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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

nach geglaubt, daß sie singen könne, erwiderte sie, früher habe sie allerdings etwas Singstimme gehabt, aber so gering, daß sie die weitere Uebung aufgegeben habe.

Herr Edgar fuhr in gewandter Redeweise fort zu erklären, wie doch die Musik allein die einigende Kunst sei. Menschen aus verschiedenen Nationen und Gesellschaftskreisen fänden im Reich der Töne, das über alle Nationalsprachen hinausrage und etwas Kosmisches habe, eine Einigung.

Scherzhaft setzte er hinzu: „Wenn die Werkleute beim babylonischen Thurmbau hätten singen können, es wäre wohl nie die Sprachverwirrung eingetreten.“

Die Art, wie er sprach, hatte etwas einfach Bewegendes und in Scherz und Ernst etwas so Bestimmtes und Sicheres, daß sich nicht nur gesellschaftliche Gewandtheit, sondern auch vielfältiges, einsames Denken daraus erkennen ließ. Louise, die sich daran gewöhnt hatte, von einzelnen Aussprüchen aus den Hintergrund der Seele, die Gesammtheit des Denkens und Empfindens aufzubauen, sah den Sprecher freudigen Blickes an; dieser aber erhob sich bald wieder, setzte sich zur Geigenspielerin und ging dann mit seinen Freunden in den Garten.

Louise folgte bald mit den Frauen. Scherz und Lachen herrschte in der linden Mondnacht am Ufer entlang, und die klatschenden Strandwellen tönten darein.

Louise fühlte sich in der Gesellschaft heimisch, und wieder, als sie mit dem Vater allein war, pries sie das Glück, daß sie hierher gekommen seien.

Am andern Morgen kam der Bundesrath mit seinem Kahne vor dem Hause angefahren, er schickte den Fährmann zu Herrn Merz, daß er mit ihm komme, um weit in den See hinauszufahren und dort zu fischen. Auch der Pfarrer des Dorfes, ein lustiger Camerad, der sich auf seine Angelkunst viel zu Gute that, war mit von der Gesellschaft.

Louise wagte, unter der Mantille verborgen, ihr kleines Skizzenbuch mitzunehmen, sie ging hinaus, die Uferstraße entlang, dann einen Berg hinan, sie fand einen guten Punkt mit weiter Aussicht, und als sie sich versichert hatte, daß Niemand sie sehe, begann sie zu zeichnen.

Am Mittag kam sie von der Arbeit gestärkt fröhlich zurück und es herrschte viel Heiterkeit, denn die drei Männer hatten einen großen Fischzug gethan und die Beute wurde am Mittag verspeist.

Der Himmel bewölkte sich, aber die Maler ließen sich nicht abhalten, zu ihrer Arbeit zu gehen. Caspar, der neben seinen anderen Berufsarten sich die eines untrüglichen Wetterpropheten angeeignet hatte, prophezeite ein schweres Gewitter zum Abend, und kaum saß man bei Tische, als es zu donnern und zu blitzen begann. Nur die Frauen gingen nach dem Musiksaal, aber sie wagten nicht, eine Saite tönen zu lassen, jetzt, wo es draußen so stürmte. Die Künstler waren hinausgegangen, um die Blitzesbeleuchtungen zu sehen; sie kamen erst zurück, als ein ergiebiger Regen hernieder rauschte.




12. Ein Jodelruf und ein Schmerzensschrei.

Ein heller Morgen brach an, Baum und Gras glitzerte und die Linien der Berge setzten sich scharf ab von dem blauen wolkenlosen Himmel. Louise wagte es, ihren Malkasten herauszunehmen, ein Knabe trug ihr denselben nach, und den Bergstock in der Hand, stieg sie nicht weit von dem Gasthause einen Vorhügel hinan. An der Seite hörte man den Bach rauschen, der durch das Gewitter viel lebendiger war als bisher. Sie suchte das Bett des Baches höher oben, und je weiter sie schritt, um so muthiger wurde es ihr im Herzen; sie wendete sich oft um und schaute hinaus über den See und war voll Glückseligkeit. Jetzt stand sie auf einem vorspringenden Felsen, wo man den Bach drunten rauschen sah. Sie hielt an, stemmte den Stock in den moosbewachsenen Grund, legte die linke Hand an die Wange und jodelte lustig in die Welt hinaus.

Horch! Unten aus der Schlucht tönt eine Jodel-Antwort zurück. War das nicht die Stimme des Herrn Edgar, wie er in der Mondnacht auf dem See gejodelt hatte?

Abermals ließ Louise einen jauchzenden Ton in die Luft schallen, und abermals erhielt sie gleiche Antwort drunten aus der Schlucht. Dann aber rief eine Stimme: „Komm hierher zu mir, Du lustiger Bub’! Wo bist Du?“

Wie? Ist dies auch Herr Edgar? spricht er deutsch?

Louise ging vorwärts; sie stand am Felsenrande, wo es jäh hinabging, da rief Herr Edgar von unten, aber jetzt in französischer Sprache, sie möge einhalten, sie stehe auf einem gefährlichen Punkte, wo sie herabstürzen könne. Sie grub die Spitze des Stockes in einen Felsenspalt, beugte sich weiter vor, und jetzt sah sie über dem Bach drunten, wo eine leichte Bretterbrücke gebaut war, Herrn Edgar in einen Plaid gehüllt, mit großen Holzschuhen an den Füßen und vor ihm die Staffelei.

„Gehen Sie zurück,“ rief er in ängstlichem Tone, „links zwischen den beiden Tannen durch! Wollen Sie zu mir kommen? Ich will Sie holen! Haben Sie nur Geduld, bis ich mich etwas enthülst habe. Sind Sie denn ganz allein?“

„Nein, ich bin auch da,“ rief der kleine Führer; er war schnell bei Louise und geleitete sie nun hinab. Sie mußte rechts und links sich mit den Händen an Gesträuch und Bäumen halten, um nicht auszugleiten, und endlich stand sie an der Brücke. Aber noch konnte sie nicht hinüber, denn hier war ein Arm des Baches, durch den sie hätte waten müssen.

Herr Edgar bat um Entschuldigung, daß er nicht schnell entgegengekommen sei, aber sein Costüm habe ihn gehindert. Er zeigte auf eine Leiter, die am Ufer lag; der Knabe legte sie schnell über die Strömung des Baches nach dem Felsen, worauf die leichte Brücke ruhte; er bat Louise, rückwärts hinab zu steigen, – sie that es und stand jetzt auf der schwankenden Bretterbrücke.

„Gehen Sie nicht weiter, denn die Brücke trägt nicht zwei Menschen,“ rief Herr Edgar und fügte in scherzendem Tone hinzu: „Die Brücke, die ich mir über den wilden Strom des Lebens gebaut, trägt nur mich allein!“

Louise konnte kein Wort erwidern. Der Maler sagte, daß er sein Waldheiligthum eigentlich vor jedem Anderen verborgen halte, aber da sie es gefunden, solle sie es nun auch ruhig betrachten. In lustigem Tone fügte er hinzu, sie möge seinen Ueberrock annehmen, denn es sei hier sehr kühl, er möchte diesen Ort eigentlich die Rheumatismus-Grotte taufen, denn er habe viel anwenden müssen, um einen Rheumatismus los zu werden, den er sich im vergangenen Jahre hier geholt. Er vermummte sich auch schnell wieder, und nun fragte er: „Also Sie sind auch eine Deutsche, und Sie waren es, die so gejodelt hat? Wunderlich! Also auch Sie können jodeln und nicht singen. Ich hatte Sie für einen Knaben hier aus den Bergen gehalten.“

Er trat scharf auf die Bretterbrücke auf, sie schwankte; aber jetzt fügte er hinzu: „Ich glaube, die Brücke trägt Sie und mich. Kommen Sie herab!“

(Schluß folgt.)




Ein „Kegelscheiben“ für Dirndln im bairischen Gebirge.

Auf dem gewundenen Sträßlein, das nach Pienzenau führt, wandern zwei schmucke Gesellen; sie tragen ihr Feiertagskleid, vom Hute nickt die Spielhahnfeder, offenbar ist irgendwo ein Fest.

Und in der That verhält es sich nicht anders. Pienzenau, wo einst die uralten bairischen Grafen hausten, hat freilich die Tage seiner Glanzzeit hinter sich; denn aus der Residenz der Herren ist nun ein schlichtes Bauerndörflein geworden und statt der ritterlichen Haudegen, die einander mit Schwert und Lanze prügelten, sehen wir nur noch die ganz alltägliche Tapferkeit, der ein Haselstecken und ein Maßkrug als Waffe genügt.

Der alte schneidige Menschenschlag aber, in dem etwas Ritterliches steckt, hat sich trotz alledem bis jetzt erhalten; die Männer sind noch frei wie dazumal und die Landschaft lacht uns noch so herrlich und jung entgegen, als ob sie seit fünfhundert Jahren nicht einen Tag älter geworden wäre. Heute ist in Pienzenau ein großes Kegelscheiben angesagt, und wer sich sehen lassen kann in der ganzen Nachbarschaft, kommt dorthin zusammen; auch die beiden Burschen gehen denselben Weg, sie nehmen’s nicht übel, wenn wir sie begleiten. Ein Kegelscheiben umschließt schon an und für sich gar manchen „Jux“, mit dem heutigen aber hat’s noch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 276. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_276.jpg&oldid=- (Version vom 5.6.2018)