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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

No. 17. 1870.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften 5 Ngr.


Aus eigener Kraft.
Von W. v. Hillern geb. Birch.
(Fortsetzung.)


19. Entscheidung.

Ein trüber Morgen dämmerte herauf. Der Freiherr sah es nicht. Er saß noch über einen Brief an Adelheid gebeugt und schrieb. Die Lichter waren tief heruntergebrannt, die Flammen erfaßten das darum gewickelte Papier und bildeten düstere rothe Fackeln, der Freiherr bemerkte es nicht. Da zersprang eine der gläsernen Leuchter-Manchetten von der Hitze, der leise Knall schreckte den alten Mann auf. „Es ist Zeit!“ sagte er zu sich selbst, siegelte den Brief an dem verlöschenden Lichte und öffnete das Fenster, um den Kerzenrauch hinauszulassen. Noch einmal wollte er sich an dem Anblick der herrlichen Natur erquicken, die ihm so lange eine geliebte Heimath war. Aber er sah nichts. Es war als habe sich der ganze See aus seinem Bette gehoben und fluthe nun ufer- und schrankenlos zwischen Erde und Himmel, solch ein Meer von feuchtem Nebel erfüllte den Raum. Es benahm dem Greise fast den Athem und seine weißen Haare wurden naß, als er sich hinausbog, aber es kümmerte ihn nicht, er fürchtete keine Erkältung mehr. Mit stiller Wehmuth harrte er der Sonne. Sollte er es nicht mehr grüßen dürfen, das göttliche Gestirn, das ihm ein langes Leben hindurch treulich geleuchtet? Es war so! Die Erde gönnte ihm keinen Abschiedsgruß, als zürne sie ihm unter Thränen, daß er sie verlasse. Kein Lichtstrahl, kein freundliches Ufer, keine ferne Schneespitze zeigte sich dem suchenden Auge in dem undurchdringlichen Wallen und Wogen der grauverdichteten Luft.

Da öffnete sich langsam die Thür, der Candidat trat ein. „Sie habe befohlen, daß ich Sie wecke – wenn –“

„Ist es Zeit?“ fragte der Freiherr.

„Ja – aber Sie haben nicht ausgeruht?“

„Nein – aber ich kann ja noch lange ausruhen, wenn es vorbei ist –“ Er schwieg, aber der Ton, in dem er das Wort gesagt, prägte sich dem Candidaten ein für immer.

„Hier nehmen Sie das Pistolenkästchen. So! Ich will doch einen wärmeren Rock anziehen, sonst friere ich und dann zittert mir die Hand beim Zielen. So –! Nun noch den Hut. Und – hier nehmen Sie diese Degen, die Barrière zu stecken; ich trug sie mit Ehren vom Beginn meiner Laufbahn an, sie sollen mir auch am Ende derselben den letzten Dienst erweisen. Habe ich nichts vergessen?“ Er sah sich im Zimmer um. „Ich denke, nun ist Alles in Ordnung. Ach, da – diesen Brief übergeben Sie meiner Frau, wenn Alles vorbei ist. So, jetzt weiß ich nichts mehr – mein Haus ist bestellt.“

Aber er zögerte doch einen Augenblick. „Waren Sie noch bei Alfred?“

„Ja, er schläft.“

„Wenn er aber erwacht, während Sie fort sind?“

„Ich sagte dem Diener, ich ginge in den Garten wegen heftiger Kopfschmerzen. Das wird er ihm berichten. Wollen Sie ihn noch einmal sehen?“

Der Freiherr kämpfte mit sich selbst. „Nein,“ sagte er dumpf. „Ich habe Abschied genommen! Kommen Sie!“

Einen letzten Blick warf er nach der Thür seines Sohnes; dann sprach er mit gefalteten Händen: „In Gottes Namen!“ und schritt aufrecht und sicher dem Ausgange zu. Bleich wie eine Leiche folgte ihm der Candidat mit den Waffen. Als sie aus dem Hause traten, sagte der alte Herr: „Schade, daß die Sonne nicht scheint, ich hätte sie so gern noch einmal gesehen!“

Weiter sprachen die Beiden nichts auf dem ganzen Wege. Es war so frostig und traurig um sie her, als sei an diesem Tage mit einem Male alle Herrlichkeit der Welt erloschen und versunken, und wer in diesem Augenblick aus ihr schied, der that es mit dem Gefühle des Zuschauers, der ein schönes Schauspiel leichter verläßt, während der Vorhang heruntergelassen ist.

Sie waren am Platze.

Egon, sein Secundant, der junge Hausarzt Salten’s und der Professor Zimmermann waren schon da. Die Herren begrüßten sich und legten die Hüte ab. Feldheim stellte den Professor dem Freiherrn vor, die Beiden schüttelten sich die Hände.

„Mein Gott,“ sprach Zimmermann, „ein so betagter Herr und sich noch duelliren!“

„Mein werther Herr Professor,“ erwiderte der Freiherr würdevoll, „ich habe in den letzten sechszehn Jahren meines Lebens mehrfach gehandelt, wie es meinem Alter nicht angemessen war; hatte ich dazu den Muth, so muß ich ihn auch den Folgen meiner Handlungsweise gegenüber haben, das ist eine unerbittliche Consequenz.“

Der Arzt verstand ihn natürlich nicht. „Ich gestehe Ihnen,“ fuhr er fort, „daß ich die Sache hintertrieben hätte, wenn ich geahnt, was da im Werke sei. Aber ich erfuhr ja vorhin erst Ihren Namen.“ Er wandte sich an Egon. „Herr Graf, ist es wirklich möglich, daß ein so junger Herr wie Sie einem so hochbetagten Manne auf Leben und Tod gegenübersteht? Erlaubt es Ihnen der Respect vor dem Alter, der doch jedem Menschen angeboren ist, Hand an solch ein ehrwürdiges Haupt zu legen?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_257.jpg&oldid=- (Version vom 5.6.2018)