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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


rüstiger Mann; und, obwohl bald siebenzig Jahre alt, und während einer fünfzehnjährigen Regierung schwer geprüft und hart heimgesucht, sah er, wenn man sein gebleichtes Haupthaar nicht in Betracht zog, fast jugendlich aus. Selbst auf seiner Stirn waren kaum Furchen bemerkbar.

Diese nämliche Frische der Erscheinung fiel mir auf, da ich den Papst später einmal in der Lateran-Basilika sah. Dieses Gotteshaus gilt bekanntlich für die erste Kirche der katholischen Christenheit, und wird daher „Omnium Urbis et Orbis ecclesiarum Mater et Caput“ genannt. Die Tiara auf dem Haupte, wurde Pius zum Hochaltare getragen, an dem der Apostelfürst Messe gelesen haben soll, und auf dem nur der Papst oder ein von ihm Bevollmächtigter celebriren darf. Wie in allen Basiliken, so steht auch im Lateran der Celebrirende mit dem Gesichte dem Volke zugewendet. Während des von Pius gehaltenen Hochamtes ließ sich das Sängerchor von Sanct Peter - wie immer ohne Orgelbegleitung - hören. Die Stimme des Papstes klang kräftig und rein. Den Segen nach dem Hochamte ertheilte er, Regens halber, nicht vom Balcon der Basilika herab, sondern in derselben, und sang die Segensworte ebenso kräftig, als vorhin das Hochamt. In feierlichem Zuge kehrte er hierauf in den Vatican zurück.

War dieser Zug des Heiligen Vaters großartig, so war es ungleich mehr der, den er den 27. Mai, am Feste des Heiligen Philipp Reri, des Patrons von Rom, von dessen Kirche aus über die Engelsbrücke nach seiner Residenz hielt. Der feierliche Wagenzug war rechts und links von den unvermeidlichen Schweizern umgeben. Pius saß in einem Staatswagen, der von sechs Rappen gezogen wurde. Das Riemenwerk derselben war mit rothem Saffian überzogen, und das Gold an dem Wagen so verschwenderisch angebracht, daß sich der erste Fürst der Welt seiner nicht hätte zu schämen brauchen; wer freilich dabei an den Peterspfennig dachte, konnte ein leichtes Kopfschütteln nicht unterdrücken.

Man hat gar Vieles, und zwar oft sehr Lächerliches über das Privatleben Pius des Neunten geschrieben. Was darüber, namentlich durch die französische Journalistik, in die Welt gedrungen, kann theils als erfunden, theils als unwahr, theils als entstellt bezeichnet werden, und zwar eben so sicher, als es schwer ist, aus dem Vatican etwas Bestimmtes über jenen interessanten Gegenstand zu erfahren.

Ich habe nach allen Seiten hin Erkundigungen über die Lebensweise Pius des Neunten eingezogen, und zwar bei Personen, von denen ich voraussetzen konnte, daß sie im Stande waren, darüber nähere Auskunft zu ertheilen. Was ich darüber erfuhr, war, daß Pius äußerst einfach lebt und für seine Person fast gar keine Bedürfnisse hat. Freigebig gegen Arme und Hülfsbedürftige, mitleidig gegen Noth und Elend, läßt er Keinen, der sich in seiner Bedrängniß an ihn wendet, leer ausgehn; ja, seine außerordentlich große Freigebigkeit führt ihn oft so weit, daß er Geschenke macht und Gaben spendet, die ihm selbst gewiß Entbehrungen auferlegen. Ich könnte zur Bekräftigung des so eben Gesagten einen sehr eclatanten Fall anführen, muß dies jedoch unterlassen, um nicht auf einen traurigen Proceß der neuesten Zeit zurückzukommen, in welchem ein Schmuck eine seltsame Rolle spielte …

Nur äußerst selten werden hohe distinguirte Personen zur Tafel des Papstes gezogen, und ebenso selten speist der Papst bei solchen auswärts. Während meines Aufenthaltes in Rom that er dies zweimal, und zwar bei den neapolitanischen und spanischen Bourbonen im Quirinal. Bei solchen Gelegenheiten nimmt der Papst aber stets einen höhern Sitz ein, als seine Gastgeber.

Nachmittags gegen vier Uhr fährt Pius gewöhnlich spazieren; er verläßt aber meistens den Wagen, um eine Strecke Weges zu Fuß zurückzulegen. Auf solchen Spazierfahrten hat er immer eine Escorte bei sich, die jedoch eher dazu bestimmt ist, allzu Neugierige fern zu halten, als die Person des Papstes zu schützen, denn darin stimmen selbst die eingefleischtesten Gegner des Papstes überein, daß er ein herzensguter Kirchenfürst ist und das Beste seines Volkes will, ohne freilich das Wohl seiner Unterthanen fördern zu können, weil er, in den Vatican gebannt, nicht weiß, wie es in seinem Lande zugeht und wessen es bedarf. Wirklich entbehrt dieser Vorwurf nicht der Begründung. Persönlich sieht sich Pius nicht in seinem Staate um, und nur selten verläßt er den Vatican auf kürzere Zeit. Er überträgt Alles seinen Ministern und durch diese wurde, obgleich er selbst seit seinem Regierungsantritt nie den Nepotismus gehegt, ein elendes Protections-System aufrecht erhalten, das seine Regierung in den Augen aller rechtlich Denkenden herabsetzen muß und seinen Feinden stets neue Waffen in die Hand giebt.

Ich will hier auf ein Feld hinweisen, das ich vollständig kennen gelernt habe und auf dem das Protectionssystem im reichlichsten Maße gewuchert und unermeßlichen Schaden angerichtet hat: es ist dies das päpstliche Heer. Eine förmliche scandalöse Chronik könnte ich darüber schreiben, wie in diesem gerade die Unfähigsten und Unwürdigsten befördert, verdienstvolle Männer dagegen mißachtet, vernachlässigt und bei Seite geschoben, Orden an ganz verdienstlose, ja selbst schlechte Subjecte verliehen wurden.

Zu meiner Zeit spielten die französischen Legitimisten, diese erbärmlichen Egoisten, welche den Papst nur als ein Werkzeug zur Erreichung ihrer eigenen Zwecke ansehen, im päpstlichen Heere die Hauptrolle. Die Heloten desselben waren die Deutschen, und ich warne, durch die traurigsten Erfahrungen belehrt, jeden Landsmann vor dem Eintritt in den päpstlichen Militärdienst. Ist es schon höchst unangenehm, in einem Lande zu sein, dessen Einwohner Alles. was die päpstliche Uniform trägt, hassen, meiden und fliehen, so ist dieses Leben für den deutschen Legionär noch um so lästiger, unangenehmer und trauriger, als er von seinen französischen, belgischen, schweizerischen und irländer Cameraden über die Achsel angesehen wird. –

Alle diese Eindrücke beschäftigten mich wieder lebhaft in den Tagen, die dem von Pius dem Neunten angesetzten Concil vorausgingen – diesem Concil, welches nichts als ein Werk der im Vatican so mächtigen Väter der Gesellschaft Jesu ist. Zwar ist man auf einer gewissen Seite aus allen Kräften bemüht, die Behauptung aufrecht zu erhalten, Pius der Neunte sei kein Werkzeug irgend einer Partei, allein dem muß schnurstracks widersprochen werden. Ein Fürst, der nur durch Andere sieht und hört, kann nicht selbstständig, nicht unparteiisch handeln; ein Fürst, der nur das sieht und hört, was ihm Andere vorlegen und sagen, muß das Spielzeug dieser werden. Viel Unheil würde dem Kirchenstaate, der Welt, wenigstens der katholischen, erspart worden sein, wenn die Päpste sich ein wenig in den verschiedenen Ländern umgesehen hätten, öfter aus dem Vatican und ihrem Reich herausgekommen wären.“




Das Dresdener Hoftheater und sein Erbauer. Die Gartenlaube und mit ihr viele andere Blätter haben unmittelbar nach dem Brande des Dresdener Hoftheaters eingehende Berichte über dieses unglückselige Ereigniß gebracht und dabei selbstverständlich auch seines Erbauers, Gottfried Semper’s, in mehr oder minder ausführlicher Weise gedacht. Dabei ist, wie dies bei solchen Vorfällen zu gehen pflegt, über die man rasch berichten will, viel Unvollkommenes, viel Unrichtiges und auch viel absichtlich Gefälschtes mit untergelaufen. Daß die Gartenlaube, wenn die Mittheilungen ihres Correspondenten sich später nicht in jedem Punkte als zutreffend erwiesen, dabei keine absichtliche Verdrehung beabsichtigte, braucht nicht weiter versichert zu werden; aber sie ergreift gern die Gelegenheit, die ihr durch einen ausführlichen Brief Gottfried Semper’s an den Herausgeber geboten wird, dasjenige zu berichtigen, worin sie selbst zu ihrem Bedauern ungenügend unterrichtet war, und diejenigen Anklagen anderer Blätter zu widerlegen, bei deren Erwähnung Semper selber sagt, man müßte über die Geschmacklosigkeit staunen, die sich in der Wahl der Veranlassung zu solchen Herabsetzungen seines Werkes unmittelbar nach dessen Zerstörung zu erkennen gab, wäre man nicht versucht, tendenziöse Absichten darunter zu vermuthen.

„Dies ist auch der Grund,“ fährt Semper in seinem Briefe fort, „warum ich mich veranlaßt sehe, mein Stillschweigen zu brechen und den Werth jener Insinuationen und Mäkeleien zu beleuchten, obschon ein solches Sichverwahren durchaus meiner Neigung widerspricht. Ich habe nicht nur die Entwürfe zu dem jetzt zerstörten Theater gemacht, sondern den Bau desselben bis zu seiner letzten Durchbildung geleitet. Niemals war ein Bau so ganz das eigenhändige Werk des Architekten wie dieser! Jede Detailzeichnung, jede Schablone, die Angaben der Tischlerarbeiten, die decorativen Details und Arabesken, die Möbel, kurz Alles ohne Ausnahme wurde von mir in Größe der Ausführung auf blauem Papier mit rother oder schwarzer Farbe in Umrissen aufgetragen. Dabei standen mir nur einige von meinen Schülern, die aber damals noch wenig Uebung hatten, zur Seite, von denen einer, Herr Krüger, jetzt zweiter sächsischer Hofbaumeister ist und mir die Wahrheit des Gesagten bezeugen wird. Auch stand ich zur Beaufsichtigung der vorschriftsmäßigen Ausführung der Arbeiten in ununterbrochenem persönlichem Verkehr mit den Künstlern und feineren Gewerken (Steinmetzen, Schreinern, Tapezirern etc.), während die Verwaltung des Baues und der Rohbau dem Hofbaumeister oblag, natürlich nach Vorschrift meiner Pläne und Angaben. Die gleichmäßige harmonische Durchführung, die an dem zerstörten Werke hervorgehoben wurde, erklärt sich allein aus dieser Einheit der Angabe und Leitung, aus dieser Gewissenhaftigkeit in der Durchführung. Da war nicht ein einziges Stück vorräthiger Marktwaare angebracht, sondern jedes Einzelne für den Zweck besonders componirt und gemacht, nirgends Wiederholungen. Aber was ich mir bei diesem Bau wohl als Hauptverdienst anrechnen darf (welches Verdienst ich übrigens mit meinem damaligen Chef, dem verewigten Freiherrn von Lüttichau, damaligem Generalintendanten der königl. Theater und Capellen hochverehrten Andenkens theile), ist die dadurch veranlaßte Herbeiziehung ausgezeichneter künstlerischer und kunstgewerblicher Kräfte aus allen Ländern und die gleichzeitige allgemeine Hebung der Künste und Kunstgewerke in Dresden. Namentlich in letzteren, den Kunstgewerken, die mehr als die hohen Künste einer Aufmunterung und Erfrischung bedurften, gab sich in Folge des Baues ein schöner Aufschwung kund, der aber leider nur von kurzer Dauer sein sollte.

So viel von meiner Betheiligung an dem Werke, das durch gewissenloseste Fahrlässigkeit verloren ging.

Ueber den posthumen Tadel, den man ihm in’s Grab nachschleudert, kann ich mich kurz fassen. Vorher möchte ich fragen, welchen Eindruck es wohl gemacht hätte, wenn irgend einem Zeitungscorrespondenten eingefallen wäre, den Hänel’schen Bacchantenfries ober die Rietschel’schen Giebelgruppen bei Gelegenheit der Meldung ihres Untergangs einer tadelnden Kritik zu unterwerfen? Ist der Architekt in dieser Beziehung vogelfrei? Den schlimmsten Vorwurf, der Saal sei unakustisch gewesen, weise ich einfach zurück, mich berufend auf das allgemeine Urtheil aller Künstler und Zuhörer, welche seit der Eröffnung desselben ihn betreten haben. Bis jetzt galt er allgemein für sehr sonor und angemessen. Der Tadel rührt wahrscheinlich von irgend einem Sänger her, der seine Stimme verloren hat und sich nun einbildet, sie sei an dem Plafond des Dresdener Theaters hängen geblieben. Ausgänge und zwar höchst bequeme besaß das Dresdener Theater mehr als irgend ein anderes. Was die inneren Gänge betrifft, so maßen sie zwei Meter Breite, d. h. gerade so viel als die Gänge des Pariser Opernhauses, des Theaters von Bordeaux, des kaiserlichen Hoftheaters in St. Petersburg und der meisten großen Theater im nördlichen Europa, einen guten halben Fuß mehr als die Gänge des Theaters della Scala in Mailand und der Theater in Turin, Genua, Neapel etc., d. h. der größten bestehenden Theater der Welt! Dazu kam noch für das Dresdener Theater die Bequemlichkeit eines achtzehn Fuß breiten eisernen Corridors, der überall mit dem Innern durch breite nach beiden Seiten sich öffnende Thüren in Verbindung stand und unmittelbar zu den beiden Haupttreppen führte.

Es wäre für die Verfasser der gegen mich gerichteten Anklagen eine Leichtigkeit gewesen, sich Einsicht in das Kupferwerk über den besprochenen Bau zu verschaffen, was ihre Pflicht war, bevor sie ihre weittragenden

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