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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Vielleicht war Rosine noch nie in ihrem Leben so glücklich gewesen als jetzt. Die Nichten hübsch und gefeiert, die Bedeutung ihrer eignen Person erhöht, Gülzenow im Augenblick in den Hintergrund getreten, die Woche ein Strom von Vergnügungen, am Sonntag die Familienconcerte im vollen Gange, von denen jedes fremde, jedes störende Element abgeschlossen war, ja während deren die Tante am liebsten die Straße gesperrt hätte, damit nur kein Wagengeräusch die Harmonie der Musik unterbreche.

Ein heitrer Geist schwebte über dem Hause, nirgends eine Veranlassung zu Herzkrampf, und selbst der Umstand, daß dieser ein paarmal ohne Veranlassung kam, brachte nur vorübergehende Todesgedanken. Es war zu diesen wie zu der dazu gehörigen üblen Laune nirgends rechte Zeit.

So stand es, als Clemens von Brücken aus jenem Ball zum erstenmal in den Gesichtskreis der Tante trat, zum erstenmal an dem Lebenshorizont der beiden jungen Mädchen erschien, ob als Nebelstreifen, als Stern, als Sturmeswolke, lag noch im Schooß der Zukunft verborgen.


Fortsetzung folgt.



Aus einer alten deutschen Stadt.

Um manche Stadt unseres Vaterlandes hat die Sage, die Dichtung und die Geschichte einen solchen Kranz von Poesie gelegt, daß der bloße Name derselben uns schon wunderbar berührt. Und nur mit andächtiger Stimmung sehen wir ihre Thürme, ihre Mauern, ihre Straßen an, wenn wir zum ersten Male dieselbe betreten. Noch fühle ich nach langen Jahren, wie das Herz mir höher schlug, als ich in meiner Studienzeit von der Musenstadt am Neckar aus zum ersten Male nach Weinsberg wanderte und im Geiste den komischen Weiberzug die Burg herabziehen sah und dann bei dem gemüthüberquellenden, damals schon halb erblindeten Justinus Kerner, dessen Lieder wir oft gesungen, vorsprach, um einen ganzen unvergeßlichen Tag in seinem gastlichen Hanse zuzubringen. Aehnliche Empfindung hatte ich, als der Straßburger Münster sich mir an fernen Horizonte zum ersten Male erhob, oder als in Worms alle Nibelungengestalten wir auftauchten und die Schatten einer dichterischen Vorzeit mir zwischen den Mauern und Häusern lebendig wurden.

Der Süden hat dieser dichtungumwobenen Städte vor Allem so viele, und sie gehören mit zur Poesie des grüneren Landes jenseit des Main. Die Städte des Nordens schmückt mehr die ehrenvolle Bürgerkrone. Eine würdevolle Prosa durchwirkt ihre Geschichte, die uns Achtung abzwingt vor den tapfern, frommen und gewerbthätigen Menschen, die sie gebaut und treulich in ihnen gewaltet seit Jahrhunderten. Die Gartenlaube hat manches Bild solcher altdeutschen Städte schon dargeboten und Achtung vor ihnen gelehrt. Es sind ehrwürdige Städte, die sie ab und zu geschildert. Aber es giebt auch solche, deren früherer Ruhm geknüpft ist nicht an Kirchen und Capellen, an Klöster und Burgen oder Belagerungen und Schlachten, sondern nur an die löblichst betriebene Bierindustrie, – in einer Zeit, wo noch kein Fabrikschlot rauchte und die Städte zu Fabrikstädten machte, wo aber durch den Dampf der Braupfanne vor Allem manche Stadt berühmt und unsterblich ward.

Der im Archivstaube wühlende Gelehrte constatirt es: eine der ältesten Bierstädte unseres Vaterlandes ist die Anhalt’sche Stadt Zerbst an der erlenumwachsenen Ruthe; selbst als Stadt an sich alt wie wenig andere. Die verfallenen Wartthürme, das uralte Festungsgemäuer, uralter Sagenreichthum, der die Stadt und die Gegend umkränzt, würden davon Zeugniß geben, wenn nicht die schriftlichen Urkunden selbst bis in’s zehnte Jahrhundert das Dasein der Stadt als Stadt documentirten. Was mag noch darüber hinaus liegen! Manches Stück deutscher Culturgeschichte ist aus den Archiven, Baudenkmalen und sagenhaften Traditionen herauszulesen. Manche Herrlichkeiten, zum Beispiel eine von Lucas Cranach gemalte mächtige Bibel, und manche Sonderbarkeiten früherer Zeit liegen durch Nachsicht der Mäuse und entomologischen Ungeziefers auf dem altseltsam gebauten Rathhause pietätvoll aufbewahrt. Alles das aber ruft uns unter dem aufwirbelnden Staube zu: „einstens gewesen!“

Nur das edle Getränk, welches Kranken und Gesunden nützt, das allbekannte Zerbster Bitterbier, läßt durch den Kranz noch fort und fort bestehender Einrichtungen die altersgraue bierwürzige Vergangenheit lebensfrisch in die neue Zeit hineinblicken und läßt den gewerblichen Stolz der Gegenwart anknüpfen an alte Triumphe deutscher Gewerbthätigkeit. Der Fremde, der die alte Stadt betritt, läßt sich behaglich von dem alten Ruhme dieses Bieres erzählen und lacht und freut sich über die alten hopfenumrankten Traditionen. Hier war einstens eine Entfaltung der Bierproduction, die in’s Großartige ging. Hier waren die bezüglichen Gerechtsamkeiten zwar auch eingezäunt durch alte Innungsverordnungen, und doch waren wieder in weitherzigster Weise alle Schleußen geöffnet, damit der alte Ruhm immer reicher werde und wachse. Hier war ein Verkehr, der früher schon aus den engen Mauern heraustrat und in Exportgeschäften in der weitesten Umgegend seine Verbindungen hatte, selbst über Deutschland hinaus. Im sechzehnten Jahrhundert war ihm schon selbst das Meer bis nach Amerika hin nicht zu breit. Hier webte und waltete zugleich ein im damaligen Sinne frommer Geist um die Braupfanne her, indem Alles als Segen von oben dankbar empfangen wurde.

Schon die verhältnißmäßig große Menge von Brauhäusern dürfte vergeblich anderswo zu suchen sein. Es giebt manche Städte, in denen fast ein Haus um das andere denselben Gewerbzweig vertritt. Zum Beispiel in dem Städtchen Pirmasenz in der Rheinpfalz sind fast Alles Schuhmacherhäuser, und bei einem abendlichen Gang durch die Straßen machen die Glaskugellämpchen, bei denen die ehrsamen Schuster arbeiten, einen wunderlichen Eindruck. Zerbst hat so seine Brauhäuser, – wenigstens noch immer dem Namen nach! Es machen dieselben mehr als die Hälfte der Häuser der Stadt aus. Viele derselben haben sogar eine doppelte Braugerechtigkei und somit auch doppelte Pflichten und Rechte. Das sind aber Brauhäuser! Mächtige Räume ziehen kellerartig kühl und dunkel in solidem Ausbau durch die Hintergebäude des Hauses hin, in denen einst das gewerbliche Leben pulsirte und ruhelos nervige Brauknechte thätig waren. Da wurde endlose Fülle des edlen Stoffes bereitet und der Weltruhm der Stadt mitgebraut. In Thätigkeit sind jetzt freilich nur noch etwa zwanzig Brauereien, die Brauräume aller der andern berechtigten Häuser sind öde und unheimlich stille. Schuttgeröll und Urväter-Hausgeräth liegt da aufgespeichert. Ist aber mit dem Geist der alten Zeit das Leben desselben auch dahin, – das Phlegma ist geblieben. Nämlich als ein sinnloses Phantom erbt das Braurecht von Besitzer auf Besitzer fort. Derselbe heißt ein Brauherr, wenn ihm auch nichts ferner sieht als das Handwerk mit seinem goldenen Boden. Rentiers, Lehrer, Kaufleute, Kreisgerichtsräthe, – alle sind Brauer im Besitze solcher Häuser und genießen als solche die von ehemals überkommenen Rechte dieses Standes, – in den sie thätig eintreten können, sobald es beliebt. Caricaturen von Rechten in ihrer alten Begründung unter der heutigen Sonne! Aber es sind lebendige Actenstücke für die Kenntniß der früheren Zeit.

Ja, damals war es nichts Geringes, ein Brauer in der alten reichsfreiherrlichen Stadt zu sein! Die alten Urkunden reden gar nicht von Brauern oder Brauereibesitzern, sondern nur von Brauherren, bürgerlichen Nobili, die nicht nur reich an Gut, sondern auch reich an bürgerlichen und kirchlichen Ehren waren. So hatte die Brauherrn-Innung ausschließlich das gewichtige Ehrenamt des Kirchenvorstandes, dasselbe war in manchen Familien erblich, vor Allem aber vererbten die löblichen Ahnen der heutigen Bierindustriellen ihren Stand von Geschlecht zu Geschlecht. Daneben aber bestand auch und besteht noch ein nicht unansehnliches Stipendium für studirende Brauerssöhne, und als ein solcher gilt in dem Sinne des Stipendiums der, dessen Vater als Brauhausbesitzer sich legitimiren kann. Das Recht hängt an dem Hausrechte. Der Sohn selbst eines wirklichen Brauers rechnet vergeblich auf jene stipendiale Unterstützung, wenn der Vater gestorben und das Haus verkauft ist.

Es waren jene Alten aber auch dem Herzen nach ehrenwerthe Männer. Manche milde Stiftung für Kirchen und Arme, für

Lehrlinge, Wittwen und Waisen zeugt noch von dem gemeinsinnigen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 664. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_664.jpg&oldid=- (Version vom 12.7.2023)