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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

No. 18. 1870.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Der Fels der Ehrenlegion.
Novelle von Berthold Auerbach.


9. Ein ruhsamer Ort.

Monate sind vorüber. Das Dampfschiff hält in Flüelen am Vierwaldstätter See. Auf einem Wagen, dessen italienische Herkunft unverkennbar war, stiegen Herr Merz und seine Tochter, beide sahen gebräunt und frisch aus. Viel Gepäck wurde auf das Dampfschiff gebracht, und der italienische Kutscher dankte dem Herrn und der Dame mit großer Redseligkeit. Noch als das Schiff abgestoßen war, rief er ihnen mit südländisch heftigem Geberdenspiel Lebewohl nach.

Auf dem Dampfschiffe, das über den Vierwaldstätter See fuhr, war eine bunte Gesellschaft und alle Sprachen der gebildeten Welt tönten durcheinander; aber eine gemeinsame Empfindung beherrschte doch die Gemüther Aller: die Schönheit des Ausblicks über den See, nach den hellen Wohnorten an den Ufern und den hochragenden Bergen. Diesen Eindruck übersetzte sich Jeder in seine eigene Weise und die Gespräche erhielten jene seltsame Art, die sich in den Unterredungen der Menschen bildet, wenn Musik sie umtönt. Wie man da innerlich unbewußt hinhorcht auf das melodische Klingen, so sprach man hier von Allerlei, aber die begleitende Empfindung vom Ausblick in die großartige Naturumgebung durchzog alle Wechselrede und ließ sie oft plötzlich verstummen.

Unweit des Steuermanns saß Louise allein und schaute hinaus in die Landschaft. Sie kümmerte sich nichts darum, daß mancher Blick sich nach ihr richtete, ja, sie vermochte es zu überhören, daß man über sie räthselte. Die Einen hielten sie für eine dem Leben sich wieder zuwendende Wittwe, die Anderen für die an den begleitenden alten Herrn verheirathete junge Frau.

Der Vater hatte einen ehemaligen Parteigenossen aus dem Abgeordnetenhause getroffen, der Mann hatte Louise geneckt, daß sie seinen Erwartungen nicht entsprochen, denn er habe sie längst verheirathet geglaubt. Jetzt stand der Vater auf der andern Seite des Schiffes bei dem Manne, und die Beiden unterhielten sich natürlich zunächst über die allgemeinen Verhältnisse; sie waren beide nicht mehr in der unmittelbaren Bethätigung, aber ihre Theilnahme war doch lebendig. Der Parteigenosse erzählte, daß seine Tochter, die sich damals in jener ersten lebhaften Wintersitzung verlobte, ihm bereits drei Enkel geschenkt habe und er werde in den nächsten Tagen in Luzern seine jüngst verheirathete Tochter treffen, die mit ihrem Manne von der Hochzeitsreise aus Italien zurückkehre. Der Mann hatte fünf Töchter, sie waren an Beamte und Officiere und die jüngste an einen Fabrikanten verheirathet. Er erging sich, ganz im Gegensatze zu vielen Anderen, im Lobe der heutigen jungen Männerwelt; sie sei nicht mehr so romantisch, wie wir Alten gewesen, aber sie sei bedachtsamer und energischer. Mit behutsamen aber dennoch unausweichlichen Fragen erkundigte er sich, woher es käme, daß Louise noch ledig sei.

Herr Merz konnte nicht umhin zu erzählen, daß dies, abgesehen von dem Kummer um den Verlust seiner Frau, die einzige Beschwerniß seines Lebens sei; er suche sich darein zu finden, für sein Kind auf das Glück eigner Häuslichkeit zu verzichten.

Der Parteigenosse hatte einen Bruder seines jüngsten Schwiegersohnes, einen Officier, auf dem Dampfschiffe gefunden, er rief ihn nun herbei und stellte ihn Herrn Merz und Louisen vor.

Man machte die Rundreise auf dem See und Louise empfand ein Bangen, daß man nun heute Abend und vielleicht noch länger mit einer zufälligen Begegnung verbringen müsse, der man danklos die so sehr ersehnte Einsamkeit opfert. Als man in eine Bucht des Sees einfuhr, sah man ein helles Haus mit einem neuangelegten Garten, das einladend erschien. Louise hörte, daß hier ein Landungsplatz sei, sie bat den Vater, daß man hier aussteige. Der Ort erschien so heiter, so lockend, – es galt kein Besinnen, – die Glocke läutete, – Louise nahm rasch ihr Handgepäck, sie bestimmte auch den Vater, daß er das seine erfasse, – das Landungsbrett wurde angelegt – Louise und ihr Vater stiegen aus, das Gepäck wurde nachgebracht.

Vom Ufer aus rief der Vater und winkte Louise dem Parteigenossen und seinem jungen Freunde Lebewohl zu, die ihnen verwundert nachschauten, dann aber sich rasch umdrehten.

„Ich danke Dir, Vater,“ rief Louise aufathmend, „ich weiß nicht woher, aber ich meine, ich habe diesen Ort einmal geträumt, – ganz so wie er ist: so glänzte der See, – so sprang der Springbrunnen, – so wie mit einem Schuppenpanzer bekleidet war das Haus und so klang die Glocke, wie jetzt da drüben aus dem Dorfe. Ach, Vater, es ist doch herrlich, wie viel schöne, ruhige Plätze es auf der Welt giebt!“

Die Wirthin war herbeigekommen und hieß die Fremden in französischer Sprache willkommen. Sie deutete nach dem Hause und sagte, daß die beiden Balconzimmer an der Ecke mit der schönsten Aussicht eben heute frei geworden seien. Caspar, das Factotum des Hauses, der mit Stolz die hohe Mütze trug, auf deren Rundung der Name der Pension gestickt war, nickte der Wirthin zu, sein Blick sagte: „das sind vornehme Leute, ein Mann

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 273. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_273.jpg&oldid=- (Version vom 30.12.2018)