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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

No. 21. 1870.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.


Aus eigener Kraft.
Von W. v. Hillern geb. Birch.
(Fortsetzung.)
21. Goldene Schlüssel.

Es waren furchtbare Wochen, die nun über das verödete Haus der Salten hinzogen, dessen geheime Schande durch den Proceß des Grafen und des Candidaten unbarmherzig an die Oeffentlichkeit gezogen wurde. Adelheid’s Ehre war vernichtet. Die Schwestern Bella und Wika sagten sich los von ihr und zogen sich mit dem kleinen Legat, das ihnen der Freiherr vermacht, auf die jetzt Alfred gehörigen Güter zurück. Nur Lilly, die gute Kleine, wollte sich nicht von Alfred trennen und theilte ihrer Schwägerin Unglück und Schmach.

Die Voruntersuchung gegen Egon und Feldheim war beendet. Die Anklagecommission hatte Beide vor das Schwurgericht verwiesen, Egon wegen Tödtung im Zweikampf, Feldheim wegen Beihülfe zu demselben und an Egon verübter Gewaltthätigkeit. Von der schweren Beschuldigung des Mordversuchs hatte sich Feldheim, dessen Wunde im Gefängniß rasch geheilt war, glänzend gereinigt. Daß er auch jener Vergehen von den Geschworenen nicht schuldig befunden würde, darüber war in Zürich nur eine Stimme.

Unvergleichlich schlimmer war Egon’s Lage. Die Züricher Gesetzgebung ahndet die Tödtung im Duell wie einen Todtschlag, und er erfuhr, daß ihn möglicherweise eine langjährige Zuchthausstrafe treffen könne. Er war dem Wahnsinn nahe. Ein Mensch, wie er, auf den Höhen der Gesellschaft geboren und erzogen, verurtheilt, wie ein gemeiner Verbrecher sein Leben unter dem Abschaume der Menschheit hinzuschleppen, – es war ein Gedanke, zu furchtbar für das arme schwache Gehirn des feigen, haltlosen Menschen, der nicht einmal den Muth hatte, sich die eigene Schuld zuzugestehen und das Ganze als eine unerbittliche Consequenz des Schicksals zu betrachten. Der Ruf seiner Fassungslosigkeit verbreitete sich durch ganz Zürich, und Doctor Schäfer erzählte Adelheid, daß man ernstlich für seine Gesundheit fürchte. Was sie dabei empfand, wußte Niemand. Aber am Abend desselben Tages, als es zu dunkeln begann, schlich sie sich ganz allein aus dem Hause und schlug den Weg nach Zürich ein. Sie ging nach einer der abgelegensten Gassen der Stadt. Vor einem hohen, fast überhängenden Giebelhause blieb sie stehen. Hier wohnte ein berühmter Juwelenhändler, der sogenannte Bernsteinjude, von dem sie oft gehört, und ein wurmstichiges Schild über einer niedrigen Thür trug die Inschrift: „Aaron Itzel, Niederlage von Bernsteinwaaren, An- und Verkauf von Pretiosen, Gold und Juwelen aller Art, Diamantschleiferei etc.“ Es war schon die Stunde, wo die Magazine geschlossen werden, und ein Lagerjunge hatte bereits die eisernen Stangen vor die Fensterladen gelegt, nur die Thür war noch offen. Adelheid trat rasch ein.

„Sie wünschen?“ fragte ein verdrossener, abgestandener Commis, der sich nach seinem Abendtrunk sehnte. „Wir sind eben am Schließen.“

„Das sehe ich!“ sagte Adelheid. „Ich habe mit dem Herrn des Geschäfts zu sprechen; wollen Sie ihn gefälligst rufen?“

Der Commis ging rückwärts, die Blicke wachsam auf Adelheid gerichtet, nach dem Bureau und rief hinein: „Herr Itzel, es ist noch ein Frauenzimmer da, das mit Ihnen sprechen will.“

Herr Itzel kam befremdet heraus und faßte die sonderbare Kundin, die keine andere Zeit zu ihren Einkäufen hatte wählen können als die des Zwielichts, scharf in’s Auge. Doch selbst durch den dichten schwarzen Crèpeschleier erkannte er sogleich die wegen ihrer Schönheit und ihrer rothen Haare in ganz Zürich berühmte Frau von Salten. Er war indessen discret genug, sich nichts merken zu lassen.

Adelheid betrachtete ihn mit stillem Entsetzen. Er war ein kleiner alter Mann von auffallend israelitischem Typus und stechenden schwarzen Augen, deren eines an einer Thränenfistel litt, denn es lief beständig. Eine scharfgebogene, von Tabak gebeizte Nase und krauses weißes Haar vollendeten das abschreckende Bild. Adelheid schlug das Herz, als er sie fragte: „Womit kann ich Se dienen?“

Sie wollte zum ersten Male in ihrem Leben nichts kaufen, – sie – Adelheid von Salten – wollte etwas verkaufen! Die Stimme versagte ihr, als sie leise begann: „Wollten Sie nicht die Güte haben, dem jungen Herrn Urlaub zu geben? Er scheint darauf zu warten.“

Herr Itzel war ein feiner Mann; er liebte die Kunden, welche mit ihm allein zu sein wünschten, am meisten und winkte sogleich dem abgestandenen Commis zu gehen. Als sie allein waren, zog Adelheid mit zitternden Händen ein Päckchen aus der Tasche. Sie enthüllte es und ein ledernes Schmucketui kam zum Vorschein.

„Herr Itzel,“ begann sie stockend, „ich habe da einen Schmuck, den ich zu veräußern wünsche, da ich gesonnen bin, die Trauer nie wieder abzulegen, und keines solchen mehr bedarf. Würden Sie geneigt sein, ihn mir abzukaufen?“

„Warum sollt’ ich nicht abkaufen die Waare von so ’ne feine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 321. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_321.jpg&oldid=- (Version vom 16.1.2019)