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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


Die Uebergabe erfolgte am 24. December, und schon am 1. Januar 1869 reichte der Käufer seine Pläne zum Umbau des Erdgeschosses ein, das in eine Reihe von Verkaufsläden umgeschaffen werden sollte. Nachdem das Polizei-Präsidium seine Genehmigung ertheilt, wurde sofort der Bau mit sechshundert Arbeitern mitten im Winter in Angriff genommen und trotz der ungünstigen Witterung mit solcher Energie betrieben, daß bereits am 1. April 1869 die neunundzwanzig Läden ihren Miethern übergeben und eröffnet wurden. Selbstverständlich konnte dieses Resultat nur dadurch erreicht werden, daß auch die Nächte mit zu Hülfe genommen wurden, was einen kolossalen Gasconsum erforderte.

Bei seinem ganzen Unternehmen verfolgte Herr Geber das Princip, ausschließlich nur Geschäftsräume für die Industrie zu schaffen. Die von ihm erbauten Läden zeichnen sich besonders dadurch aus, daß hier zum ersten Male die sämmtlichen Schaufenstertheile vollständig aus Schmiedeeisen gearbeitet sind. Jeder Laden ist mit einer eleganten Laterne versehen; die dadurch erzielte Beleuchtung giebt den Pariser Boulevards in dieser Beziehung wenig oder gar nichts nach. Die Firmen der Geschäftsinhaber sind sämmtlich auf Glas geschrieben und werden diese sowohl wie die Schaufenster selbst durch eine oberhalb der letztern angebrachte sogenannte Coulissenbeleuchtung gleichmäßig erhellt, deren ganz neue Construction zum ersten Male in dem Industrie-Gebäude zur Anwendung gebracht worden ist. Außerdem ist mit jedem Laden eine nach dem Hofe gelegene Mansardenstube und Küche verbunden; wofür im Ganzen der für die Berliner Verhältnisse nur mäßige Preis von fünfhundert Thalern gezahlt wird.

Nachdem in dieser Weise das Erdgeschoß der früheren Caserne in einen großartigen Bazar umgewandelt worden war, schritt Herr Geber zur gänzlichen Umgestaltung der übrigen Räume, aus denen er eine Reihe der großartigsten Etablissements für die verschiedenen Zweige der Industrie und Kunst schuf.

Das Vordergebäude, welches das längste in Berlin ist, hat eine Front von vierhundert Fuß, ist im Stile der „Venetianischen Bibliothek“ gebaut und zeichnet sich durch seine sechs Fuß hohe, gänzlich in Thon ausgeführte, höchst geschmackvolle Attika aus. Zwei mächtige Portale, mit Gruppen von der Hand des Bildhauers Julius Moser verziert, führen in das Innere. Hier befinden sich in dem ersten Stockwerke die Bureaux mehrerer größerer Geschäfte und eine Möbelhandlung, die den größten Saal Berlins in einer Ausdehnung von zweihundert Fuß für ihre Zwecke besitzt.

Ein besonderes Interesse gewähren die Räume, welche der Verein Berliner Künstler gemiethet hat und die theils zur Ausstellung der gelieferten Kunstwerke, theils zu Berathungen und abendlichen Versammlungen dienen. Die sechszehn Fuß hohe Bildergallerie mit ihrem günstigen Oberlichte bietet Malern und Bildhauern die gewiß höchst willkommene Gelegenheit, ihre neuesten Schöpfungen zur Kenntniß des Publicums zu bringen, dem der Eintritt gegen ein Entrée von fünf Silbergroschen gestattet ist. Wir finden hier Bilder von den ersten Meistern, Richter’s entzückende „Odaliske“, den reizenden „Katzentisch“ mit seinen köstlichen Kindergruppen von dem genialen Knaus und das große Gemälde der „Schlacht bei Königgrätz“ von Bleibtreu, das, man mag über seinen Gegenstand denken, wie man will, schon als Kunstwerk eine Stelle in der zukünftigen National-Gallerie verdient.

Daran schließt sich die sogenannte Künstlerkneipe, das Billardzimmer und der Versammlungssaal mit ihren charakteristischen Verzierungen, den Portraits der Mitglieder und allegorischen Fresken, womit die Wände geschmückt sind. Hier erblicken wir die Bilder jüngerer Maler, wie Gustav Richter, Becker, Scholz, Eduard Hildebrandt etc., während im Versammlungssaale die alten Meister eine würdige Stelle gefunden haben. Unter den Letzteren sind besonders bemerkenswerth der alte Schadow, von Steffeck’s Meisterhand gemalt, ferner Hans Holbein von Heyden, denen sich Peter Vischer, Albrecht Dürer, sowie von Steinbach und Andreas Schlüter, Preußens Michel Angelo, anreihen.

In den Fresken von Goetz, Wiesniewcki, Brausewetter, Heyden, Burger, Gustav Spangenberg etc. offenbart sich der Künstlerhumor in köstlichen Trinkscenen, zu denen Rudolf Löwenstein die poetischem Erläuterungen in reizenden Versen giebt. Allwöchentlich versammeln sich hier die Mitglieder des Vereins zu ernsten Berathungen über ihre Interessen, denen die heitere Unterhaltung in der Kneipe und im Billardzimmer folgt. Aus der ganzen Einrichtung, den geschnitzten Stühlen und Eichentischen, den Bildern und Fresken weht uns ein frischer, echt künstlerischer Geist entgegen, der gleichsam dem sonst ausschließlich der Industrie und dem Handel gewidmeten Gebäude eine höhere Weihe verleiht.

Noch von diesem Eindruck erfüllt, verlassen wir das Vordergebäude und begeben uns in das Hintergebäude Nummer Eins, wo sich die Gratweil’sche Bierhalle befindet, zu deren Herstellung das Parterre und die erste Etage der alten Caserne benutzt wurden. Gegenwärtig das größte Bierlocal Berlins, kann allein der Hauptsaal bequem zweitausend Personen fassen. Derselbe ist hundertsechsundfünfzig Fuß lang, nach dem Muster des Sängersaals auf der Wartburg gearbeitet, die Decke von Holz geschmackvoll geschnitzt, die Spitzbögen mit sinnreichen Bildern von Ludwig Burger verziert, auf denen man alle Stadien des Trinkers bis zum unausbleiblichen erbarmungswürdigen Katzenjammer bewundern kann. Einen besonders interessanten Anblick gewährt die Bierhalle des Abends, wo sie durch dreizehn Gaskronen erhellt wird. An Hunderten von Tischen sitzen die Gäste, Kopf an Kopf gedrängt, und genießen den köstlichen Gerstensaft, der sich unter den Biertrinkern Berlins eines wohlverdienten Rufes erfreut.

An die Bierhalle stößt der Billardsaal, in dem zu gleicher Zeit auf acht Billards vom frühen Morgen bis zwei Uhr des Nachts gespielt werden kann. Die eigenthümliche Beleuchtung ist dem bekannten Jockey-Club in Paris entlehnt, zu welchem Zweck Herr Geber an Ort und Stelle seine Studien gemacht hat. Ein dritter Saal für ungefähr zweihundert Personen, mit Logen versehen, wird bei Ueberfüllung der Bierhalle benutzt und dient außerdem für kleinere geschlossene Gesellschaften. Schwerlich wird man in dem geschmackvollen Local den früheren wüsten Casernenboden wieder erkennen. Ueber dem ganzen Hintergebäude und dem Gratweil’schen Saal befindet sich die große Posamentierwaarenfabrik von W. und G. Keßler. Diese nimmt zwei Etagen ein, von denen die obere in Form eines hängenden Bodens umgebaut und durch Ober- und Seitenlicht erhellt wird. Der fast zweihundert Fuß lange Raum enthält eine Dampfmaschine, von deren Thätigkeit die in der Bierhalle sitzenden Gäste keine Ahnung haben, während dieselbe bei Tag und Nacht unablässig über ihren Köpfen arbeitet.

Ueber den dreihundertfünfzig Fuß langen Hof gelangen wir in das Hintergebäude Nr. 2, das ausschließlich für Fabriken und Werkstätten eingerichtet ist. Zwei Thürme im Renaissance-Styl dienen zur Verbindung zwischen den vorderen und hinteren Gebäuden. Alle Localitäten sind mit Doppellicht, Gas- und Wasserleitung versehen. In allen Räumen herrscht eine rege Thätigkeit und der Beschauer kann sich hier einen Einblick in die Berliner Industrie mit der größten Bequemlichkeit verschaffen. Unter einem und demselben Dache finden wir eine bedeutende Nähmaschinenfabrik, eine lithographische Anstalt, zwei renommirte Buchdruckereien, eine große Billardfabrik, mehrere Speditionsgeschäfte, eine große Pianofortefabrik, einen Auctionssaal, eine Wollengarnfabrik etc. Kaum dürfte manche größere Provinzialstadt so viele und großartige Etablissements aufzuweisen haben wie dies einzige Gebäude.

Der Hof selbst ist von beiden Seiten mit Laternen beleuchtet und wird in nächster Zeit durch zweckmäßige Anlagen in einen Sommergarten verwandelt werden, dessen schönste Zierde eine Orangerie und drei große Fontainen bilden sollen. Ein kleinerer Hof ist für den Verein der Berliner Künstler zu demselben Zweck bestimmt, während die in dem dritten Hof gelegenen Ställe, Remisen und sonstigen Gebäude für die neu anzulegende Centralstraße benutzt werden. Zu diesem Zweck ist auch das Hintergebäude Nr. 2, das an den dritten Hof stößt, so angelegt, daß sein Parterregeschoß innerhalb vier Wochen in eine dreihundertfünfzig Fuß lange Ladenfront umgeschaffen werden kann. Eine Actiengesellschaft beabsichtigt nämlich, eine neue Straße zu bauen, die, vom Spittelmarkt ausgehend, das jetzige Gertrauden-Hospital durchschneidend, nach der Commandantenstraße führen und in der Nähe der Neuen-Grünstraße auf einen freien, einhundertzwanzig Fuß breiten Platz ausmünden wird. Letzterer selbst soll, mit geschmackvollen Anlagen und einer großen Fontaine versehen, der Stadt zum Schmuck gereichen. Die projectirte Straße aber soll durchgängig im Renaissance-Styl erbaut, mit Asphalt gepflastert und glänzend erleuchtet werden.

Alle Gebäude der neuen Straße werden nach dem Plane so angelegt, daß sie im Parterregeschoß Verkaufsläden, in den Hofräumlichkeiten sonstige Geschäftslocalitäten enthalten. Sämmtliche

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 286. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_286.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)