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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


eingesunkenen Grabhügel, unter dem sie schlummerte, die zu den schönsten Frauenbildern gehört in Goethe’s Leben, der der Dichter vielleicht die traulichsten Züge zu seinem „Gretchen“ abgelauscht.

Doch auch von ihrem Grabe sollte der Bann genommen werden. Jenes Wort der „Gartenlaube“ hatte gezündet. Zwei wackere deutsche Männer, der rheinische Dichter Hugo Oelbermann und Friedrich Geßler von Lahr, wanderten bald nachher zur verlassenen Grabstätte und beschlossen dort, einen Aufruf ergehen zu lassen zur Herstellung eines einfachen Denksteins. Ihr geflügeltes Wort ward rasch und weithin verkündet von den feurigen Zungen der Presse, bald wurden Gaben gespendet aus allen Gauen deutschen Landes, selbst aus Rußland und Siebenbürgen, und „nach mancherlei Kämpfen mit dem leidigen Philisterthum“ wurde endlich dem Lahrer Comité die Freude zu Theil, am 19. August 1866 in einfacher, aber ergreifender Feier den Friederiken-Denkstein, ein Meisterwerk Hornberger’s, enthüllt zu sehen.

Es war ein lachender Sommertag dieses Jahres, als ich mit Freund Geßler von Lahr hinaus nach Meisenheim pilgerte. Bald war das schöne Rieddorf Kürzell durchschritten, eine Stunde später betraten wir den Kirchhof zu Meisenheim. An die östliche Mauer des Kirchleins lehnt sich ein einfaches, doch edel gehaltenes Denkmal, aus Goldgrund heraus grüßt uns eine Marmorbüste: es sind Friederikens Züge, wie sie der Phantasie des Künstlers entstiegen, Züge, auf denen bereits das Morgenroth der Verklärung zu spielen scheint, und doch mit jener „ganzen Anmuth und Lieblichkeit“ geschmückt wie damals, als dem Musensohne von Straßburg „ein allerliebster Stern“ am ländlichen Himmel von Sesenheitn aufging. Die höchst sinnige Inschrift von Eckardt lantet.

     Friederike Brion
von Sesenheim gewidmet.
Ein Strahl der Dichtersonne fiel auf sie,
So reich, daß er Unsterblichkeit ihr lieh.

Neben Friederiken schlummert ihre Schwester Maria Salomea, Goethe’s „Olivia“ (starb 1807), an der Seite ihres Gatten, des Pfarrers Marx (starb 1819). Der gebeugte Greis, den wir auf unserm Bilde erblicken, es ist der Todtengräber Hockenjos, der einst Friederiken ihr letztes Haus geschaufelt und ihren einsamen Hügel mit Nelken bepflanzt hatte, er der Einzige unter den Dorfbewohnern, der noch sichere Kunde geben konnte von dem verlassenen, vergessenen Grabe. Drüben im Pfarrhaus das Kirchenbuch besagt: „Friederike Elisabeth Brion. Samstag den 3ten April Nachmittags 5 Uhr starb dahier des weiland Johann Jacob Brion, gewesenen evang. luther. Pfarrers in Sesenheim, und weiland Maria Magdalena einer gebornen Schöll, ehelich erzeugte ledige Tochter in einem Alter von ohngefähr 58 Jahren. Es wurde dieselbe heute den 5ten April 1813 Abends um 5 Uhr begraben.“

Friederike Brion’s Denkmal in Meisenheim.

Schon in den Sommermonaten des vorigen Jahres war ich nach Sesenheim gewandert, nach jener Stätte, wo im alten halbzerfallenen Pfarrhause jene guten Menschen gewohnt, in welchen Goethe so gern jenes reizende Familienbild verwirklicht sah, das Goldsmith in seinem „Landprediger von Wakefield“ gezeichnet hat. Ich hatte das Kirchlein betreten, in welchem der kecke Musensohn an Friederikens Seite eine etwas trockne Predigt nicht zu lang fand, die Jasminlaube, in welcher er das Märchen von der „schönen Melusine“ erzählte, die „Friederikens-Ruhe“, jenes traute Plätzchen auf einem kleinen schattenreichen Hügel, wo Goethe und Friederike den süßen Traum der jungen Liebe geträumt. Nun stand ich tief bewegt an ihrem Grabe, hier, wo die Sonne eines Menschenlebens untergegangen, dessen Hoffnungsblüthen so bald der Sturm des Lebens geknickt hat. Erst ein reicher, doch nur kurzer Liebesfrühling; aber bald scheidet der Geliebte, um glänzende Bahnen zu durchwandeln: Friederike, Du treues entsagendes Herz, das eines bessern Looses werth war, Deine Stirne haben die Dornen des Lebens wund gedrückt! Im stillen Pfarrhause zu Meisenheim, wo sie seit dem Anfange dieses Jahrhunderts lebte, fand sie in opferfreudiger Thätigkeit für Andre allmählich wieder den Frieden ihrer Seele und ein nützliches Leben. Der alte Hockenjos konnte nicht müde werden, mir zu erzählen von der „guten Tante“, wie Arme und Verlassene nie ungetröstet von ihr gegangen, wie sie an manchem Krankenbett, ein helfender Engel, gestanden.

Aus jener Zeit stammen auch drei Briefe Friederikes, da ich auf meinen Wanderungen durchs Elsaß zu erkunden vermochte, die aber zu ausschließlich uns fremde und gewöhnliche Verhältnisse berühren, als daß ihre Mittheilung hier besonderes Interesse erregen könnte. Diejenigen Briefe, welche Goethe und Friederike gewechselt, sind bekanntlich ausnahmslos verloren. Goethe selbst hat im Jahre 1786, vor seiner Abreise nach Italien, den größten Theil seiner Privatpapiere – „die alten Schalen“ – verbrannt, darunter ohne Zweifel auch die Briefe Friederikens. Von Goethe befanden sich aus Friederikens Nachlaß nicht wenige Briefe in den Händen ihrer Schwester Sophie; sie hat sie später in einem Augenblicke der Verstimmung gleichfalls den Flammen übergeben: „sie ärgerten sie“. Goethe nennt Friederikens Styl gut, natürlich, liebevoll; er rühmte ihre leichte, hübsche Hand, es waren Briefe eines jungen Mädchens, dessen Inneres zur reichsten Blüthe sich eben schien entfalten zu wollen. Die Schriftzüge der drei von mir aufgefundenen Briefe haben bei allem Schwunge eher etwas Hartes: gar manche dunkle Wolke war seitdem über Friederikens Haupt dahingezogen.

Länger schon fielen die Schatten zur Erde, als wir endlich schieden von dem Kirchhof zu Meisenheim und von Friederikens Grabe, auf dem eben junge Rosen erblühten, dem aber noch die schützende Umzäunung fehlte. Tief zogen mir durch’s Gemüth die schroffen Gegensätze, die so schneidend in Friederikens Leben gefallen waren, der Erde höchste Lust und ihr tiefstes Leid, und an unserem Geiste rauschte mir vorüber das Wort unsers großen Dichters:

„Alles geben die Götter, die Unendlichen,
Ihren Lieblingen ganz;
Alle Freuden, die unendlichen,
Alle Schmerzen, die unendlichen, ganz.“ –




Regentage im Gebirge.

Der Herbst neigt sich seinem Ende zu und bald werden die letzten Nachzügler jenes Heeres, welches Sommer auf Sommer ein sich in die waldgrünen Thäler des baierischen Gebirges ergießt, aus diesem verschwunden sein, um am warmen Ofen, bei der brodelnden Tasse Thee und bei der duftenden Cigarre immer wieder die schönen Erinnerungen durchzukosten, welche die reiche Beute des Sommerausfluges bilden und über den Frost und die Langeweile des in die Zimmer bannenden Winters hinweghelfen müssen.

Ja, es ist schön im Gebirge! Wer diese reine, frische, Mark und Muth stärkende Luft je eingeathmet hat, wer je durch die thaufrischen Thäler und Schluchten gewandert ist oder die steilen, sonnenbeschienenen, waldgeschmückten Höhen erklommen und mit trunkener Seele auf alles unter ihm Seiende geblickt hat – vergißt es nimmermehr. Und wer dächte nicht immer wieder an jene herrlichen blauen Mondnächte zurück? Wie mit Silber übergossen

stehen die Bergwände, aber über den schweigenden Thälern liegt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 702. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_702.jpg&oldid=- (Version vom 5.11.2022)