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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


No. 44.   1869.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich bis 2 Bogen.0 Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Jedem das Seine.
Von Ad. von Auer.
(Fortsetzung.)


Frühlingsanfänge draußen, die dem abziehenden Winter stark Concurrenz machten; Frühlingsanfänge gar in jungen Herzen! Wie kam es doch, daß den beiden jungen Mädchen, Elly und Liddy, das Leben noch viel schöner erschien denn je und daß es ihnen doch viel ernster vorkam? Wie kam es, daß ihre stillen Züge lebhafter, ausdrucksvoller wurden, ihre Gedankenwelt reicher, wenn auch noch mehr in Träumen sich verlierend, als schon reif zu klarem bestimmtem Verständniß und Wort?

Sie saßen bei einander und tauschten Eindrücke, Betrachtungen, wie das Leben sie der Jugend bietet, mit einander aus. Schweigend hörte Ursula zu. Dem jungen Mädchen war die Veränderung der Schwestern nicht entgangen. Sie hatte einen beobachtenden Geist, was himmelweit von einem spionirenden, einem combinirenden ist. Durch logisches Denken verband sie Ursache und Wirkung mit einander und da, wo ein Anderer nur eine Mischung bunter Farben gesehen haben würde, sonderten sich diese für sie zum klaren Bilde. Sie bemerkte die Veränderung der Schwestern und zagte, sie sah auch noch andere Blüthen keimen im Eden der Jugend, dem Sonnenschein hoffnungsvoll entgegen lachend und doch diese Sonne im Nebel, in Wolken, trotz allen Bemühens, den weiten Horizont zu erhellen. Woher diese Ohnmacht, woher Wolken und Nebel? Unbestimmte Furcht erfüllte Ursula’s Seele, und das scheinbar heitere Geschwätz der Schwestern verscheuchte sie nicht. Kindergeschwätz, Vogelgezwitscher! Aus übervoller Brust strömt zuletzt doch der Ton, der zum Liede wird, wenn es auch nichts weiter besingt als die Seligkeit des Daseins.

„Wie freue ich mich auf Gülzenow!“ sagte Elly.

„Und den Frühling auf dem Lande,“ setzte Liddy hinzu.

„Glaubst Du, daß er noch schöner sein kann als der Winter es war?“ fragte Elly.

„Gewiß, im Frühling wächst Alles. Waren die letzten Bälle nicht auch noch viel heiterer als die ersten?“ lautete die Entgegnung.

„Ja, ich habe nicht geglaubt, daß man so glücklich sein könnte, während man sich doch nur amüsirt,“ sagte Liddy sinnend.

„Das Vergnügen ist nur ein Strahl aus der Sonne des Glückes,“ fuhr Elly fort; „glaubst Du, daß ein unglücklicher Mensch das Vergnügen kennt?“

„Wenn Vergnügen ein Sonnenstrahl ist, den kann Jeder erhaschen, die Sonne scheint für Alle,“ begann wieder Liddy. „Aber das ist doch nur ein Bild. Die Sache selbst muß einen Grund haben. Sieh einmal, unsere Ursula ist glücklich, aber über unser Vergnügen lächelt sie und versteht es nicht.“

„Die Sonne wirft ja doch viele Strahlen, dem Einem blickt dieser, dem Andern jener in’s Herz,“ mischte sich jetzt Ursula in das Gespräch.

„Also ist das Bild doch richtig,“ triumphirte Elly, „die Sonne bedeutet das Glück im Ganzen, hoch oben am Himmel steht’s und wirft Strahlen über die Erde; jeder bringt uns ein anderes dem Himmel verwandtes irdisches Gut. Ursula, Du bist für uns auch ein Sonnenstrahl.“

„Und auch die Tante, Rose, Hasso,“ fuhr Liddy fort.

Elly lachte leise. „O,“ sagte sie, „der Sonnenstrahl, der die Tante bedeutet, ist manchmal etwas sehr heiß, heißer als hell.“

„Still, still, wir dürfen so etwas nicht denken, nicht sagen,“ wies Liddy die Schwester zurecht, wie man wohl sich selber zurechtweist, wenn Gedanken gegen Gefühle streiten, und Elly war fast gehorsamer, als man es in solchen Fällen oft gegen sich selbst zu sein vermag, sie bat Liddy mit einem reuigen Blick ihre voreilige Bemerkung ab und sagte:

„Gewiß ist die Tante einer unserer Sonnenstrahlen, auch Dora.“

„Und Clemens!“ setzte Liddy schnell hinzu.

Nun fingen sie an, die Vorzüge des Vetters aufzuzählen, seine Heiterkeit, sein musikalisches Talent, seinen schönen Anstand, sein wohllautendes Organ, seine Klugheit, seine Freundschaft, seine Wahrheitsliebe und sein gutes Herz.

„Er hat Dich sehr lieb!“ sagte Elly, „hast Du das nicht gemerkt?“

„Ich habe nicht darauf Acht gegeben,“ entgegnete Jene, „ich freute mich, daß er Dir so gut war.“

Sie sahen einander an, fest, tief, als gäbe Jede der Andern ein Räthsel auf, das nicht mit Worten, nur mit Blicken zu lösen sei. Den in einander schwimmenden Augen folgten die Hände, die sie fest in einander verschlangen.

„Was ist Dir? Du zitterst und Deine Hand glüht,“ sagte Elly.

„Die Deine auch und Du hast Thränen in den Augen!“ fuhr Liddy fort.

Sie sanken einander in die Armen ein leises Schluchzen erstickte jedes weitere Wort. Es war auch weiter nichts zu sagen. Das Räthsel war gelöst. Sie liebten Clemens, liebten ihn alle Beide. Wann hätten sie je etwas nicht gemeinsam empfunden!

„Ihr armen, armen Kinder!“ sagte Ursula, aber zwei glückselige Gesichter lachten ihr durch Thränen entgegen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 691. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_691.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)