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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Die Messe hielt der Bischof X, die vorgeschriebenen Gebete recitirte der Cardinal X. Darauf sprachen in Bezug auf die Vorlagen X Väter. Die Versammlung wurde um ein Uhr geschlossen.“ – Basta! Mehr will der Papst also vor der Hand seine getreuen Unterthanen nicht wissen lassen, und diese bezeigen in der That keine Neugierde, mehr zu hören.

Machen wir uns bei diesem Schweigen der römischen Staatszeitung einmal selbst früh um acht Uhr auf den Weg nach dem Vatican. Die Stadt ist um diese Zeit noch nicht allzu lebhaft, denn die Römer lieben es lange zu schlafen, die kleinen Wagen mit Gemüse, Obst, Käse und anderen Lebensmitteln trotten unter den eintönigen Anpreisungen ihrer Führer über das Pflaster, hier und da lassen die Esel ihr entsetzliches Geschrei vernehmen, auf den Plätzen stehen noch viele Campagnolen (Bauern der Umgegend) in ihrer malerisch bunten und zersetzten Landestracht, um sich zu irgend einer Arbeit zu verdingen. Sie glotzen die Fremden mit ihren Banditengesichtern verwundert an, oder spielen leidenschaftlich Morra; finden sie keinen Arbeitgeber, so ist es ihnen auch gleich, sie lungern dann den ganzen Tag über spielend und bettelnd umher und sind am Abende in Bezug auf ihre Schlafstelle nicht wählerisch. Die spanische Treppe hinunter, wo die Modelle sehnsüchtig die Künstler erwartend sich niedergelassen haben, kommen wir nun auf den spanischen Platz. Das ist der moderne Platz Roms, der Mittelpunkt des Fremdenviertels, voll von jenen nichtssagenden Miethshäusern unserer Zeit und großstädtischen Hôtels. Hier wohnen mehrere Cardinäle und reiche fremde Prälaten.

Vor den Palästen steht der goldstrotzende Wagen, auf dem Rückbrette zwei buntgekleidete Diener. Bald sieht man zum Portal heraus im rothseidenen Talar die hofmännische Gestalt des Kirchenfürsten treten, begleitet von niederen Geistlichen. Ein Auserwählter von diesen steigt mit in den Wagen, wo er bescheiden auf dem Rücksitze Platz nimmt, und das Gespann rasselt die elegante Via de’ Condotti entlang von dannen nach der Peterskirche zu. Dies ist so zu sagen die erste Classe des Prälatenfuhrwerks; ehe wir zu der dritten und letzten Classe, der gemeinen Droschke gelangen, betrachten wir erst die mittlere, den gemietheten Wagen. Ihn benutzen die Bischöfe, welche von mäßigem Vermögen nicht gerade Paläste bewohnen, aber doch auf eigene Kosten einige Zimmer gemiethet haben. Sie sind aus dem Centrum des theuren Quartier de’ Forestieri hinweg etwas näher nach dem Vatican zu in die Gegend des Palazzo Borghese gezogen. Unser Weg nach der Peterskirche führt uns durch diesen Stadttheil. Hier und da hält vor den Häusern ein bestellter Wagen mit noch gähnendem Kutscher, der sich durch die Einfachheit der Kleider von dem glänzend galonnirten Cardinalsrosselenker, durch eine weniger confiscirte Physiognomie und eine gewisse Sauberkeit vom Droschkenkutscher unterscheidet. Ein Bischof in seiner violetten Gewandung mit breitkrempigem Hute, der durch eine grüne, gelbe, rote Feder verziert ist, und mit dem goldenen Kreuze auf der Brust, steigt, begleitet von einem Geistlichen, ein, und mit minderem Feuer als die Cardinalscarrosse setzt sich das Gespann nach dem Vatican hin in Bewegung. So gelangen wir allmählich an die Engelsbrücke, auf welche zu in einem kleinen Platze fünf Straßen aus dem Innern Roms münden. Sie führt nach der Leontinischen Stadt über die Tiber hinüber, nach dem eigentlichen päpstlichen Viertel, der Urbs Vaticana. Hier strömen nun die Wagen von allen Seiten zusammen, nur langsam können die Väter des Concils diese Brücke, auf der nicht mehr als zwei Wagen neben einander fahren können, passiren und es erscheint sofort, aus den inneren Stadttheilen Roms kommend, die bischöfliche Droschke in der Ueberzahl.

Die Orientalen ganz besonders, wenn sie nicht ihre Füße vorziehen, bedienen sich dieses Vehikels mit Vorliebe. Auch verzichten diese patriarchalischen Männer auf eine niedere geistliche Begleitung. Selten fährt einer allein, in der Regel haben sich zwei zusammengethan und den Kutscher gedungen. Sie sitzen gravitätisch nach hinten gelehnt auf dem Vordersitze, ihre Füße bequem auf dem kleinen Rücksitze ausstreckend; oft aber ist auch dieser Platz noch von einem dritten Bischofe irgend welchen orientalischen Ritus eingenommen. Da fahren nun diese Kinder des Orients, Syrer, Armenier, Chaldäer, Griechen, Bulgaren, Maroniten – dies sind die sechs orientalischen Riten –, phlegmatisch sich die Schnupftabaksdose reichend und wenig sprechend, mit ihren prächtigen tiefschwarzen oder schlehweißen Bärten und apathisch in die Welt schauenden Gesichtern nach der Sitzungshalle hin, wo sie über die Irrthümer der deutschen Philosophie, über die gesammte europäische Civilisation ihr Urtheil fällen werden. Aber mehr als Einer von ihnen macht noch eine kleine Rast am Petersplatze, ehe er sich dem Anhören einer fünfstündigen Debatte übergiebt. Denn hier giebt es für die Orientalen gar zu verlockende Bottegen (Läden), das Café und der Tabacajo. Nachdem sie schnell noch zur Herzensstärkung eine Tasse Mocca’s aus der Unterschale geschlürft haben, schlüpfen sie nebenan zum Tabakhändler, um sich für die langen Verhandlungen die Dosen mit dem köstlichen Kraute zu füllen. Denn dieser Mann hat echte Waare, aus Quellen bezogen, die ihm durch die allerhöchste Vermittlung orientalischer Patriarchen fließen sollen. Da sieht man nun in der kleinen Bude die Herren Bischöfe oft bis zu einem Dutzend stehen, mit der Miene des feinen Kenners die Prise zur Nase führend, sie dem Nachbar reichend und mit den Augen fragend, was er dazu meine. Auch schwere türkische Rauchtabake für den Hausbedarf der kleinen Pfeife werden dort eingehandelt und verschwinden in den inneren großen Taschen des langen seidenen Talars.

So gerüstet schreiten die geistlichen Herren zu den Pforten der Peterskirche herein, wo Wagen an Wagen vorfährt. Man begrüßt sich gegenseitig an der Thür oder in der Vorhalle, und der Fremde hört seltsame Sprachlaute. Zwischen die Gurgel- und Kehltöne semitischer Sprache mischt sich plötzlich eine griechische Unterredung, und während bei diesen Lauten die Gestalten des schönen Hellas uns in die Erinnerung treten, erschrickt man, wenn man hinsieht, vor den Gestalten mit verschmitztem Gesicht und schleppenden Pfaffengewändern. Da kommen zwei französische Bischöfe, bartlos, mit Brillen auf der Nase und beweglichen Zügen im elegantesten Salonton plaudernd, und neben der schönen, kräftigen und wohlklingenden spanischen Sprache ertönt als Antipode das englische Idiom. Bisweilen aber begrüßt man sich von einer nationalen Gruppe zur andern hinüber, und das Ohr vernimmt dann Laute, von denen man im Anfange kaum weiß, in welcher Sprache man sie unterbringen soll: das ist das conciliarische Latein. Es hat sich dies während der Zeit herausgebildet, daß die Väter in Rom tagen, als ein erstes Product des Concils; jeder versucht sein Latein möglichst anders auszusprechen, als er es zu Hause gelernt hat, indem er von der einen Nation das und von der andern jenes entlehnt; den Italienern zu Liebe zischt man das c vor i und e; um sich den Engländern einigermaßen verständlich zu machen, spricht man das lange i wie ei aus u. A. m. So entsteht ein Mischmasch von Aussprache, vor dem sich ein alter Römer wahrscheinlich im Grabe umwenden würde, wenn er es hörte. Nur unsere orientalischen Freunde enthalten sich standhaft dieser Corruption der alten Römersprache; sie verstehen kein Latein, halten die Messe in ihrer Landessprache und haben für die Sitzungen ihre vereidigten Dolmetscher.

Unterdeß haben wir schon das lange marmorgeschmückte Hauptschiff der Peterskirche durchschritten, am Hauptaltar, dem barbarischen Werk des Bernini, das aus den schönen bronzenen Dachziegeln des Pantheon gegossen ist, uns rechts gewendet, und stehen nun an der hölzernen großen Pforte der aula conciliaria, die zu betreten gewöhnlichen Sterblichen nicht gestattet ist. Die mit etwas kühnem Pinsel auf die marmorartig angestrichene Holzwand gemalte Maria mit den Aposteln Peter und Paul zur Rechten und zur Linken ladet die Hirten der Welt einzutreten, wir können

noch sehen, wie sie sich auf den grün gepolsterten amphitheatralisch sich erhebenden Bänken niederlassen, dann schließen sich vor dem profanen Auge die Thüren, und wir müssen durch die hölzernen Schranken von der erlauchten Versammlung getrennt unsere Betrachtungen mit dem Ohre fortsetzen. Alsbald erklingt der Meßgesang der Väter, dann Litaneien und Gebete, bei deren Schall die frommen Katholiken in der Kirche niederknieen und zu Gott beten, er möge den Prälaten den Geist erleuchten; dann eine kurze Pause, und die Verhandlungen beginnen in dem oben beschriebenen Latein; aber die wachehaltenden Schweizer, mit großen Hellebarden versehen, von ihren Posten an den Eingängen weiterschreitend, säubern jetzt im Umkreis von etwa zehn bis zwölf Schritt die Halle von muthwilligen Horchern, und diese Vorsichtsmaßregel, die oben erwähnte Art des bischöflichen Idioms und die schlechte Akustik bewirken, daß nur verworrene dröhnende Laute bei starkstimmigen Rednern dem Ohre der Draußenstehenden wahrnehmbar werden. Nur ob die Verhandlungen in einem friedlichen, ruhigen Geleise sich bewegen, oder ob eindringlich und heftig sprechende Redner

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_127.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)