Seite:Die Gartenlaube (1869) 768.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


Wie mächtig ihr Bildungstrieb war, geht auch daraus hervor, daß sie noch im vierzigsten Jahre Englisch lernte und in ihrem siebenzigsten einen französischen Sprachlehrer hielt, um eine in Vergessenheit gerathene Sprache wieder aufzufrischen. Dabei war sie eine aufrichtige Patriotin, wie sie mit großer Kühnheit in Hamburg selbst dem Marschall Davoust bewies, und daß sie sich gern und eifrig als warme Vertheidigerin des Royalismus sprechen hörte, ist begreiflich und nur ein dankbarer Zug ihres Herzens; sie hat ihr ganzes Leben lang von Kaiser und König nur Huldigungen empfangen.

Bei allem Ernst der Kunst aber, bei allem Eifer und Studium war und blieb sie Weib genug, um ihr leicht bewegtes Herz nicht jenen Leidenschaften zu verschließen, welche von je dem weltfüllenden Genius als verhängnißvolle Begleiter fluch- und segenreich mitgegeben sind. Den Fuß auf Wolken zu setzen, ist hienieden versagt; die glühende, unbefriedigte Seele jagt nach Ersatz und sucht ihn in Verhältnissen, die ihn oft nicht gewähren. Sophie Schröder war nicht immer glücklich: sie war dreimal verheirathet und zweimal wurde das Band der Ehe wieder freiwillig gelöst; vielleicht war auch sie von Schuld nicht frei – doch wer wird auf die schöpferischen, mit dem Prometheusfunken begnadigten Genien der Menschheit einen Stein werfen, wenn sie mächtiger, heißer, voller fühlen und begehren, als wir Anderen? Die Künstlerin selbst ruft auf einem Papierstreifen, der sich in ihrem geringen Nachlaß gefunden: „Wir sollen Euch die ganze Wahrheit auf der Bühne darstellen, was scheltet Ihr uns, wenn wir sie selbst empfinden?“ Diese Worte sind der rührende Aufschrei eines leidenschaftlichen Herzens, das die Anklage der Welt gegen sich gerichtet und für seine Verirrungen nur die Größe des eigenen Talents schuldig zu sprechen weiß.

Es sind wenige Tage, daß auf dem neuen südlichen Kirchhof zu München über der Grabstätte Sophie Schröder’s die Marmorbüste der vor nun bald zwei Jahren Dahingeschiedenen aufgestellt wurde. Die erste Anregung hierzu war vom Intendanten des Münchener Hoftheaters, Baron von Perfall, ausgegangen, und seiner Aufforderung hatten die Hof-Intendanzen und dramatischen Künstler Deutschlands in einer nur sie selbst ehrenden Weise entsprochen.

Professor Zumbusch wurde mit der Ausführung des Monumentes betraut, und gerade für Sophie Schröder, die Trägerin und Priesterin des classischen Idealismus, hätte kein tüchtigerer Bildner gefunden werden können, als eben er, dessen ideale, schönheitdurchwehte Gestalten ihren Schöpfer rasch berühmt gemacht haben. Aus seinem Atelier, in dessen hohen Räumen eben die gewaltigen Figuren zum Münchener Königsdenkmal voll stolzer Schönheit aufgebaut werden, ging denn auch die Büste der gefeierten Tragödin in einer Weise hervor, deren classische Einfachheit im Entwurf ebenso sehr die Bewunderung erregt, als die vollendet schöne und naturtreue Ausführung.

Daß Zumbusch das Modell zu der dem Friedhof zur schönsten Zierde gereichenden Büste unentgeltlich gefertigt, ist ein Act echt künstlerischer Pietät gegen die Verstorbene.

Die Kolossalbüste ist aus weißem carrarischen Marmor gefertigt und trägt unter der Brust den Namen „Sophie Schröder“. Im oberen Theile des aus gelbrothem Marmor hergestellten Postaments ist in Lapidarschrift zu lesen: „Geboren am 1. März 1781 zu Paderborn; gestorben am 25. Februar 1868 in München.“ Darunter befinden sich aus Erz gegossen die Embleme der tragischen Muse. Auf dem unteren Theile des auf einem Würfel von schwarzem Granit ruhenden Postaments aber stehen die Worte: „Dem Andenken der großen Tragödin von ihren deutschen Kunstgenossen.“




Eine Mord-Weihnacht.

Weihnachten naht, das schönste christliche Fest, das Fest der Liebe und der Freude, des Wohlthuns und der Barmherzigkeit. Es naht mit seinem flittergeschmückten Tannenbaum und den strahlenden Kerzen, und wo sein Glanz hinfällt, zeigt er lachende, fröhliche, glückliche Gesichter. Draußen wirbeln die Flocken durch die Straßen, die einsam und verlassen seit dem Einbrechen des Abends daliegen und sich erst dann mit gedrängten Schaaren Andächtiger beleben, wenn durch die Stille der Mitternacht das weithin hallende Geläute der Glocken zur Christmette in die lichtschimmernden Kirchen ruft.

Das ist ein schöner Brauch in Süddeutschland und namentlich in dem katholischen München. Die vollen Töne der Orgel und triumphirende Chorgesänge brausen hernieder in das Schiff der Kirche, das dicht von Betenden erfüllt ist; das Licht von Hunderten kleiner Wachskerzen bricht nur ungewiß durch den hohen, nachtbedeckten Raum, und von dem glanzumgebenen Hochaltar spricht der Priester den Segen. Die gläubigen Münchener lassen sich diesen nicht gern entgehen und üben alljährlich die fromme Pflicht. Sie wissen aber auch von einer Weihnacht, die mit Blut und Todtschlag an ihrer alten Stadt vorübergezogen ist, und wenn heute noch jedes Kind davon zu erzählen weiß, so ist es, weil sie sich gern der damals von den Söhnen ihrer Berge bewährten opfermuthigen Treue gegen Fürst und Vaterland rühmen.

Es war für die Baiern ein trauriges Fest, die Weihnacht vom Jahre 1705, in welchem der Tod blutige Ernte hielt, und mit kurzer flüchtiger Skizze mag hier geschildert werden, wie in so heiliger Zeit so großes Elend über das Land gekommen.

Die weite, freie, sandige Hochebene, auf welcher München liegt, verengert sich südlich zum grünen, waldigen Isarthale, bei Tölz die Region der baierischen Hochalpen betretend. Der in diesen hausende Oberländer unterscheidet sich von den Bewohnern der Ebene gerade so, wie die Hochlands-Clane von den schottischen Niederländern. Treu und fest hängen sie zäh am Alten, sind starr, gleich den Granitblöcken ihrer Heimath. Wenn sie zur Hauptstadt niedersteigen aus ihren grünen Bergen, will es ihnen dort nicht recht gefallen. Die armen Gebirgsbauern sind an ein Gut gewöhnt, das kein Reichthum in das Gewühl der Städte zu zaubern vermag: die reine, frische Luft ihrer Höhen! Sie peitscht ihnen das Blut munter durch die Adern und verleiht ihnen den hitzigen, kampfbereiten Muth.

Eine große Idee begeistert diese Menschen, treibt sie unaufhaltsam vorwärts. Auch die Bauern in den von der Isar durchströmten baierischen Gebirgsgauen hatten eine solche herausgegriffen unter den mannigfachen Gründen des Aufstandes, dessen Fahne sie im Jahre 1705 erhoben. „Die Kinder erretten!“ war ihr treuherziges Feldgeschrei.

Das war, nachdem der Kurfürst Maximilian Emanuel im Türkenkriege viel für Oesterreich gethan hatte; er sah sich schlecht gelohnt, und da die offene spanische Erbschaft ihn vollständig mit dem Hause Habsburg entzweite, schloß er ein Bündniß mit Ludwig dem Vierzehnten. Prinz Eugen’s und Marlborough’s Sieg bei Hochstädt (13. August 1704) legte Baiern dem Feinde bloß. Der Kurfürst zog sich in seine Statthalterschaft der Niederlande zurück, seiner Gemahlin Therese Sobieska die Regierung übertragend. Entschloß sich die Tochter des tapferen Polenkönigs, die zahlreichen Elemente der Volkswehr aufzubieten, dann war noch Rettung möglich, aber der Jesuit Schmacker, ihr alles vermögender Rathgeber, zog vor, die bethörte Frau nach Venedig zu locken. Große österreichische Corps rückten nun an, die Sieger wollten das Land zerstückeln, alle Gräuel des Krieges, unerschwingliche Lasten drückten den Bürger und insbesondere den Bauer; dazu gesellte sich noch eine bedeutende Recruten-Aushebung, bei der man Nachts die junge Mannschaft gebunden aus den Betten holte. Das Maß des Ertragens für ein wehrhaftes Volk war vollgerüttelt. „Lieber baierisch sterben, als kaiserlich verderben!“ so scholl es zuerst vom Nordgau aus. „Brüder, es muß sein!“

Gleich einer Lawine schwoll die Volksbewegung an, die Unterländer waren der Kopf derselben, die Oberländer aber das feurige Herz. In Tölz kamen sie zusammen zu tagen und die gewaltsame Hinwegführung der kurfürstlichen Kinder zu verhindern und dort wurde sogleich der Zug nach München beschlossen. Umsonst mahnten einige Vorsichtige ab, mit allzu geringen Mitteln, ohne die nöthige Kundschaft und Vereinigung mit den unterländer Insurgenten das Wagniß zu begehen. Die heißköpfigen Gebirgsbauern wollten von keinem Aufschube wissen. Der Jägerwirth aus der Hauptstadt, ein geborener Tölzer, versicherte

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 768. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_768.jpg&oldid=- (Version vom 5.12.2022)