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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


äußerst dünnem Haarwuchs, fieberhaft gerötheten Wangen, und hatte matte blaue Augen, die nur während des Schreibens einigen Glanz erhielten. Außerdem hatte sie nicht das Aussehen der sonstigen sogenannten „Somnambulen“, auch gab sie ihre Mittheilungen nicht im magnetischen Schlafe, sondern im Wachen, während eines exaltirten Zustandes, der sich vorher durch ein heftiges Zittern des ganzen Körpers ankündigte. Daß sie sehr magnetisch, erschien mir evident, doch war wohl ihr ganzes Nervensystem überreizt und geschwächt und schien ihre Gehirnthätigkeit deprimirt, während die Ganglien auf’s Höchste gereizt waren, und es ist lächerlich, diesen ihren Zustand über das gesunde, eigene Selbstbewußtsein zu stellen und davon religiöse Aufschlüsse von abgeschiedenen Geistern aus dem Jenseits zu erwarten.

Nach beendeter Mahlzeit nahm das Mädchen eine große Schiefertafel und einen neuen scharfgespitzten Schieferstift, ergriff diesen lose an dem entgegengesetzten Ende zwischen zwei Fingern und zitterte heftig. Bevor die Manipulation begann, nahm unser Wirth ein großes Folio-Buch und notirte darin meinen Vor- und Familien-Namen, Stand, Geburtsort und Alter, woraus der Redacteur den abgeschiedenen Geist des alten Sokrates befragte, ob er geneigt sei, mir zu antworten. Nach dieser Frage sah das Mädchen starr auf die Tafel und bald schrieb sie mit Blitzesschnelle in lang gezogenen, für mich fast ganz unleserlichen Buchstaben die Worte. „Ich habe es schon gesagt!“ – Nachdem der Redacteur und der Oekonom diese Antwort mit verklärten Mienen aufgenommen, sehr fromm die Augen verdreht und die Worte. „Gelobt sei Jesus Christ!“ gemurmelt hatten, theilte mir der Wirth sehr vergnügt mit, daß Sokrates gestern geäußert, er kenne mich schon seit längerer Zeit, woran ich die bescheidene erste Frage knüpfte, wo und wann ich die Ehre gehabt hätte, ihm bekannt zu werden? – worauf das Mädchen schrieb. „Wir kennen Alle, nennt man die Namen!“ – Nach dieser wahrhaft sokratischen Antwort fragte ich zweitens: „Was ist der thierische Organismus in seiner Beziehung auf sich betrachtet?“ – Statt der einfachen Antwort: „Sensibilität, Irritabilität und Reproduction!“ – wurde geschrieben: „Ist noch nicht an der Zeit!“ – Meine dritte Frage war: „Was ist Irritabilität?“ – Die Antwort hätte sein müssen: „Irritabilität ist die Reizbarkeit, welche der Organismus in sich trägt und gegen welche er auch reagirt. Sie steht darum dem Proceß der Assimilation entgegen!“ – Hierfür ließ Sokrates schreiben: „Ist schon gesagt!“ – Darauf bedeutete man mir, daß die entkörpertem, abgeschiedenen Geister durchaus Nichts sagten, was schon einmal gedruckt sei.

Die seligen Geister haben demnach mehr Respect vor dem geistigen Eigenthum der armen Schriftsteller, als die profane, unselige, heutige Welt, für welchen Aufschluß ich dem Herrn Redacteur sehr dankbar bleibe. Da man mich aufforderte nur religiöse Fragen und keine profan-wissenschaftliche zu stellen, so fragte ich ferner: „Wie verhält sich die Gottheit und Menschheit in Christo zu einander?“ – worauf die Sibylle unter sehr heftigen Zuckungen des ganzen Körpers die Worte aufzeichnete: „Lies, Joseph!“ – So hieß nämlich der Bruder des Medii mit Vornamen. Als dieser aber aus seinem Buche, in dem er alle Fragen und Antworten eifrig protokollirt, keine passende Antwort finden konnte, bezeichnete sie eine Stelle des Buches ganz genau, worauf mir Herr Joseph länger denn zehn Minuten ein Gewirr von exaltirten und mystischen Phrasen vorlas, das mir zuletzt völlig unverständlich blieb, dem Herrn Redacteur aber die begeisterte Exclamation entlockte: „So ist es!“ – wonach das Mädchen sehr eifrig die Worte niederschrieb: „Jetzt ist die Frage gelöst!“ – Da man meine stumme Verwunderung über diesen crassen Unsinn für den Ausdruck meiner tiefsten Ueberzeugung nahm, so lud man mich ein, unter dem Hinweis auf die mir durch jene Antworten zu Theil gewordene Begnadigung, eine auf meine Person bezügliche religiöse Frage zu thun, worauf ich zu wissen wünschte: „Wie sich mein Glaube zu den hier empfangenen Offenbarungen verhalte?“ – und die Antwort darauf war: „Du mußt es sein!“ – Jetzt hatte ich vollkommen genug und der Herr Redacteur nahm statt meiner das Wort, indem er fragte: „Meine liebe Frau ist leidend, was soll ich thun?“ – worauf das Mädchen die einzig vernünftige Antwort niederschrieb: „A–r–z!“ – Er bat sodann noch um Aufklärung darüber: „Ob die Insecten ihre jetzige Gestalt bereits im Paradiese gehabt hätten?“ – und nun ward ihm durch die Pythia die denkwürdige Antwort: „Mensch und Thier hatten nicht die Bestimmung wie nach dem Fall!“ –

Hierauf erklärte Maria, daß der Geist von ihr gewichen und sie, müde und abgespannt, sich nach ihrem Bette sehne; sie verließ das Zimmer, während unser Wirth mir erklärte, daß ihm noch niemals der Fall vorgekommen sei, daß ein zum ersten Male Anwesender, wie ich, überhaupt eine Antwort erhalten habe, und ich die mit mir gemachte Ausnahme als eine besondere Begnadigung des Himmels in demüthigem Glauben und brünstigem Gebete dankbar anerkennen müsse. Als ich darauf erwiderte, daß ich aus der heute gewonnenen Anschauung durchaus keine tiefere Ueberzeugung von der Einwirkung der Geister auf den Menschen gewonnen hätte, freute er sich über meine Aeußerung, die er nicht nur natürlich fand, sondern, wie er sagte, erwartete, indem er mich versicherte, das Gegentheil gar nicht geglaubt zu haben. Er sähe es mir aber an, daß ich sehr zum Glauben neige, ein tüchtiger Spirit werden und bald würdig sein würde, in ihre Gesellschaft zu treten. Hiernach schloß der Redacteur die Sitzung mit den Worten: „Gelobt sei Jesus Christ!“

Wie sind die Leute doch in ihrem Wahne glücklich, wie beruhigt und sicher fühlen sie sich, während der Wissensdurstige, der Forscher in steter Aufregung, fortwährendem Ringen nach Wahrheit schwankt und wankt, grübelt und denkt, annimmt und verwirft, um immer neu einzusehen, daß er nicht am Ende seines Forschens ist!




Eine Schulfahrt der Neuenburger Cadetten.
Von Stephan Born.
(Schluß.)


Wir hatten die Grenze des Baumwuchses längst überschritten und oft genug die Gelegenheit benutzt, unsere Hüte mit Alpenrosen zu schmücken. Die Gegend hatte einen vollständig alpinen Charakter angenommen, und wie freudig war die Ueberraschung, als die Vorhut plötzlich von der Höhe des Col des Essets, sechstausendsiebenhundertdreiunddreißig Fuß über dem Meere, die nachrückende Schaar mit Schneebällen bombardirte! Der Paß mußte gegen die wackeren Vertheidiger mit Sturm genommen werden. Noch eine kräftige Anstrengung und der höchste Sattel war erklommen. Vor uns lag der gewaltige Gebirgsstock der Diablerets, rechts in verführerischer Nähe sandte der Paneyrossaz-Gletscher seinen krystallenen Mantel hernieder in’s Thal, links etwa vierhundert Fuß unter uns, in einer kleinen Stunde Entfernung, winkten die Hütten von Enzeindaz zum Nachtquartier.

„Wer kommt mit auf den Gletscher?“ ruft unser Hauptmann. Etwa ein Dutzend junger Leute schließen sich ihm an, die Anderen ziehen Enzeindaz und der sehnlichst erwarteten Suppe entgegen. Der Tag begann zu sinken, als wir unser heutiges Ziel erreichten. Vor den Hütten saßen die Sennen, vom schweren Tagewerk ausruhend, und Keiner erhob sich, um den ankommenden Gästen entgegen zu eilen. Weder unsere schmetternden Trompeten noch die blauen Uniformen schienen ihnen sonderlich zu imponiren. Neben ihren Bergen, dies war augenscheinlich, gab es für sie nichts Großes auf Erden. Drunten im Thale war alle Welt an die Fenster geflogen, wenn unsere stattliche Truppe nur von ferne sich zeigte, selbst manches Sträußchen war uns von schöner Hand zugeworfen worden. Droben auf der Alp, das sahen wir jedem Gesicht an, waren wir sicher willkommen, doch weit entfernt, unsere Wirthe nur einigermaßen aus ihrem gewohnten Gleichmuth zu bringen. Und hätte ein König mit glänzendem Gefolge an unserer Statt hier zugesprochen, es wäre darum kein größeres Aufhebens um ihn gemacht worden, und der Meister Senn, ein knochiger Alter, an den man uns wies, hätte ebenso gelassen sein Pfeifchen weiter geraucht und nach einem herzlichen „Guten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 797. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_797.jpg&oldid=- (Version vom 16.12.2022)