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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

um so größere Ehre widerfährt Deinem Gastfreunde. Erwarte aber keine Teller und Messer oder daß man Dir vorschneide und vorlege; der Gast führt ein Messer in der Tasche, er mag es herausnehmen. Auch ist für die zahlreiche Gesellschaft nur Ein Glas oder Gläschen vorhanden, das der Hausherr füllt und Dir „bringt“, d. h. er winkt Dir freundlich zu, verbeugt sich vielleicht gar leicht und leert es dann selbst. Dann erst wird es auf’s Neue gefüllt und Dir selbst dargebracht. Willst Du ein feiner Mann sein, so leere es in Einem Zuge; auf keinen Fall stelle es auf den Tisch ab, nachdem Du einen Schluck getrunken. Die Etikette verbietet das, Du mußt es dem Wirth oder dem nächsten Gast in die Hand geben; nur dem „Henker oder Schinder“ stellt man das Glas auf den Tisch hin, nachdem man „Bescheid gethan“. Selbst wenn Du als Fremder eine Wirthsstube betrittst, wird Dir’s mancher „bringen“ und Du läufst Gefahr, mehr „Bescheid thun“ zu müssen, als Dir lieb ist. Auf den Tanzböden „bringen’s“ die jungen Bursche den Mädchen, eine Dorfschöne erhält oft sechs bis acht Gläser auf einmal, die sie alle gleichzeitig in oder auf den Händen behalten muß, bis sie ein Glas nach dem andern dem Eigenthümer in die Hand zurückgebracht hat. Das letzte Glas muß sie nach der Etikette Demjenigen zurückerstatten, den sie auszeichnen will, und so hat sie oft Mühe, sich der vielen Trinkgefäße zu entledigen, weil jeder der Letzte sein möchte. – Die Weigerung, Bescheid zu thun, ist aber eine arge Beleidigung, ein Zeichen von Geringschätzung oder Verachtung.

Manches in diesen Sitten und Gebräuchen erinnert an das bayerische Hochland, mit welchem Guggisberg auch das Haberfeldtreiben gemein hat. Diese eigenthümliche Art von Vehmgericht wird hier „Trachselfahren“ genannt und wird unter denselben Verhältnissen abgehalten, wie das Habern. Hat ein junger Bursche ein Mädchen betrogen, wird irgendwo frecher Ehebruch getrieben, ist ein Wirth als Weinverfälscher, ein Hagestolz als Wucherer, Betrüger u. s. f. bekannt, so sammeln sich Nachts die gefürchteten Rächer. Kuhglocken, Ziegenschellen, alte garnirte Posaunen und Trompeten, Pfannendeckel, metallene Waschbecken dienen als Musikinstrumente; ein Mann mit geläufiger Zunge und kecker Stirne wird zum öffentlichen Ankläger gewählt; dann setzt sich der Zug in Bewegung mit einer Musik, die „Steine erweichen, Menschen rasend machen kann“. Das Dorf und die Umgebung wird durchstreift, auf öffentlichen Plätzen Halt gemacht und vom Sprecher das Sündenregister des Frevlers mit eindringlichen Worten verlesen. Zeugen werden verhört, die Umfrage an die Richter wird gehalten und das Urtheil gesprochen, das natürlich auf „Trachselfahren“ oder „Karren“ lautet.

Vor dem Hause des Opfers wird der Lärm, der bisher nur zur Sammlung diente, verdoppelt. Oft wird selbst eine Strohpuppe aufgestellt, auf einer Armensünderbank befestigt und nach allen Regeln des öffentlichen Gerichtsverfahrens zu irgend einer ungeheuren Strafe, Prügel, Pranger, Landesverweisung oder Verbrennung verurtheilt. In neuerer Zeit ist das Gericht aber ausgeartet, hat von seinem früheren Ernste verloren und ist bestechlich geworden. Schlaue Angeklagte ließen vor ihrem Hause, um die Execution zu verhindern, blitzableitende Korbflaschen mit Wein, Körbe voll Brod und Käse aufführen, was den zur Strafe erhobenen Arm der Volksjustiz lähmte. Natürlich duldet die weltliche Gerechtigkeit diese Eingriffe in ihre Befugnisse nicht, und die Thäter werden zur Rechenschaft gezogen und bestraft. Doch sind es kaum vier Jahre, daß eine übelbeleumdete Familie auf diese Weise gebrandmarkt wurde.

Fragen wir nun nach dem Charakter und der Organisation des Guggisberger Völkleins, das wir bereits in seinen verschiedenen Lebenslagen beobachtet haben, so sind die Männer von Guggisberg, wie alle Bergbewohner, schon als Hochgeborene, von großer Körperkraft. Sie gehören ohne Zweifel zu den kräftigsten Volksstämmen und von einzelnen besonders bevorzugten Athleten werden Thaten erzählt, die an Simson erinnern und geradezu unglaublich wären, wenn sie nicht von so glaubwürdigen noch lebenden Augenzeugen verbürgt wären. Dabei sind sie von großer Gutmüthigkeit, heiter, voll Mutterwitz, worin sie kaum den Appenzellern nachstehen, gegen Fremde erst zurückhaltend, wenn aber einmal gewonnen, zutraulich und gastfreundlich. Mit allen Bergvölkern haben sie einen tiefen religiösen Ernst gemeinsam, der bis zur Neigung zum Sectenwesen geht. Es kann daher auch nicht befremden, wenn die reformatorischen Bestrebungen, die im dreizehnten Jahrhundert als Vorläufer der eigentlichen Reformation von dem südlichen Frankreich ausgingen, in diesem Hochlande lebhaften Anklang fanden und daß es Feuer und Schwert brauchte, um die „Irrlehre“ mit Stumpf und Stiel auszurotten.

Haushälterischer, vorsorglicher Sinn und Genügsamkeit zeichnen den Guggisberger aus. Leider hat sich in einigen Ortschaften der Branntwein, das Trostmittel der Armen, mit seinem ganzen Gefolge eingeschlichen. Auffallend ist die Intelligenz und mannigfache Begabung dieser auf sich selbst angewiesenen Menschenclasse, die Autodidakten sind geradezu Legion und zeigen sich nicht nur in Handwerken (z. B. Uhrmacher, die nie eine Lehre gemacht und doch untadelhafte Uhren zusammensetzen und deren kleinste Theile eigenhändig anfertigen) oder in der Musik (Orgel- und Clavierspieler von bedeutenden Leistungen, die nur das angeborene Genie zum Lehrmeister hatten), sondern auch in so abstracten Wissenschaften, wie Mathematik und Astronomie. So erzählt Herr Jenzer in seinem Buche über Schwarzenburg von einem Müller, der zugleich Schreiner, Orgelspieler, Glasschleifer, Mathematiker und Astronom war, Sonnen- und Mondfinsternisse und Planetendurchgänge auf viele Jahre hinaus genau berechnete u. dgl.

Gerne würden wir noch einen Streifzug in die Geschichte von Guggisberg unternehmen und namentlich in die ehrwürdige Vergangenheit des nördlichen und tiefer gelegenen Landesteiles, wo Kelten, Römer, Burgunder und Alemannen bereits Jahrhunderte lang geschaltet hatten, als der Urwald von Cucansperc sich zu lichten begann. Aber das Alles würde uns zu weit auf die Seite führen. Vielleicht bleibt es einem zweiten Ausflug in’s Schwarzenburgische vorbehalten.




Blätter und Blüthen.

Eine Humboldt-Feier unter Palmen. Unter diesem Titel erhält die Gartenlaube eine ausführliche Schilderung des Festes, welches am 11. September dieses Jahres (man hatte äußerer Umstände halber schon diesen Tag wählen müssen) von den Mitgliedern der deutschen Colonie in Alexandrien mit Vertretern von fast allen Völkern Europa’s und einem guten Theil des Orients zu Ehren Humboldt’s begangen wurde. Es existiren gegenwärtig in Alexandrien fünf oder sechs deutsche Vereine und von dem jüngsten derselben, von dem Vereine „Schiller“, war die Idee zur Humboldt-Feier ausgegangen.

„Das Festlocal,“ schreibt man uns, „befand sich in einem großen Garten, dessen fruchtreiche Dattelpalmen einen riesigen Säulentempel bildeten, in welchem hohe feurigblühende Oleander, Granatbäume, Ghazia’s, Feigen, Oliven, Gummibäume bis in ihre höchsten Aeste hinauf zahllose buntfarbige Laternen schaukelten. Am Haupteingange des palmenüberragten, aus Steinen von Memphis und Theben erbauten Pavillons prangte in weithin leuchtender Flammenschrift der Name des Vereins ‚Schiller‘ und um ihn flatterten die riesigen Flaggen und Wimpeln des schwarzrotgoldenen Banners. Der lichtstrahlende Pavillon mit seinen hohen Portalen, mit seiner lianenumrankten, fahnengeschmückten Kuppel und mit den duftenden farbenreichen Blumenwänden glich einem Zauberpalast; von seinen dreißig Marmorsäulen aber prangten die Flaggen und Wappen der siebzehn hier vertretenen Mächte, der Halbmond des Ostens und das Sternenbanner der neuen Welt. Der Zudrang zum Feste war ein außerordentlicher; sämmtliche deutsche Vereine hatten ihre Betheiligung zugesagt und sämmtliche Consulate hatten die Einladung angenommen – je näher aber der Tag selbst gekommen war, desto mehr hatten sich die Bitten um Eintrittskarten auf Seiten der Angehörigen fremder Nationen gehäuft, wie der Islamiten aus der Türkei und Arabien und der langbärtigen Unterthanen des persischen Schahs.

Das Fest selbst begann um neun Uhr mit Ouverture und Chorgesang (‚Das ist der Tag des Herrn‘), woran sich die Festrede schloß, welche das Leben und Wirken Humboldt’s und seine Bedeutung für Fortschritt und Wissenschaft schilderte. Nach ihrem Schlusse wurde unter hundertstimmigen Hochs von drei Jungfrauen die lorbeer- und palmenumgebene Büste Humboldt’s enthüllt, Tempel, Saal und Garten erglänzten im bengalischen Licht und bunte Leuchtkugeln, sprühende Raketen verkündeten der Stadt Alexander’s, wie Deutsche auch in der Fremde noch das Andenken ihrer großen Männer zu feiern wissen. Nachdem der Beifallssturm sich gelegt hatte, folgte wieder Chorgesang (‚Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt‘), der Vortrag des schönen Gedichts von J. G. FischerDie neue Lehre‘ (der Gartenlaube entnommen), und unter endlosem Jubel das Absingen des ‚deutschen Liedes‘. Unter freiem,

vom zauberhaften Mondlicht beleuchteten Himmel ward bald nach Mitternacht die Festtafel bereitet, an welcher sämmtliche Anwesende, die Damen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 689. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_689.jpg&oldid=- (Version vom 1.11.2022)