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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

No. 46.   1869.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich bis 2 Bogen.0 Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Die Gasselbuben.
Geschichte aus den bairischen Vorbergen.
Von Herman Schmid.


1.0 Unter den Linden.

Wo der Ausfluß des Tegernsees, die grüne Mangfall, plötzlich mit starker Krümmung von ihrem Rinnsale zwischen den Vorbergen abweichend, sich durch das Gestein Bahn gebrochen hat, um in der lieblichen breitgedehnten Thalmulde von Aibling ihr klares Gewässer dem Innstrome entgegenzutragen, rollte vor Jahren – lange, eh’ der Dampf sich die Eisenstraße gebahnt hatte – auf dem weißen, gemächlich über die Höhen des Haunbolds absinkenden Sträßchen ein bäurisches Fuhrwerk lustig in den herrlichen Maimorgen hinein. Die zwei stattlichen, vor dasselbe gespannten Rothschimmel mit ihrem einfachen, aber zierlichen und spiegelblanken Geschirr zeigten, daß der Besitzer zu den wohlhabendsten Bewohnern der Gegend gehören mußte; noch mehr war dies der Fall bei dem fein angestrichenen und bequem gepolsterten Wägelchen, das, nach Schweizerart gebaut, ein fast städtisches Ansehn hatte.

Eben ging die Straße etwas abschüssiger zu Thal; der den Wagen führte, war daher von seinem Vordersitz abgestiegen und hatte die Sperrkette in’s Rad eingehängt; dennoch hielt er das Gespann noch eine Weile an und schaute in die morgenbeleuchtete Landschaft hinaus.

Weithin dehnte sich die Ebene, bis an die morgenduftigen Berge hin, ein weites in grünen Hügelwellen gartenartig ausgebreitetes Land, von dunklen Waldflächen schattirt und mit ragenden Kirchthürmen, blinkenden Schloßzinnen und weiß schimmernden Ortschaften wie mit Lichtpunkten bestreut; zwischen den Saatfeldern leuchteten, in vollster Blüthe befindlich, zahllose Obsthaine wie blumenüberschüttete Beete hervor und als Einfassung wanden sich in den anmuthigsten Linien Raine und Höhen mit grünen Gebüschen und reichen, markigen Eichenkronen wie lebende Kränze darein, nur stellenweise blitzte zu angenehmer Unterbrechung das blanke Kiesgeröll aus dem Rinnsal der Mangfall empor oder das kräftige Rothbraun der Haidestrecken und Dorfmoore verrieth, daß das ganze weite Land einst Seegrund gewesen, über dem die Wogen eines Urmeeres gebrandet. In duftiger Ferne streckten sich die Berge nach drei Seiten aus, wie der Gürtel um ein schön gefaltetes Gewand, oder wie Liebesarme, die sich ausbreiten, das Land schützend zu halten und an die Brust zu drücken. Während nach Osten hin sich der Höhenzug an der Glonn entlang mit den Schlössern von Maxlrain und Aibling verlor, stiegen westlich über den waldigen Vorbergen die Gebirge immer höher hinan, über die Stufen des Irschenbergs hinaus bis zum Jägerkamp und Brecherspitz, wo der Schliersee in grüner Tiefe schläft, bis zum Miesing und dunkelschattigen Breitenstein. Von drüben aber drängten der sagendämmernde Untersberg und der Staufen heran, die Götterer-Wand stürzte ab und die Kampenwand erhob das dräuende Haupt, und die Riesen schoben den gewaltigen Rücken vor, bis zu den phantastischen Zacken des Kranzhorns, gegenüber war die hohe Madron gelagert und zwischen beiden leuchtete das Thor, das sich der Inn gebrochen, und das sie gleich zwei steinernen Wächtern hüten, während darüber der Wildkaiser seine gewaltigen Felswände aufrichtet, als ob er dem Flüchtling nachblicken wolle, der, aus den Engen Tirols befreit, sich brausend hinausstürzt in die Ebene. In der Mitte des ganzen Bildes erhob der Wendelstein, zu beiden Seiten von den Berghäuptern wie ein Herrscher von den Vasallen umdrängt, die majestätische Felsenstirn, an der im Rothgold der eben aufgegangenen Sonne ein lichtes Wölkchen wie ein königliches Stirnband flatterte.

Es war wohl begreiflich, wenn der Blick des Burschen an dieser Umschau verweilend haften blieb; auch ließ sein offenes Antlitz erkennen, daß ihm weder das Auge fehlte, die Schönheit zu gewahren, noch das Herz, sie zu fühlen. Er war groß und schlank gewachsen, und in die bäuerliche Festtracht der Landleute gekleidet, wie sie in den anstoßenden Thälern jenseits der Berge noch heimisch ist, während sie im Vorlande durch den steten Verkehr mit städtischen Elementen sich längst verloren und einem Gemenge Platz gemacht hat, das nicht städtisch ist und auch jeder ländlichen Eigenart entbehrt. Auf seinem braunen Kraushaar saß der grüne Spitzhut mit goldener Troddel, Gemsbart und Hahnenfeder, wie ihn die Bursche an der Schlierach tragen, tief hinein in die Engen von Zell und heraus in die Berghalden und Obsthügel von Au. Die kurze graue Joppe mit grünem Saumvorstoß legte sich kragenlos auf das weiße vom grünen Hosenträger gekreuzte und von dem breiten Ledergürtel umfaßte Hemd; leicht hing die schwarze Hose von Gemsleder um das wettergebräunte sehnige Knie; zierlich gemusterte Wadenstrümpfe und tüchtige, fast etwas ungeschlachte Bergschuhe vollendeten den Anzug, der, allen Anforderungen für leichte Bewegung bei der Wanderung und Arbeit in den Bergen entsprechend, damit den Vorzug eines gefälligen Anblicks verband, indem er die natürlichen Körperformen in ihrer ungehemmten Entwicklung zeigte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 723. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_723.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)