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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

auf der ersten Seite zu urtheilen, in eine ganz falsche Mappe unter Papiere, die frühere Pacht- und Kaufcontracte betrafen, gerathen war. Sie las mit der Miene größter Ueberraschung die Aufschrift und reichte den Bogen dem eben eintretenden Hasso entgegen, eben im Begriff, die Erklärung hinzuzufügen, als der ganz besondere Ausdruck seines Gesichtes ihren Gedankengang zerriß.

„Hast Du mit ihr gesprochen, hast Du ihr gesagt, daß Du sie liebst?“ fragte sie.

„Nein,“ sagte er ernsthaft. „Es ist noch nicht Zeit. Ich bin und habe noch nichts, sie hat eine glänzende Laufbahn vor sich – “

„Eine, die sie am ersten sich selber, die sie Dir entfremden kann,“ unterbrach ihn Ursula.

„Dann hat sie mich nicht so lieb, wie ich’s gemeint, wie ich sie habe,“ entgegnete Hasso und setzte dann mit einem leichten Seufzer hinzu. „Das weiß ich überhaupt noch nicht, Ursula, und auch das schließt mir die Lippe. Ich habe die Grenze noch nicht erblickt, auf der schwesterliches Empfinden sich von der Liebe der Jungfrau scheidet.“

„Du mußt sie ihr zeigen!“ bemerkte Ursula fein.

„Nicht eher, als bis ich ihr die Hand bieten kann, sie hinüberzuführen. Sie vorher fesseln, ihre Unerfahrenheit, die Unkenntniß ihres eignen Herzens zu meinen Gunsten benutzen, nimmermehr. Ach, ich denke manchmal, Liebe ist Ueberraschung und die Gewohnheit des Liebens schließt jene aus.“

„Hat Dich denn das Gefühl überrascht, warst Du denn nicht auch daran gewöhnt, sie zu lieben?“ fragte Ursula.

„Doch kam die Ueberraschung,“ entgegnete Hasso. „Als ich sie jetzt wiedersah, war die Kindergestalt in meinem Gedächtniß verwischt und Ueberraschung löschte die Gewohnheit aus.“

„Nun gut, wer sagt Dir, daß nicht auch bei ihr derselbe Wechsel stattfand?“ meinte Ursula. „Du bist zaghaft und mißtrauisch, Hasso!“

„Nein, mir ist nur ihr Glück theurer als das meine,“ versicherte er.

„Du sahst so glücklich aus, als Du eintratest,“ bemerkte Ursula.

„Ich war es auch,“ versicherte er. „Ich bin es jedesmal, wenn ich diese liebe Stimme gehört, dies holde Antlitz gesehen habe. O, wie brennend wünschte ich dann, ich hätte nicht erst Jahre der Arbeit vor mir, eine ihrer würdige Häuslichkeit zu erwerben! Ich denke nicht an Reichthum, Ursula, nur an Sicherheit des Auskommens. Mein Reichthum ist sie und schon die Vorahnung eines solchen Reichthums macht glücklich. Ja reich sein, reich, so reich, meine Seele für diesen Reichthum!“

Das Getöse der heftig in’s Schloß fallenden Thür unterbrach seine Ekstase.

„Die Tante!“ sagte Ursula.

Sie hatten alle Beide ihr Eintreten nicht bemerkt. Sie kam, von Liddy, Elly und Clemens begleitet, den Hasso und Ursula eben so wenig gleich bemerkten, als sie die bestürzten, verlegenen Mienen der Zwillingsschwestern gewahrten. Hasso war bestürzt. Er wußte nicht, waren seine Worte gehört, sein Geheimniß verrathen?

„Da bring’ ich den Clemens!“ sagte die Tante. Jetzt erst gewahrten sie diesen, der sie auf’s Unbefangenste begrüßte.

„Wir kommen wohl ungelegen und stören ein geschwisterliches tête-à-tête, bei dem die verborgensten Gedanken zu Tage kommen. Weißt Du in Deinem Alter nichts Besseres zu wünschen als Reichthtum?“ fügte sie in geringschätzendem Tone hinzu.

Hasso warf der Schwester einen Blick zu, der ihr die Erklärung von den Lippen abschnitt, so deutlich sagte er: Gottlob, sie weiß nicht, wovon die Rede ist. Der Tante erwiderte er:

„Es giebt mancherlei Reichthtum, Tante. Er ist nicht immer blos nach Gold zu rechnen.“

„O nein, auch nach liegenden Gründen, Gülzenow zum Beispiel,“ entgegnete sie.

„Ja wohl; aber an Gülzenow hatte ich in dem Augenblick nur bedingungsweise gedacht,“ sagte er harmlos.

Ursula verstand besser der Tante Empfinden und die Auslegung, die sie Hasso’s Ausruf gegeben.

„Man weiß doch, wovon Ihr sprecht, wenn Ihr allein seid,“ fuhr Rosine fort’, „Hasso hat bisher noch nie mit einer Miene verrathen, daß er sich Reichthum wünscht.“

„Ich wünsche ihn mir auch nicht,“ sagte Hasso ruhig.

„Tante,“ sagte Clemens in harmlosem Tone, „was ist Schlimmes an dem Wunsch? Ich wünsche mir täglich Reichthum –“

„Ja Du, Du aufrichtige Seele!“ sagte die Tante mit der eigentümlichen Betonung, die Lob für den Einen und Tadel für den Anderen in dieselben Worte legt.

Eine kleine Pause der Verlegenheit folgte. Ursula hielt noch immer das Document in den Händen. Sie hatte es Hasso geben wollen, aber nun sie nicht mehr allein mit ihm war, ging das nicht und sie schob es sacht unter ein Pack anderer Papiere.

Tante Rosinens unruhig umherschweifender Blick bemerkte die Bewegung.

„Was versteckst Du da?“ fragte sie heftig. Eine leichte Röthe überflog Ursula’s Gesicht. „Nichts, Tante,“ entgegnete sie, „es ist ein Document, das nicht die mindeste Bedeutung hat.“

„Ich werde es aber doch wohl sehen dürfen, gieb es her!“ fuhr Rosine gereizt fort.

Ursula gehorchte. Die Tante riß ihr das Blatt mehr aus den Händen, als daß sie es entgegennahm.

„Was ist das?“ sagte sie, es betrachtend und las dann. „Entwurf zu meinem Testament.“ „Wessen Testament?“ rief sie hastig aus und blickte nach der Unterschrift. „Joachim Hasso, Freiherr von Fuchs,“ las sie. „Der Großvater,“ setzte sie murmelnd hinzu. „Ihr Beide wißt natürlich, was darin steht?“ fragte sie Hasso und Ursula, wartete aber des Ersteren verneinende, der Letzteren bejahende Antwort nicht erst ab, sondern vertiefte sich auf’s Neue in die Betrachtung des vergilbten Bogens. Ihre Augen hafteten starr auf den Zeilen, dann schlug sie die Blätter zurück und begann ihn von Anfang an zu lesen, während die Anderen sie in unbeschreiblicher Spannung beobachteten.

„Ein Testamentsentwurf meines Großvaters,“ sagte sie endlich, den Bogen wieder zusammenfaltend und Hasso und Ursula mit feindlichen Blicken messend. Sie sprach langsam, aber ihre Lippen zuckten und auf ihrer Stirn zeigten sich die rothen Flecken, die bei jeder Gemüthsbewegung aufzusteigen pflegten, in erhöhtem Maße. „Ein Testamentsentwurf meines Großvaters, zwei Tage vor seinem Tode geschrieben. Den darin enthaltenen Bestimmungen gemäß ist die weibliche Linie vom Besitz des Gutes, aus welchem mein Großvater ein Lehen gebildet wissen wollte, ausgeschlossen, mein Vater hatte also nach ihm kein Recht, Gülzenow zu verkaufen, sondern es kam nach seinem Tode an Dich, Hasso. Da nimm und sieh, was Du gegen mich ausrichten kannst.“ Sie hielt ihm das Document hin.

„Nichts, Tante,“ erklärte Hasso ruhig; „das Blatt hat nicht die mindeste gesetzliche Kraft. Es ist nur ein Testamentsentwurf, kein Testament.“

„Aber,“ fuhr Rosine in immer größerer Erregung fort, „von meines Vaters Hand und von seinem Todestage datirt, an dem ich leider fern war, steht darunter geschrieben –“ sie hielt Hasso das Blatt vor die Augen, er las, was Ursula schon vorher gelesen, und was sie hauptsächlich bewogen hatte, das Blatt vor Tante Rosinens Augen zu verbergen: „Zu spät. Am Ende meines Lebens fühle ich mich zu schwach, noch selbst den Wünschen meines Vaters nachzukommen. Dir ein Erbtheil zu hinterlassen, bin ich nicht berechtigt, Rosine; Du müßtest denn als solches die Pflicht ansehen, Deines Vaters Versäumniß nachzuholen und Deines Großvaters Wünsche zu erfüllen.“

„Das heißt,“ sagte Rosine, als Hasso schwieg, „das heißt: opfere Dein Eigentumsrecht und mache Hasso zum Herrn von Gülzenow. Heißt’s nicht so? Verstehst Du’s anders?“

„Nein, Tante,“ antwortete Hasso, „es heißt so und Deines Vaters Meinung ist nicht mißzuverstehen. Dein Recht ist aber eben so klar als sein Wunsch. Wenn ich mich auf Seiten Deines Rechts stelle, was willst Du thun? Du kannst mich nicht zwingen, von Deiner Pietät Nutzen zu ziehen, und wenn Du geben willst, es wird Keiner da sein, zu nehmen.“

Rosine sah ihn überrascht an, dann überflog ihr Blick die Umstehenden. In den Augen der Schwestern glänzte die warme Mitempfindung für den Entschluß des Bruders, um Clemens’ Lippen spielte ein eigentümliches Lächeln und ein rascher Blick streifte die Tante, der zu sagen schien: ,Läßt Du Dich wirklich düpiren?’ Ihr Gesicht verfinsterte sich wieder. „Darüber wird Dein Vormund entscheiden!“ sagte sie barsch.

„In wenigen Wochen bin ich mündig,“ entgegnete Hasso und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 708. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_708.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)