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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Bremen, Breslau, Frankfurt, Hannover, Braunschweig, Stralsund, Rostock etc. und viel weiter, das war und ist doch vieler Thränen und Leiden der Vergangenheit werth! Vieler, aber nicht so vieler, nein, nein, so vieler nicht! Die meisten hätten ihm Polizei und Cultusminister ersparen können, ihm und unzähligen seiner Zeit- und Leidensgenossen. Fast sein ganzes Leben und Streben war ein quälerischer Kampf gegen geistige Zwerge, die nur mit ihren geistespolizeilichen Waffen sich stärker erwiesen, als er in seiner ursprünglichen, derb pommerschen Natur und der ihm angeborenen, redlich fortgebildeten Geisteskraft. Er war eben aus langen Leiden und Lähmungen mühsam wiedererstanden, als er im vorigen Jahre zum zweiten Male in Berlin begrüßt ward. Was hätte er in freieren Staaten zwischen glücklicheren Menschen, wenn nicht gefördert, so doch ungehindert und ungehetzt während der dreißig Jahre nach seinem Doctorexamen in Halle wirken können! Wie stämmig, hoffnungsblühend stand der lockige Jüngling vor zweiunddreißig Jahren in der Aula des neuen Hallischen Universitätsgebäudes unter der lächerlichen Doctormütze, welche er sich eben im besten Latein erdisputirt hatte, und die ihm der Decan der philosophischen Facultät mit lateinischen Segenssprüchen auf den vollen Lockenkopf hielt! Der zweiundzwanzigjährige Doctor war fertig. Es war schnell gegangen.

Robert Prutz.

Am 30. Mai 1816 in Stettin geboren, daselbst als Gymnasiast aufgewachsen und in Berlin, Breslau und Halle als frischer und fleißiger Student in einem frischen Kampfe geistiger Bestrebungen und Gegensätze gereift, war der bürgerlich noch Unmündige in der Welt der Wissenschaft schon ein königlich preußisch geprüfter Lehrer.

Auf den Universitäten regte sich damals ein neuer Geist der Wissenschaft, und der unvergeßliche Cultusminister von Altenstein pflegte nicht nur seine Blumen, sondern zog auch berühmte Professoren mit neuen, frischen Richtungen nach Preußen. Die alten Demagogenhetzer Kamptz, Schmalz und Tschoppe hatten ausgetobt, und manches Opfer ging kräftiger aus dem Gefängnisse hervor, besonders gerüstet Ruge in Halle. Die schwarz-roth-goldenen Bänder und Pfeifenquasten kamen ebenfalls wieder zum Vorschein, und sonstige Verbindungen wurden wenigstens im Stillen geduldet. Freilich waren die meisten Studenten in Halle mehr „Kümmeltürken“, Studenten, die mit Lebensmitteln vom Hause versorgt werden, und „Kameele“, als forsche „Paukanten“ auf dem Fechtboden. Dafür betheiligten sie sich um so freudiger an den Kämpfen der wissenschaftlichen Geister, die gerade zu unserer Zeit mit der „Werdelust des Hallischen Dichterbundes“ und den „Hallischen Jahrbüchern“ so recht kräftig aufeinander platzten. Ruge und Leo, Leo und Diesterweg, Wegscheider und Tholuck, alte Kantianer und Jung-Hegelingen und sonstige alte Krippensetzer der Romantik und hölzerner Abfächerung im ohnmächtigen Kampfe gegen lebendiges, belebendes Wissen.

Das war eine herrliche Zeit! Die Hallischen Jahrbücher hieben unbarmherzig mit den blanken Waffen Hegel’scher Dialektik

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 229. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_229.jpg&oldid=- (Version vom 9.4.2019)