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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Zwölflachterstrecke, die tiefste Hauptförderstrecke des Hoffnungsschachtes, erreicht, den Weg, welchen die mit Kohlen gefüllten Wagen oder Hunde durchlaufen, um von den „Orten“, das heißt den Stellen, wo der Häuer die Kohlen losbricht, nach dem zweiten oder untersten Füllorte des erwähnter Schachtes geschoben zu werden. Nach diesem Füllorte fördert die „über Tage“, oben in der Kaue, stehende Dampfmaschine die leeren Wagen hinab, um dafür die gefüllten Hunde in die Höhe zu ziehen. Das eine dieser beiden Geleise dient den anfahrenden kohlenbelasteten, das andere den rückkehrenden leeren Hunden als Bahn.

„Jetzt aufgepaßt!“ rief mir mein Gesellschafter zu, als das Rasseln dicht vor uns ertönte und die Grubenlichter uns vor den Augen flackerten, und zog mich auf den zwischen den beiden Schienensträngen liegenden schmalen freien Raum hinüber.

„Glückauf! Glückauf!“ grüßte er, und zwei beladene Hunde rumpelten, einer hinter dem andern, links an uns vorüber, während zu gleicher Zeit auf dem Gleise zur Rechten ein paar leere Wagen zurückbugsirt wurden. Es ist ein buchstäblich im triefenden Schweiße des Angesichts geerntetes Brod, dies Schieben der vollen Kohlenkarren, welches den Förderleuten obliegt. Die aus dicken Bohlen zusammengefügten, mit Eisen schwer beschlagenen Hunde wiegen jeder seine sieben Centner, und ihre Last beträgt durchschnittlich drei Tonnen oder zwölf Centner; der Fördermann muß deshalb alle seine Sehnen anspannen, muß sich mit der ganzen Wucht seiner Arme gegen die Rückwand des Wagens stemmen und die Füße so fest wie er vermag auf den Boden aufsetzen, um das Vehikel auf den Schienen weiter zu schieben. Dazu herrschte, trotz des frischen Wetterzuges, in dieser Förderstrecke noch immer die Temperatur eines russischen Bades, so daß die Arbeiter ihr Werk splitternackt verrichten. Nur der Kopf ist mit dem dicken Bergmannsfilze bedeckt, an welchen das Grubenlicht befestigt wird, und das bekannte Leder mit dem verpönten Namen um einen andern Körpertheil geschnallt.

Unablässig hatten wir fortan dergleichen Transporten auszuweichen. „Auf’s linke, auf’s rechte Geleis!“ commandirte mein Beschützer fortwährend, je nachdem wir bald vor einem vollen, bald vor einem leeren Wagen zur Seite flüchten mußten. Ich hatte, so zu sagen, auf dem „Qui vive?“ zu stehen, um nicht überfahren zu werden. Sie machen einen ganz eigenthümlich unheimlichen, dämonischen Eindruck, diese Begegnungen, die etwas Gespensterhaftes haben, man wähnt sich in die Schattenwelt des Tartarus versetzt, um Ewigkeiten geschieden vom wonnesamen Dasein im Lichte der Sonne.

Nach etwa zehn Minuten „Fahrens“, wobei ich mir an den die Decke der Strecke stützenden Stempeln unterschiedliche Male beinahe den Kopf eingerannt hätte oder wenigstens mein Grubenhut in Bedrängniß gerathen war, und unser erster Rastpunkt, nach fünfviertelstündiger anstrengender Fahrt, jener untere Füllort des Neuen-Hoffnungsschachtes, nahm uns auf.

„Sie sehen hier zwei Aufzüge oder Förderschachte, einen dicht neben dem anderen,“ begann mein Geleiter seine weiteren Belehrungen. „Der Hoffnungsschacht besitzt nämlich zwei kleinere Dampfmaschinen von je sechszehn Pferdekräften etwa, während auf Segen-Gottes eine einzige gewaltige Maschine von hundertundzwanzig Pferden arbeitet. So können hier immer zu gleicher Zeit zwei gefüllte Hunde auf- und zwei leere niedergefördert werden. Der Förderschacht hier zur rechten Hand war allerdings, einer Reparatur halber, an unserem Unglückstage mit Brettern zugeschlagen oder ‚verbühnt‛, wie wir das nennen, keineswegs jedoch der ganze Schacht, wie das von der Presse uns zur Last gelegt worden ist. Die Luftcirculation, die Ausförderung der bösen Wetter, die in der Regel durch den Hoffnungsschacht geschieht, war mithin keineswegs abgeschnitten, da ja die linke Schachtabtheilung vollkommen frei und offen lag. Ohnedem waren in den Seitenwänden der Verbühnung regelmäßige Lücken gelassen, damit die Ventilation im Zuge blieb.“

„Es fällt mir nicht ein, zu behaupten,“ fuhr er fort, „daß alle unsere Einrichtungen mustergültig gewesen wären, ich gebe vielmehr zu, daß wir, wie das ja immer und überall so zu gehen pflegt, durch langes Glück zu sicher geworden waren und vielleicht eine und die andere Unzuträglichkeit geduldet hatten, die mit Schuld tragen können, daß das Unglück so entsetzliche Dimensionen angenommen hat, allein daß manche der Anklagen wenigstens, welche Presse und Publicum wider uns erhoben haben, vor der genaueren Prüfung nicht Stich halten, davon, denke ich, haben Sie sich jetzt durch den Augenschein überzeugt.“

„Und noch Eines,“ erläuterte der Einfahrer ferner. „Auch die Gartenlaube hat von dem Wagniß des jungen Paul erzählt, der in edler Regung seines Herzens zwar, aber unbesonnen und allen Warnungen zum Trotz, den Hoffnungsschacht, dort, wo Sie unter dem Hebewerk die steile Leiter emporsteigen sehen, ganz kurz nach der Katastrophe befahren wollte. Etwa acht Lachter – sechsundfünfzig Fuß – unter der Erdoberfläche ward er bewußtlos aufgefunden und hat dann, jedenfalls noch in Nachwirkung seiner Angst und Betäubung, von Rufen gesprochen, die er aus jener Wetterstrecke heraus, deren Mündung wir oben passirt und in welcher wirklich bis zum Nachmittage noch einige wenige Unglückliche gelebt haben, vernommen zu haben glaubte. Nun, Sie kennen jetzt die Entfernungen. Von der Stelle, wo Paul lag, bis zu der gedachten Wetterstrecke, welche die Wetter nach dem ersten oberen Füllorte des Hoffnungswerkes führt, sind es gerade vierhundertneunundfünfzig Lachter; die Strecke selbst ist, wie ich Ihnen bereits gesagt und wie Sie aus dem Grundriß ersehen, dreihundertundzwanzig Lachter lang, Paul müßte folglich jenes Hülfsgeschrei aus einer Entfernung von fast siebenhundertachtzig Lachtern oder fünftausendvierhundertundneunzig Fuß, eine halbe Stunde weit, und das nicht etwa in freiem Raum, wo der Schallleitung nichts im denn Weg tritt, sondern durch eine Menge von Zwischenwänden, durch Krümmungen und Windungen hindurch gehört haben. Halten Sie das für möglich? Uebrigens ist trotz der Unglaublichkeit der Aussage der Schacht sofort, und zwar in allen Theilen befahren und durchforscht, jedoch Niemand entdeckt worden, der gerufen haben konnte.“

Dagegen fand man hier an dem Füllorte, den wir soeben betrachteten, die Leichen von elf Förderleuten und zwei Anschlägern in einer Gruppe dicht neben einander liegen – es waren jene dreizehn Todte, die ich vor zwei Monaten zuerst, im Schuppen des Hoffnungsschachtes, gesehen. Der Todesengel hatte sie mit schneller, sanfter Hand berührt; zwar geschwärzt von Rauch und Qualm, aufgedunsen durch die Gase, waren doch sämmtliche der dreizehn unverstümmelt und einige sahen aus, als schlummerten sie süß. Der eine der beiden Anschläger hatte noch die rechte Hand am Hebel, als wolle er das Signal zum Auffördern geben. Er hätte sich retten können, wenn er anschlug oder im Fahrschachte daneben zu Tage stieg – doch er wollte warten, „vielleicht möchten noch mehrere seiner Cameraden kommen und sich auch mit hinaufziehen lassen wollen.“ Dies sind die Worte des wackeren Mannes gewesen; die beiden Zimmerlinge, welche noch Zeit fanden, sich durch den gedachten Schacht in Sicherheit zu bringen, haben sie uns überliefert.


(Schluß folgt.)




Auf dem Kirchhof zu Meisenheim.
Von J. Leyser.


Es sind erst wenige Jahre verflossen, seit die „Gartenlaube“ schrieb: „Friederikens Grab in Meisenheim wird vergebens gesucht, kein Stein, kein Kreuz bezeichnet es.“ Sterbend hatte die Geliebte des glücklichsten Dichters deutscher Nation sich jeden Schmuck für ihren stillen Hügel verbeten, nur ein schlichtes Holzkreuz sollte die Hand der Liebe auf denselben pflanzen. Aber während die deutsche Jugend nach Sesenheim wanderte, um die Stätten zu schauen, wo jene liebliche Idylle sich entfaltet, die, von dem süßesten Lichte magisch umspielt, aus „Wahrheit und Dichtung“ mit so ergreifenden Tönen zu uns redet: da war das schwarze Kreuz neben der Kirche zu Meisenheim allmählich zusammengebrochen, es war still und einsam geworden an dem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 701. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_701.jpg&oldid=- (Version vom 5.11.2022)