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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Das Erklettern der steilen Granitwand erschien aber zu schwierig, das Wetter zu ungünstig und die Tageszeit zu weit vorgerückt, um noch eine genauere Untersuchung vornehmen zu können. Vierzehn Tage später machten sich die beiden Sulzer allein auf den Weg den Fundort zu erspähen, und es gelang dem verwegenen Sohne Andreas zu den erwähnten Löchern am Quarzbande emporzuklettern. Er untersuchte die Löcher, welche in eine dunkle Höhle zu führen schienen, mit seinem Hakenstock, und es gelang ihm neben feinem Sand einige Stücke schwarzen Bergkrystalls herauszuziehen. Schlechtes Wetter und die Gefahr der Stellung hinderten die Sache damals weiter zu verfolgen.

Erst im folgenden Jahre, im August 1868, wurde das Unternehmen wieder aufgegriffen. Da gelang es zuerst Andreas Sulzer, Johann von Weißenfluh, Lehrer Ott und Kaspar Bürki aus Guttanen, ein erstes größeres Stück von fünfzehn Pfund aus einem Loch herauszustöbern. Bald kam neue Mannschaft aus Guttanen und man ging nun daran, ein benachbartes Rundloch von acht bis neun Zoll Durchmesser durch Sprengung zu erweitern. Welche gefahrvolle Arbeit es war, auf schmalem Granitgesimse, hoch über dem Abgrund, mit Schlägel und Sprengzeug zu hantiren, das beweist Lindt’s Schilderung des Besuches der Höhle, welche im Jahrbuch des schweizerischen Alpenclubs abgedruckt ist. Derselbe rechnet vier Stunden von der Furka zur Höhle und fährt dann fort: „Am Fuße der Felswand bildet der Gletscher eine fünfzehn bis zwanzig Fuß hohe Gwächte (steiler Schneehaufen), von der man an den Felsen hinuntersteigt, um dann schräg der Wand entlang auf wenige Zoll breiten Vorsprüngen und Ecken zur Höhle zu gelangen. Die Erklimmung ist aber keine leichte Sache, denn nur wenige der besten und kühnsten Steiger wagen es ohne Hülfe hinaufzukommen. Zwei Stellen namentlich erfordern viel Sicherheit und Gewandtheit im Klettern; der erste böse Tritt ist eine senkrechte Granitplatte ohne alle Unebenheiten und so hoch, daß ein Mann von mittlerer Größe mit ausgestreckten Armen nur eben die Finger am obern Rande anhängen kann, mittelst welchen Griffes man sich hinaufziehen muß.“

Ausbeutung der Krystallhöhle am Tiefengletscher, Canton Uri,
im August 1868.

Da Lindt das erforderliche Maß nicht hatte, so mußte er sich am Seil hinaufziehen lassen; von unten kann nicht nachgeholfen werden, weil die Felskante für zwei Mann zu schmal ist. Weiter oben hat man sich um einen vorspringenden rundlichen Granitkopf herumzuschwingen und braucht dazu Sehnen und Muskeln aus Stahl, Glieder, die sich blutegelartig ansaugen und anklammern können. Für ordinäre Sterbliche wird ein Seil hinter dem Felskopf durchgezogen und dasselbe um die Faust gewickelt, damit der Körper sich schwebend erhalte. Ein zweites Seil wird um den Leib befestigt und von dem jenseits stehenden Führer angezogen, sodann folgt eine gewaltige Anstrengung der Arme und Beine und man ist am Ziel. Bei Lindt’s Besuch war die Witterung sehr ungünstig, die Felsen mit Eiszapfen befranzt, der fortwährend fallende Schnee verwandelte sich in eine breiige Masse, die Wände trieften von eisiger Nässe, dazu brauste von Zeit zu Zeit ein Windstoß (Gux) die Schneefelder herauf und jagte in weitem Schwung den Firnstaub um die Häupter, so daß die Führer bedenklich wurden.

Noch schlimmer war es den Entdeckern der Höhle ergangen. Sturmesgeheul war eine lange, lange Nacht hindurch das Schlachtlied der verwegenen Gesellen, welche die Windstöße zuweilen von dem Felsen in den Gletscher hinab zu fegen drohten. Hagel und Regen machten die leichtbekleideten Glieder erstarren; zähneklappernd schmiegten sich die „Strahler“, an Rettung fast verzweifelnd, so eng als möglich aneinander, jeder wärmenden Bewegung beraubt, ohne belebendes Getränke und hinreichende Nahrung. So brachten die abgehärteten Männer die sturmdurchtobte Nacht auf kleinen Vorsprüngen vor dem Loche zu, unter ihnen der Abgrund, über ihnen die gellende Fluh. Halb erstarrt und bis auf die Haut durchnäßt, begannen sie mit Tagesgrauen ihre Arbeit auf’s Neue, und es gelang mit einem dritten Sprengschuß die Oeffnung genügend zu erweitern, um den erstaunten Blicken eine weit in’s Innere des Felsens gehende Höhle bloßzulegen.

Dieselbe war bis zu einem Fuß von der Decke von einer Schuttmasse angefüllt, welche aus Quarz- und Granitstücken sowie Chloritsand bestand. In einiger Tiefe erschienen einzelne in dem Schutte eingebettete rabenschwarze Krystallflächen, und nun war der Schatz gefunden! Da lagen abgelöst von der Felswand, an der sie gewachsen, tausend prachtvolle kohlschwarze Krystalle oder Moreonen, darunter auch einige hellere Stücke oder Rauhtopase im Gesammtgewicht von gegen dreihundert Centnern. Nur ein kleinerer, faustgroßer Krystall hing noch am Felsen. Klumpen von kleineren Krystallen oder Drusen fanden sich nicht vor, sondern meist Stücke von mehreren Pfunden bis zu mehreren Centnern, gegen fünfzig ein- bis zweicentnerige Stücke, fünfzehn bis zwanzig von über zwei Centnern und zwei von über drei Centnern. Neben wohlerhaltenen prachtvollen Cabinetstücken fand sich auch mehr oder weniger beschädigte, zerbrochene oder mangelhaft entwickelte Schleifwaare.

Nachdem die ersten Entdecker gegen zwanzig Centner geborgen, brach die ganze wehrhafte Mannschaft von Guttanen, gegen siebenzig Mann, mit Hämmern, Picken, Schaufeln, Seilen und Tragkörben auf, um den Schatz zu heben. Und so wurde Anfang September in Zeit von acht Tagen die ganze Höhle geräumt, die kleineren Krystalle auf den Gletscher geworfen, die schöneren und größeren theilweise in Säcke verpackt, am Seil heruntergelassen, und zur Vorsicht durch ein sogenanntes Widerseil von der Wand weg auf den Gletscher gezogen. Von da wurden die Krystalle in Tragkörben, die größeren auf Schlitten auf die Furkastraße und sodann zu Wagen nach Oberwald im Canton Wallis gebracht, gegen fünfzehn Centner aber auf dem Rücken über die Gletscher nach der Grimsel getragen. Die Nachricht, daß der Canton Uri sein Territorialrecht zur Geltung bringen wolle, beschleunigte die Wegschaffung, so daß die Bergung des Fundes zum Nachtheil vieler Stücke in fieberhafter Hast betrieben wurde. So dauerte der Transport eine Woche lang Tag und Nacht, während deren

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 734. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_734.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2022)