Seite:Die Gartenlaube (1869) 721.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


„Dej mi hubiczku,“ sagte sie erröthend und mit abgewendetem Antlitz.

Da faßte ich heiß ihre Hand, führte sie an mein Herz und flehte noch einmal: „Heská holka, já tebe mamrád, dej mi hubiczku!“

Und mit verschämten Wangen mich schelmisch anschauend und leise den Kopf schüttelnd, lispelte sie: „Nerozumi“ (ich verstehe nicht).

Aber als ich sie trüb anschante und ihre Hand fallen ließ, da sprang sie auf, umfing mich heiß, und innig preßten sich ihre würzigen Lippen auf die meinigen. „Du böser Mensch!“ hörte ich noch, und verschwunden war sie wie ein schöner Traum, den man vergeblich zurückwünscht. Aber mit tiefen, unvergeßlichen Schriftzügen sind meinem Herzen für immer jene Worte, mein erstes Böhmisch, eingegraben: „Heská holka, já tebe mamrád, dej mi hubiczku“.

Es war dies mein süßestes Abenteuer in Feindesland. Unser nächstes Quartier sollte das Städtchen A. sein.

In der Nähe desselben angekommen, befahl mir der General, auf einem Einspänner, den ich in einem benachbarten Gehöfte aufgetrieben, vorauszueilen und für den Stab und die in den Ort selbst kommenden Truppen Quartier zu machen. Als ich in das Städtchen einfuhr, hatte ich den schon lange ungewohnten Anblick zahlreicher Menschen auf der Straße, wurde auch durch die festlichen Kleider derselben daran erinnert, daß Sonntag sei, woran ich noch gar nicht gedacht hatte. Der Gottesdienst war gerade zu Ende. Wie manches Gebet um Abwendung der drohenden Kriegsgefahr mag von den zahlreichen Andächtigen, welche der Kirche entströmten, zum Himmel emporgesandt worden sein! Um so größer war der Schreck beim Anblick der feindlichen Ankömmlinge.

In dem am Ring gelegenen Rathhaus fand ich den Bürgermeister, einen würdigen alten Herrn, welcher schon bei Leipzig als österreichischer Officier gefochten hatte. Er, welcher damals die Preußen als Alliirte kennen gelernt hatte, wußte, daß sie nicht die undisciplinirte Horde waren, als welche sie verschrieen wurden, und daß die über sie verbreiteten Gerüchte auf Unwahrheit oder Uebertreibung beruhen mußten. Er wußte aber auch aus eigener Erfahrung, daß der Krieg ein roh gewaltsam Handwerk ist und daß feindlichen Truppen gegenüber die größte Zuvorkommenheit zugleich die größte Klugheit ist. Das Geschäft der Einquartierung war daher schnell abgemacht. Ich erhielt eine Anweisung für den ganzen Stab auf den am Ring, in der Nähe des Rathhauses, gelegenen Gasthof zum goldenen Löwen, und machte mich, während der Bürgermeister die Einquartierung der angekündigten Truppen vorbereitete, wieder auf den Weg, um meinem Commandeur Bericht zu erstatten. Als ich am goldenen Löwen vorbeikam, sah ich an einem Fenster ein hübsches Mädchen, welches aber sogleich verschwand, als es bemerkte, meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen zu haben.

Nachdem der General die durch und in den Ort rückenden Truppen hatte bei sich vorübermarschiren lassen, begab er sich nach seinem Quartier, von dem ich ihm mitgetheilt hatte, daß es, nach den Aussagen des Bürgermeisters und auch dem äußeren Ansehen nach, zu den besten Erwartungen berechtige. Hier wurde er aber von dem Wirth in zwar sehr devoter Haltung, doch mit der deutlich erkennbaren Absicht des größtmöglichen passiven Widerstandes empfangen, so daß er, hierdurch unangenehm berührt, nach kurzer kalter Begrüßung sich sofort auf die ihm bestimmten Zimmer zurückzog. Freund Sell in Düsseldorf hat diese Scene später zu einem vortrefflichen Bilde benützt. Ich hatte während dessen aber bemerkt, daß hinter der halboffnen Thür verstohlen zwei junge Mädchen, deren eine ich schon vorhin am Fenster gesehen hatte, lauschten. Wenn sie auch sehr ängstlich schienen, so war die weibliche Neugier, die fremden Soldaten, welche die ihres Kaisers besiegt hatten, zu betrachten, doch größer als die Furcht vor denselben. Natürlich zogen die schmucken Begleiter des Generals ihre Augen am meisten auf sich, und da auch dieses mir nicht entging, so stützte ich hierauf die Hoffnung, daß sich, ungeachtet des schlechten Empfanges seitens des Wirths, hier doch noch ein gutes Einvernehmen anbahnen würde. –

Der Nachmittag verging zum größten Theil unter dienstlichen Geschäften. Als ich gegen Abend in die Gaststube kam, fand ich hier die beiden jungen Mädchen und versuchte mit denselben eine Unterhaltung anzuknüpfen. Anfangs ohne den gewünschten Erfolg. Ich fand einen heftigen patriotischen Haß gegen alles Preußische. Besonders bei der braunäugigen Antonie, der Nichte des Wirthes, einer geborenen Wienerin; weniger bei der blauäugigen Marie, der Tochter des Wirthes. Aber gerade dies reizte mich; die Erinnerung an meine schöne Böhmin von gestern hätte mich sonst hier kalt gelassen. Es gelang mir denn auch wirklich, nach und nach die Zurückhaltung der Mädchen zu besiegen. und als ich mich endlich als ein gewandter Spieler auf dem vorhandenen Clavier erwies, wurden sie zutraulicher und ich konnte mit meiner „schönen Feindin“, Antonie, wenn auch noch nicht Frieden, so doch wenigstens einen vorläufigen Waffenstillstand schließen.

Auch der Wirth kam herzu und legte allmählich sein verschlossenes mißtrauisches Wesen ab. Hierzu mag wohl die gute Mannszucht der Truppen, und daß sie nur das zum Leben Nothwendige verlangten, nicht wenig beigetragen haben. Als sich später der General mit den anderen Officieren seines Stabes ebenfalls dort einfand, fand er die ganze Familie vollständig umgewandelt. Der Wirth war die Zuvorkommenheit selbst und suchte auf jede mögliche Weise den schlechten Eindruck seines ersten Empfanges zu verwischen. – Da im „Goldenen Löwen“ die angesehensten Bürger des Städtchens den Abend zuzubringen pflegten, so fanden sie sich mit den bei ihnen einquartierten Officieren zur gewohnten Stunde ein. Je mehr man unter einander bekannt wurde, desto mehr entwickelte sich ein angenehmer Verkehr, und Alles verlebte einen heitern geselligen Abend. –

Zu böhmischen Studien fand sich hier freilich weder Zeit noch Gelegenheit, denn schon am nächsten Morgen wirbelte die Trommel wieder zum Aufbruch, wohl aber nahm man überall als gute Freunde Abschied und sprach von beiden Seiten die Hoffnung aus, sich bald unter friedlichen Verhältnissen wiederzusehen. Daß der Abschied im „Goldenen Löwen“ nicht minder herzlich war, ist selbstverständlich. Ich hätte mich auch gerne von den Damen verabschiedet. Dieselben waren aber leider noch nicht sichtbar. Als ich bereits meinen Säbel gezogen hatte und im Begriff, in die Linie einzutreten, noch einmal meine Augen an dem Hause entlang wandern ließ, erschien jedoch an einem der obern Fenster ein blühendes Antlitz, erwiderte erröthend meinen Gruß und verschwand ebenso schnell wieder. –

Ob ein Wiedersehen irgend welcher Art stattgefunden hat, können wir heute noch nicht verrathen. Vielleicht erzähle ich später einmal Etwas davon.




Blätter und Blüthen.

Aennchen von Tharau und Simon Dach. Wohl jeder Deutsche kennt Simon Dach’s Volkslied „Aennchen von Tharau“, wenigstens in der Herder’schen Uebersetzung desselben in’s Hochdeutsche; aber nicht Allen dürfte die Entstehung des Gedichts und das Verhältniß Dach’s zu Aennchen bekannt sein. Fast allgemein verbreitet ist die Ansicht, daß Simon Dach Aennchen geliebt und ihr, obgleich seine Liebe nicht erwidert wurde, dieses Gedicht gewidmet habe. In ähnlicher Weise faßt auch Wilibald Alexis (Dr. Häring) in seinem Lustspiel „Aennchen von Tharau“ das Verhältniß Dach’s zu Aennchen auf. Er führt uns in demselben Aennchen als ein liebenswürdiges Edelfräulein vor, während er Dach als einen pedantischen, fast kindischen Professor der Poesie schildert, mit dem Aennchen ihr loses Spiel treibt. Eine andere Ansicht über das Verhältniß Dach’s zu Aennchen ist diese, daß Aennchen Dach’s Liebe zwar erwidert, jedoch von ihren Verwandten gezwungen worden sei, mit Dach, der damals kärglich besoldeter Lehrer an der Domschule in Königsberg war, zu brechen.

Beide Ansichten sind irrig. Dach hat in keinem intimen Verhältniß zu Aennchen gestanden, und das betreffende Gedicht ist weiter nichts als ein Carmen, welches Dach zur Hochzeitfeier Aennchens mit seinem Freunde Partatius dichtete. Den Beweis dafür enthält die Kirchenchronik des bei Königsberg i. Pr. gelegenen Ortes Tharau. In derselben heißt es: „Andreas Neander, Pfarrer in Tharau, ist Anno 1630 gestorben. Dieser hatt von seiner Ehegattin, die eine Sperberin von Gebuhrt gewesen, nebst einem Sohne, eine einzige von gestalt angenehme Tochter nahmens Annam hinterlassen, welche die Anke von Tharau ist, von der das bekanndte Liedt oder Aria (Anke von Tharau ös, de my geföllt) herrühret, so in Alberti Arien gedruckt zu finden

ist, undt von dem berühmten Preußischen Poeten Simon Dach, welcher

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 721. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_721.jpg&oldid=- (Version vom 13.11.2022)