden Zeitschrift für Menschenkunde und rührt her von Herrn Dr. Beigel, einem deutschen Arzte in London und einem der Vicepräsidenten der Londoner Anthropologischen Gesellschaft, welche Gesellschaft seit der kurzen Zeit ihres Bestehens schon soviel Dankenswerthes für den Fortschritt der Lehre vom Menschen geleistet hat. Die siamesischen Zwillinge sind nun allerdings ein Naturwunder, aber kein solches, welches, wie so Viele meinen, eine Ausnahme von den gewöhnlichen Gesetzen des anatomischen und physiologischen Geschehens macht, sondern dessen Merkwürdigkeit nur in dem seltenen Zusammentreffen einer Reihe zufälliger Umstände besteht. Die Erscheinungen, welche Herr Beigel an dem seltsamen Brüderpaar beobachtet oder constatirt hat, sind vielmehr alle genau so, wie sie nach den allgemeinen Regeln der Vorgänge im lebenden und speciell menschlichen Körper erwartet werden mußten. Zunächst leidet es nach Beigel keinen Zweifel, daß die verbundenen Brüder zwei unter einander ganz verschiedene und in jeder Hinsicht getrennte Wesen sind. Sie sind verschieden in ihren Gefühlen, ihren Meinungen, ihrem körperlichen Befinden etc., und das einzige Gemeinsame besteht darin, daß sie sich seit achtundfünfzig Jahren daran gewöhnt haben, so zu handeln, als ob sie Eins wären. Der Eine ist bisweilen krank, der Andere nicht; der Eine hat Hunger, der Andere nicht; der Eine ist schläfrig, der Andere nicht; der Eine hat das Verlangen, gewisse Bedürfnisse zu befriedigen, der Andere nicht. Ihr Puls oder Herzschlag geht oft sehr verschieden. Jeder bewegt seine Glieder willkürlich für sich. Der Eine spielt die Violine, der Andere die Flöte. Sie sind verheirathet und haben neun erwachsene Kinder. – Die gegenseitige körperliche Verbindung Beider besteht in einer knorpeligen Verlängerung und übermäßigen Ausbildung des sogenannten schwertförmigen Fortsatzes der beiderseitigen Brustbeine, welche Verlängerung ein festes, aber einigermaßen nachgiebiges, mit Haut überzogenes Band von ungefähr sieben Zoll Länge und von der Dicke eines Armes von einer Brust zur andern bildet; doch besteht dabei jede Brusthöhle gesondert und abgeschlossen für sich. Eine solche Verbindung mit vollständiger Entwicklung zweier Individuen ist überaus selten, und ist bis jetzt in früherer Zeit erst einmal, und zwar im sechszehnten Jahrhundert, beschrieben worden.

Vom physiologischen Standpunkte aus bieten die Zwillinge eigentlich wenig Interesse, und die einzig wichtige Beobachtung in dieser Hinsicht bildet die genauere Bestimmung desjenigen Punktes des Verbindungs-Bandes, wo Beide eine gemeinschaftliche und wo sie eine gesonderte Empfindungsfähigkeit haben. Genau in der Mitte des Bandes nun besteht ein Zwischenraum von ungefähr einem halben Zoll Breite, wo die Brüder einen darauf angebrachten Eindruck, z. B einen Nadelstich, gemeinsam empfinden; darüber hinaus aber tritt jederseits gesonderte Empfindung ein.

Es besteht kein Zweifel darüber, daß eine chirurgische Trennung beider Brüder sehr leicht und ohne wesentliche Lebensgefahr für dieselben vorgenommen werden könnte; alle ärztlichen Autoritäten, welche man deshalb consultirt hat, stimmen hierin überein. Nur wäre wohl zu befürchten, daß Beide nach der Trennung einige Schwierigkeit empfinden würden, für sich zu handeln und ohne die gewohnte Unterstützung des Anderen zu gehen. Die Brüder selbst weisen jedoch jeden Vorschlag einer Trennung entschieden zurück – aus Gründen des Gelderwerbs. Sollte freilich – was aller Wahrscheinlichkeit nach geschehen wird – Einer vor dem Anderen sterben, so müßte die im Leben zurückgewiesene Trennung nothwendiger Weise noch nachträglich vorgenommen werden. Dr. L. Büchner.     




Dank und neue Bitte nach Nordamerika. Daß die trauernde Mutter (Nr. 29 der Gartenlaube) ihren Sohn, den Capitain Großmann, im Dienst des Indianer-Departements wiedergefunden, haben wir bereits in der Kürze berichtet. Wir fühlen uns verpflichtet, auch unsern öffentlichen Dank den Herren auszusprechen, welche sich so theilnehmend und aufopfernd um die Erkundung des jetzigen Aufenthaltsorts und der Adresse des Vermißten bemüht haben. Herr J. C. Hesse in Washington theilte uns aus dem Kriegs-Departement direct die dermalige Adresse mit; Herr Emil Burmester in Omaha, St. Nebraska, verschaffte sich dieselbe im Hauptquartier des commandirenden Generals des Platte-Departements; Herr J. Ende, der selbst den ganzen großen Unionskrieg mitgemacht, benutzte seine Stellung bei der Buchhandlung des Herrn Niedfeld, eines Agenten unseres Blattes in Washington, Herrn Großmann die betreffende Nummer der Gartenlaube zuzusenden; der jetzt im Kriegs-Departement zu Washington beschäftigte Capitain Hugo Kandler fügte seinen Nachrichten über Großmann zugleich die überraschende Bemerkung bei, daß er als Schriftsetzerlehrling im Jahre 1852 an der ersten Nummer der Gartenlaube mit gearbeitet. Ihnen Allen unsern Dank und dem Letztern noch besondern Gruß.

Aber auch drei neue Bitten müssen hier Platz finden. Eine Wittwe, Frau Lisette Wagner, welche gegenwärtig in Augsburg lebt, hat seit Februar 1867, wo ihr Sohn Karl Wagner aus Ulm, nachdem er glücklich den großen Krieg mitgemacht, ihr aus Chicago seine Abreise zur Rückkehr in die Heimath schrieb, keine Nachricht mehr von ihm erhalten. „Ich bin zwar auf Alles gefaßt, nur Eines möchte ich gewiß sein, Leben oder Tod; die peinliche Ungewißheit zehrt Einem Leib und Leben auf“ – so schreibt die arme Mutter, zu deren Beruhigung gewiß unsere Leser und Freunde in der neuen Welt wiederum ihr Möglichstes thun.

Die zweite Bitte geht von einer Schwester aus, die ihren verschollenen Bruder sucht: Gustav Vogel aus Leipzig, welcher im Februar 1867 aus Neu-Braunfels in Texas das letzte Lebenszeichen von sich gegeben.

Endlich hat ein Elternpaar („ein alter kranker Mann und eine blinde Frau“) seit dem 11. October 1861 keine Nachricht von seinem Sohn August Rippenhausen, der vor etwa zwölf Jahren als Steinhauer aus dem Hannöverschen auswanderte und zuletzt Koch in einem größern Hotel zu San Jose in Californien war.




Die deutsche Nordpol-Expedition, sagt der „Morning Herald“, habe bis jetzt nichts Anderes entdeckt, als daß viel Eis bei Grönland anzutreffen sei. Das sei nichts besonderes Neues, welche wissenschaftliche Form man auch der Entdeckung geben möge. Seitdem arktische Expeditionen das Interesse verloren, welches ihnen früher der Untergang der Franklin’schen Expedition verliehen, sei die Sucht nach Nordpol-Entdeckungen auf eine Linie mit dem Afrika-Reisefieber zu stellen. Aber das Innere Afrika’s könne doch einmal für civilisatorische Zwecke nutzbar gemacht werden, während oben im Norden nichts zu holen sei und nichts geschaffen werden könne, als ein Name für ein bisher unentdecktes Cap oder eine neue Eispassage. Eine englische Ansicht! – –




Berichtigung. Aus Partenkirchen erhalten wir als Berichtigung zu dem in Nr. 34 veröffentlichten Artikel über die dortige Kunstschnitzerschule die Notiz, daß nicht sieben Stunden wöchentlich der Erlernung der Schnitzerei gewidmet sind, sondern factisch jeden Tag eilf, also wöchentlich sechsundsechszig Stunden, während für den Zeichenunterricht allerdings sieben Stunden festgesetzt sind.




Nicht zu übersehen!

Mit dieser Nummer schließt das dritte Quartal unserer Zeitschrift. Wir ersuchen die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das vierte Quartal schleunigst aufgeben zu wollen. Die Verlagshandlung.     


An größeren Novellen sind angenommen und kommen zur Veröffentlichung:

 Ad. von Auer: Jedem das Seine. – Herman Schmid: Die Türken in München. – Wilh. von Hillern, geb. Birch (Verfasserin des „Arztes der Seele“): Aus eigener Kraft.
 Außerdem: Bilder und Erinnerungen von Fr. Hecker, Fortsetzung. – Meine Begegnung mit Mazzini, von Ludmilla Assing. – In einer Spiritistenversammlung. – Beiträge von Bock, Brehm, L. Büchner, Carl Vogt etc. etc. – Illustration von Kaulbach: Humboldt und der Kosmos. – Fräulein Tinne auf der Reise durch die Sahara, von Gentz. etc. etc.

Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 626. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_626.jpg&oldid=- (Version vom 16.10.2022)