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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


seine Kühnheit und sein Muth sind so unbeugsam wie sein Wille. Ein solcher Mann kann sich wohl verstellen und seine Zeit und Gelegenheit abwarten, wird aber gewiß nicht, zahm und schwach, ohne Weiteres einem ungesetzlichen Act fügen, der ihn von einem Throne ausschließt, welchen er von der Stunde seiner Geburt an als sein rechtmäßiges Erbe betrachten mußte. Und selbst, wenn Ismail’s Sohn einmal wirklich den Thron seines Vaters besteigen sollte, so dürfte es ihm kein Leichtes sein, sich darauf zu erhalten. Gerade das Stillschweigen und die scheinbare Unterwerfung Mustapha Paschas thun Allen, die seinen Charakter kennen, untrüglich dar, daß er sich schon einen festen Plan vorgezeichnet hat, um damit hervorzutreten, sobald die Stunde zum Handeln da ist.

Vom Prinzen Halim Pascha laßt sich eine geduldige Unterwerfung unter Ismail’s Dictat noch viel weniger erwarten. In seinen Adern fließt das unbezähmbare Blut der Wüstenbeduinen, denen seine Mutter - eine von Mehemed Ali’s Frauen in dessen alten Tagen - angehört. Mit den Kennzeichen dieser wilden Race in Gestalt und Antlitz hat er auch ihre geistigen Eigenthümlichkeiten, ihre unüberwindliche Freiheitsliebe, ihre Treue in der Freundschaft und ihre Unversöhnlichkeit im Hasse geerbt. Durch ganz Aegypten und Syrien ist er selbst unter diesen geborenen Centauren, den Beduinen, als vollendeter Reiter berühmt. Seine Hauptleidenschaft ist die Jagd, und seine Lieblingserholung das sogenannte Dscherridspiel, jenes gefahrvolle Spiel, bei welchem ein Reiter dem andern im gestreckten Galopp seines Pferdes den Dscherrid oder Wurfspieß zuzuschleudern sucht. Darin und in der mit Falken und Hunden durch die Wüste sausenden Gazellenjagd mögen Wenige mit ihm wetteifern können. Trotz alledem ist auch er durch und durch mit europäischen Anschauungen erfüllt. Seiner Tochter hält er eine französische Erzieherin, und bei Gelegenheit eines feierlichen Diners, zu welchem viele Europäer geladen waren, stellte er Lehrerin und Schülerin seinen Gästen vor, zum Entsetzen der anwesenden Muselmänner. Kühn, freimüthig, mit offenem Herzen und offener Hand, genießt er eine große Beliebtheit und hat besonders im Volke zahlreiche Anhänger, deren Schaar durch die mancherlei Verfolgungen, welche er von Ismail Pascha hat erleiden müssen und die schließlich bis zu seiner Verbannung aus Aegypten geführt haben, nur noch mehr gewachsen ist.

Unähnlich seinem klügeren Vorbilde in den Tuilerien, hat der Khedive von sich und seinem Throne alle Mitglieder seiner Familie entfernt, anstatt die weise Politik zu üben, sie zu versöhnen und die Interessen des Hauses zu consolidiren. Mehr von innerer Zwietracht und Feindseligkeit gespalten und zerrissen ist kaum jemals eine Dynastie gewesen als die von Mehemed Ali gegründete. Ob sie bestehen oder stürzen wird, das lehren möglicherweise schon die nächsten Jahre, so viel aber steht jetzt schon fest, daß Aegypten nach Ismail’s Tode der Schauplatz heftiger Parteikämpfe werden wird, ebenso wie wir solchen in Frankreich nach Louis Napoleon's Ableben entgegenzusehen haben.

Im persönlichen Verkehr, namentlich mit Fremden, entfaltet der Vicekönig noch heute eine große Liebenswürdigkeit und weiß immer den europäischen Gentleman, den französisch gebildeten Cavalier herauszukehren, wenngleich diese Civilisation mehr nur äußerer Schliff ist, als bei seinem Vorgänger Said, und er im Innersten seines Herzens dem europäischen Wesen bei weitem nicht so zugethan sein soll, wie er es gern scheinen möchte. Was er von abendländischen Institutionen und Einrichtungen importirt, was er europäischen Mustern nachgebildet hat – bei Allem ist ihm der äußere Schein die Hauptsache gewesen, mit Ausnahme, wo es sich um Anstalten zur Erhöhung seines Privatvermögens handelt. In dieser Beziehung geht sein Absehen stets auf den Kern der Dinge.

Indeß hieße es doch das Kind mit dem Bade ausschütten, wollte man Ismail alles wahre und nachhaltige Verdienst um die Wohlfahrt seines Reiches absprechen. Trotz aller seiner vielen Verkehrtheiten und Extravaganzen und trotz des keine Schranke heilig achtenden Egoismus, welcher den Kern seines Wesens bildet, hat Aegypten unter seiner Regierung Fortschritte gemacht, die unsere Bewunderung verdienen. Soweit es nur cultivir- und bewohnbar ist, wird das ganze Land von einem Netze von Schienenwegen und Telegraphenlinien überzogen, die sich bis in Regionen erstrecken, welche außer dem eingeborenen Händler und einzelnen griechischen Kaufleuten aller Welt bisher fast eine Terra incognita waren. Der alte Vater Nil hat seinen Nacken einem zahlreichen Geschwader von Dampfschiffen beugen müssen, deren Räder das lauernde Krokodil bis weit hinauf in das Oberland zurückgetrieben haben, zu Hunderten sind Zuckerraffinerien an seinen Ufern entstanden, und Alexandrien und Cairo, vornehmlich das erstere, mit ihren Fabriken und Werkstätten, haben schon einen ganz europäischen Anblick gewonnen. Wenn aber die große Masse der Nation noch zu wenig menschenwürdigen Zuständen gediehen ist, so darf man nicht vergessen, daß Ismail Pascha nicht allein dafür verantwortlich gemacht werden kann. Ein großer Theil der Misère entspringt aus der altgewohnten Denk-, Glaubens- und Lebensweise, die selbst die Gesetzgebung eines Solon nicht mit Einem Male umschaffen könnte. In allen Fällen sind jedoch Leben und Eigenthum seiner Unterthanen unter Ismail’s Regierung tausend Mal sicherer, als sie es noch zu Anfang des vorigen Jahrzehnts unter dem Tiger Abbas waren, welcher in seinem Zorne keinen Mann und in seinen Begierden kein Weib verschonte.

Nichtsdestoweniger lautet das Endurtheil aller in Aegypten lebenden intelligenten Europäer dahin, daß Ismail Pascha bei seinem Volke entschieden unpopulär ist und daß Alle kaum die Zeit erwarten können, bis seine starke Hand die Zügel der Regierung nicht mehr führt.




Eine Schulfahrt der Neuenburger Cadetten.

Von Stephan Born.

Eine Nation, die sich selbst achtet, sorgt vor allen Dingen für eine gute Volksschule, denn die Rücksicht, welche die Erziehung der Jugend bei einem Volke genießt, ist der beste Maßstab für seine geistige Entwicklung wie für seine politische Freiheit. Zu den Ländern, welche mit Stolz auf ihre Volksschule blicken dürfen, gehört ohne Zweifel die Schweiz. Ihr ist die Schule sogar mehr als eine nothwendige, sie ist ihre bevorzugteste Institution, ihr vielgeliebtes Schooßkind.

Wie freudig überrascht es den Fremden nicht, wenn er in bescheidenen schweizerischen Dörfern, die jedes architektonischen Schmuckes entbehren, das Schulhaus am vornehmsten Platze seine leuchtende Façade ausbreiten sieht. Breite, bekieste Wege führen ihn zwischen wohlgepflegten Blumenbeeten in diesen, den wahren Palast des Volkes. Tritt er in die geräumigen Hausgänge, in die sauberen Schulsäle, so ergreift ihn urplötzlich ein Gefühl der Erhebung, er weiß sich auf geweihtem Boden. Nichts mehr von jenen finstern Kerkerwänden, zwischen denen wir Alten einst unsere Kinderjahre verseufzt; von jenen Marterbänken, auf denen wir peinvoll und ruhelos zu unserer und des Lehrers Plage hin und her gerutscht. Ein wohlthätiges Licht, frische Luft und ein bequemer Sitz schützen die Jugend vor jenem körperlichen Unbehagen, das zu unserer Zeit eine nothwendige Beigabe zu der geistigen Nahrung war, die wir empfingen.

In kleinen republikanischen Ländern wie die Schweiz verfolgt die Schule mit ihren nächsten Aufgaben zugleich einen wesentlich patriotischen Zweck; denn sie soll dem Vaterlande, das seine Kraft in langen Friedensjahren nicht durch ein zahlreiches stehendes Heer erschöpfen darf, ein schlagfertiges und begeistertes Volksheer erziehen. Sie muß deshalb dem Knaben schon früh die Waffe in die Hand geben, damit er als Mann sie einst ehrenvoll zu führen wisse. Aus diesem Bedürfniß sind die schweizerischen Cadettencorps entstanden. Ohne gesetzlichen Zwang durch die Landesbehörden, als eine freie Schöpfung der einzelnen Gemeinden, gewinnen sie auch so von Jahr zu Jahr eine größere Entwickelung. Die Handhabung der Waffe, den militärischen Gehorsam, lehrt die Schule in frühen Jahren; aber sie soll ihm mehr geben, sie soll sein Herz mit hoher Begeisterung für des Vaterlandes Unabhängigkeit und Ehre, mit inniger Liebe zu seiner

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 780. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_780.jpg&oldid=- (Version vom 11.12.2022)